Impressum
Copyright: © 2013 Olaf Falley
Druck und Verlag: epubli GmbH
Berlin, www.epubli.de
ISBN 978-3-8442-5520-1
„Für meine Frau Ramona, die nie den Glauben verloren hat. Es lohnt sich immer, für das Leben zu kämpfen!“
„Die Vergangenheit zu kennen, bedeutet, zu wissen!“
Aus den Lehren der Urd und des Viderus
Der Frühling war ein leichter Hauch, eine samtene Berührung, die eine Vorahnung eines wunderbaren Sommers in sich trug.
Sanfte Winde liebkosten, von Süden kommend, die Wipfel der noch jungen Birken. Sie fingen sich in den Ästen und erzeugten ein beinahe melodisches Flüstern, welches den Geist gefangen nahm, die Sinne umschmeichelte. Es ließ die Grenzen zwischen den Realitäten verschwimmen, als wäre man am Rande eines Traumes. Ein Traum von einer Welt, voller Frieden und Harmonie, Glück und Zuversicht. Eine Welt, die es so nicht gab, nicht geben konnte.
Tief drinnen im Wald, dort wo die Birken anderen Bäumen wichen, die älter und kräftiger waren, stand reglos eine alte Frau.
Stumm stand sie dort, die Augen geschlossen, die Nase in den Wind gestreckt, der hier nicht mehr, als ein Lüftchen war. Fast konnte man meinen, es gefiele ihr, wie der Wind ihr Gesicht streichelte und mit ihren langen Haaren spielte.
Doch in Wirklichkeit lauschte sie konzentriert den Stimmen, roch voller Unruhe die Düfte und schmeckte befriedigt die Angst der Menschen, die der Wind zu ihr trug. Ihre Lippen begannen zu zittern, ihre Augenlider zuckten und stöhnend sank sie in das Gras zu ihren Füßen. Mit all ihren Sinnen fühlte sie, dass Veränderungen bevorstanden. Ob zum Guten oder zum Schlechten; wer konnte das sagen? Sie hatte in ihrem Leben schon so viele Veränderungen erlebt und überstanden, warum sollte es dieses Mal anders sein? Sie war alt, sehr alt. Sie war so alt, dass sie sich gar nicht erinnern konnte, jemals jung gewesen zu sein.
Sie ernährte sich vom Leid der Menschen. Jede geweinte Träne, jedes gebrochene Herz, jedes Verbrechen gab ihr Kraft. So lange die Welt blieb, wie sie war, korrupt und ungerecht, brauchte die Alte keine Furcht zu haben.
Und doch gab es etwas, dass noch älter und sehr viel böser war als sie. Dieses Etwas labte sich am Geschmack vergangenen Leids, an den Erinnerungen begangener Missetaten.
Es war der Geruch dieses Wesens, seine heuchlerische Stimme und das Entsetzen, welches es in den Herzen der Menschen verbreitete, was die Alte im Wind gelesen hatte.
Sie konnte nicht ahnen, wie nah sie dem Ende ihres Lebens gekommen war; und es wäre ohne Bedeutung gewesen, hätte sie es geahnt, denn es gab nichts, was sie dagegen hätte unternehmen können.
Leise beunruhigt drehte sie dem Wind den Rücken zu und ging tiefer in ihren Wald hinein. Selbst die ältesten Bäume kannten das Kräuterweib nur als runzlige Alte. Ehrfurchtsvoll flüsternd neigten sich ihre Blätter, denn sie wussten um den Jähzorn und die Macht der bösartigen Vettel.
Getrieben von der Ahnung bevorstehenden Unheils beschleunigte sie ihre Schritte. Es galt Vorbereitungen zu treffen, alte Beschwörungen zu lesen und Boten zu den Schwestern zu schicken.
