1 ...7 8 9 11 12 13 ...19 Stöver nimmt einen Schluck. „Also, die Spusi ist durch, jetzt sind die Pathologen dran. Ihr könnt in den Keller, wenn ihr wollt. Viel ist da allerdings nicht zu sehen, meine ich. Natürlich außer den beiden vollkommen verkohlten Frauen. Wie bereits vermutet, handelt es sich wohl um die Bewohnerinnen des Hauses, die Mutter Karin Vogt, achtzig Jahre alt, und ihre dreiundfünfzigjährige Tochter Regina. Was von denen noch übrig ist, wird nach Kiel zur Obduktion gebracht, damit die Identifizierung auch amtlich ist. Wie wir von den ziemlich entfernt wohnenden Hofnachbarn erfahren konnten, sind die beiden Frauen vor etwa acht Jahren aus Wilster in diesen Resthof eingezogen, nachdem Bauer Andreas Kruse seine Landwirtschaft aufgab und die Ländereien an die angrenzenden Kollegen verpachtete. Viel mehr konnte man nicht erfahren. Nur ab und zu sah man die Jüngere mit ihrem Fahrrad ins Dorf fahren, wo sie im kleinen Supermarkt einkaufte. Ansonsten lebten die beiden Frauen vollkommen zurückgezogen.“ Er trinkt den Teebecher leer und schnäuzt sich geräuschvoll in ein Papiertaschentuch.
„Danke, Herr Kriminaloberrat Stöver“, meint Nili mit einem freundlichen Blick zu dem gestressten Beamten. Sie nickt Pepperkorn zu. „Wir gehen jetzt wohl erst einmal selbst in den Keller, um uns umzusehen, wenn Sie nichts dagegen haben.“
„Ist schon okay, gehen Sie nur.“
Nili, Willi und Hauke trotten hinüber zur Bauernhofruine, von der nur noch zwei halbhohe Ziegelmauerreste stehen. Willi bemerkt trocken: „Den Anblick der beiden verbrutzelten Damen muss ich mir doch nicht antun, oder? Ich sehe gerade, eine Spusigestalt geht just in Richtung der dort hinten gelegenen Scheune. Wenn ihr nichts dagegen habt, schaue ich mich mal lieber dort um, okay?“ Ohne auf eine Antwort zu warten, spurtet Willi in die angekündigte Richtung.
Hauke schüttelt lachend den Kopf: „Dieser Willi is ’n richtiger Dithmarscher Sturkopp!“
„Lass man, geschätzter Kollege, unser Polizeimeister ist schon in Ordnung. Nehmen wir erst einmal die beiden ‚Verbrutzelten‘ in Augenschein und befragen dabei den Onkel Prof, ob ihm vielleicht etwas Besonderes aufgefallen ist.“
Sehr eng ist es im Kellerverlies, es wurde nur ein Teil von dessen Decke freigelegt. Nili und Hauke können deshalb nur von oben einen Blick auf die makabre Szenerie werfen. Die quirlige Blondine Hannelore Siemsen, die ebenso wie ihr Chef in einen weißen Schutzanzug gehüllt ist, assistiert gerade Prof. Dr. Klamm im starken Lichtschein der beiden batteriebetriebenen Halogenscheinwerfer bei der ersten Untersuchung der beiden Opferreste.
„Hallo, Herr Professor!“, grüßt Nili den Pathologen.
„Nett, Sie wiederzusehen, Frau Masal, Herr Steffens“, sagt dieser, nachdem er und Hannelore Siemsen über eine Leiter aus dem Keller emporgestiegen sind. „Na ja, viel ist natürlich von den beiden Damen nach dem gehörigen Brand nicht übrig geblieben. Die fast vollständige Verkohlung lässt vermuten, dass man die beiden bereits getöteten Frauen mit mehreren Litern Benzin übergossen haben muss, bevor man sie und danach ebenso diese Hütte angezündet hat. Trotz deren starker Verkohlung sind an beiden Schädeln Einschüsse deutlich zu erkennen, sehr wahrscheinlich von ein und derselben Waffe. Die Frauen müssten aber bereits einige Stunden vorher oder vielleicht sogar schon am Tag vor der Brandstiftung regelrecht hingerichtet worden sein; Genaueres kann ich vermutlich sagen, wenn ich sie auf dem Tisch habe.“ An die drei bereitstehenden Männer des Bestattungsunternehmens gerichtet fährt er fort: „Bitte in diesem heiklen Fall besondere Sorgfalt walten lassen, damit wir die beiden Damen möglichst vollständig in die Pathologie bekommen. Achten Sie auch auf eventuell abgefallene oder liegen gebliebene Körperteile, damit die auch mitgehen, ja?“ Er winkt den beiden Kommissaren zu. „Also dann, tschüss, auf bald!“
„Guck mal, Nili, Willi winkt uns gerade hektisch zu, er hat wohl etwas entdeckt. Gehen wir rüber, hier gibt’s für uns eh nichts mehr zu erfahren.“
Willi eilt ihnen entgegen. „Ratet mal, was wir soeben in der Scheune entdeckt haben!“
Alle drei gehen zur Scheune. Diese ist vollgestopft mit Heu- und Strohballen sowie altem Gerümpel. „Vorsicht, bitte nur am Rand gehen, es gibt wichtige Spuren! Seht mal, hier!“ Willi deutet auf den matschigen Scheunenboden. Da das Dach nicht mehr ganz dicht und die Bodenfläche von dem heruntertropfenden Regenwasser aufgeweicht ist, zeichnen sich auf dieser deutliche Reifenabdrücke sowie zwei komplette Fußspuren ab. „’n Auto hatten die beiden doch nie, oder?“
„Das Profil zeichnet sich perfekt und tief ab, müssen ganz neue Reifen gewesen sein“, meint Hauke.
„Und dann auch dies noch!“ Stolz deutet Willi auf ein im Heu halb verstecktes Knäuel Plastikfolie. „Das da sind sicher die Reste einer Plastikhülle, mit der man ein neues Fahrzeug beim Transport zum Händler schützt.“
„Du meinst …“ Nili lässt die Frage unvollendet.
„Yes, my lady! Das waren ganz bestimmt unsere beiden Galgenvögel, wie Waldi sie nannte. Die zwei Russen haben wohl den Golf gestohlen und sich nach meiner Verfolgungsjagd hier ein paar Tage verkrochen, während wir sie überall in der Umgebung vergeblich suchten. Dann haben sie die beiden armen Frauen einfach erschossen, das Haus angezündet und sich aus dem Staub gemacht.“
„Deine Vermutung könnte stimmen. Gute Arbeit, Willi, prima!“ Nili ist begeistert und auch Hauke geht freudig auf Willi zu: „Give me five, Kumpel! Lass mal die Spusi Abdrücke von den Reifenspuren und denen der Schuhsohlen machen, und auch das Plastikzeug muss zur KTU. Wenn du recht haben solltest, dann sind da sicherlich ihre Fingerabdrücke drauf, und dann haben wir sie!“
Nili und Hauke gehen zurück zum Einsatzwagen, wo Prof. Dr. Kramm gerade Staatsanwalt Pepperkorn von seinem ersten Befund berichtet hat. Dann kommen die beiden Kriminaloberkommissare an die Reihe und erzählen von den heißen Spuren, die Polizeimeister Seifert in der Scheune gefunden hat.
„Na also, lieber Stöver, da haben wir ja ’ne Menge ordentliche Ansätze. Ich schlage vor, Frau Masal und Steffens machen sich auf den Weg nach Kiel, sobald die KTU-Untersuchungsergebnisse vorliegen. Jedenfalls rufe ich sofort das Oberkommissariat und auch den Oberstaatsanwalt in Kiel an, damit da ja nichts schiefgeht und die ganze Bande noch so lange festgenagelt bleibt.“
Nili berichtet, dass sie sowieso von Waldi Mohr angefordert worden sei, bei der Vernehmung der beiden festgenommenen Drogendealer mit ihren Sprachkenntnissen behilflich zu sein.
„Umso besser, verehrte KOK Masal, dann fahren Sie bitte gleich am Montagmorgen nach Kiel, ich informiere Ihren Boss Boie Hansen in Oldenmoor. Gute Arbeit, Leute, wirklich verdammt gute Arbeit! Und nun wollen wir unter der da draußen lauernden Pressemeute ein wenig Futter verteilen. Die lassen einem sonst überhaupt keine Ruhe! Dann sage ich erst einmal herzlichen Dank und wünsche Ihnen noch ein schönes und geruhsames Wochenende!“
***
Nachdem Hauke Steffens und Nili Masal am späten Nachmittag mit ihrem Dienstwagen zurück im eigenen Kommissariat eingetroffen sind, machen sie Feierabend. Nili wünscht dem Kollegen ein schönes Wochenende, steigt in ihren grünen Cross Polo um und fährt nach Hause. Sie parkt den Wagen direkt vor Onkel Suhls Haus in der Theodor-Heuss-Straße. Nach der Wiedervereinigung von DDR und BRD im Oktober 1990 hat man auch in der Kleinstadt einige Straßen umbenannt. Die vormalige Kaiserstraße – während der Nazizeit schnöderweise vorübergehend Adolf-Hitler-Straße – bekam gleich nach Kriegsende wieder den ursprünglichen Namen zurück, wurde aber nun zu Ehren des allseits beliebten ersten Präsidenten der Bundesrepublik Deutschland umgewidmet. Nili öffnet die Tür des Hauses, das sie seit der Ankunft aus Israel gemeinsam mit ihrer Mutter, Lissy Masal, und ihrer inzwischen sechsundneunzigjährigen Oma, Clarissa Keller, bewohnt. Ihr Großvater, Heiko Keller, war nach dem vierzehnjährigen Exil seiner Familie in Bolivien im Jahre 1952 gleich wieder in dieses Haus gezogen und hatte die ihm zurückerstattete Marschländer Backwarenfabrik bis wenige Jahre vor seinem plötzlichen Tod geleitet. Das noch bis zur politischen Wende in der DDR florierende Unternehmen konnte dem unlauteren Preiskampf mit den Billigbroten der Discounter- und Supermarktketten sowie den anderen, überall wuchernden neuen Bäckereiverkaufsstellen irgendwann nicht mehr standhalten. Der redliche Bäckergeselle und Kaufmann Heiko Keller weigerte sich, die stets hohe Qualität seiner Erzeugnisse den ruinösen Preispraktiken des Wettbewerbs zu opfern. Schweren Herzens gab er endlich auf: Die traditionsreiche Marschländer Backwarenfabrik (Tadeusz Rembowski Nachfolger – gegr. 1905) wechselte in die Hände eines Düsseldorfer Großbäckereikonzerns. Es dauerte nicht lange, bis dieser die gesamte Fabrikation aus Oldenmoor nach Thüringen verlagerte und die altehrwürdigen Fabrikgebäude abgerissen wurden. Auf dem umfangreichen Gelände in der Deichstraße entstanden danach neue Wohn- und Geschäftshäuser.
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