Er hatte lange geschlafen und war sehr hungrig. Vorsichtig schlich er durch die Armenviertel der Stadt. Dort, wo die Not am Größten war, wo durch Krankheiten und Gewalt ständig Menschen zu Tode kamen war sein Jagdrevier. Hier tauchten immer wieder neue Gesichter auf. Gestrandete, die von der Gesellschaft ausgespien worden waren, Verbrecher auf der Flucht vor dem Richter oder auch Matrosen, die beschlossen hatten, den Rest ihres Lebens auf dem Festland zu verbringen. Die meisten hatten weder Familie noch Freunde. Ihr gesellschaftlicher Umgang beschränkte sich auf die abendlichen Besuche der zahlreichen heruntergekommenen Spelunken. Es fiel kaum jemandem auf, wenn plötzlich ein Bettler weniger an den Straßenecken herumstand oder ein Trinker nicht mehr in seiner Lieblingskneipe erschien.
Dieses Desinteresse der Menschen war der Grund, warum er durch das Armenviertel schlich, ein König, der vom Abfall lebte.
Die Straße wurde nur von flackerndem Kerzenlicht erleuchtet, welches seinen Ursprung hinter schmutzigen Fenstern hatte. Der Mond war heute nicht zu sehen, aber das war egal denn die Finsternis war sein Vertrauter.
Dort, wo es Armut gab, gab es auch immer Gewalt. Organisierte Gewalt. Banden von Halsabschneidern, Dieben und anderem zwielichtigen Gesindel bevölkerten die Straßen bei Nacht. Nicht, das sie dies nicht auch am Tage täten, aber nachts waren sie aktiver. Im Schutze der Dunkelheit gingen sie ihren verbrecherischen Tätigkeiten nach. Doch die Dunkelheit, die ihre Identität verbarg, war gleichzeitig ihr Feind. Denn sie verbarg auch ihn, wenn er sich leise an seine Opfer heranschlich um ihnen ihre Erinnerungen und letztendlich auch ihr Leben zu rauben.
Heute Nacht hatte er es auf eine Gruppe Tagelöhner abgesehen, die damit beschäftigt waren, Kisten und Fässer aus einem Keller auf ein bereitstehendes Pferdefuhrwerk zu verladen. Auf Grund der Uhrzeit durfte man getrost davon ausgehen, dass der Besitzer dieser Waren ganz sicher nicht in diese nächtlichen Aktivitäten eingeweiht, geschweige denn mit ihnen einverstanden war.
Viele Händler hatten hier im Armenviertel ihr Domizil, was zum Teil daran lag, das ihre Geschäfte eher zwielichtiger Natur waren. Manch einer konnte sich aber auch die extrem hohen Ladenmieten im Stadtzentrum einfach nicht leisten.
Das Wesen interessierte sich nicht für derlei Nebensächlichkeiten. Der Mensch war eine Nahrungsquelle, je verderbter seine Seele umso höher der Nährwert.
Und diese Diebesbande vor ihm war wie eine überreich gedeckte Tafel. Von seinem Anblick gelähmt, waren sie nicht in der Lage, zu fliehen. Gierig grub er seine Klauen in das warme Fleisch. Seine weiß-blauen Augen strahlten vor Glückseligkeit und seine Flügel zitterten in wilder Erregung, während er eine schwarze Seele nach der anderen in sich aufnahm.
Das Vorletzte, was der durch laute Geräusche aufgescheuchte Bewohner dieses Hauses sah, war ein bluttriefendes, riesiges menschenähnliches Wesen mit kräftigen Flügeln. Sein letzter Blick galt den schlanken Fingern, welche seinen Hals zerfetzten. Das Knirschen, als das Wesen ihm den Schädel zerbiss, hörte er schon nicht mehr.
Noch immer hungrig machte die Kreatur sich auf den Weg in das Innere des Gebäudes.
„Es war eine alte Frau und sie hat die ganze Zeit gejammert. Das musst du doch auch gehört haben!“
Mit ihren großen blauen Kulleraugen sah Freya ihren Bruder an. Er war 13 Jahre alt und genau drei Minuten älter als sie. Das gab ihm eine gewisse Überlegenheit ihr gegenüber. Jedenfalls war das seine ganz persönliche Meinung.
„Das war bestimmt eine Winselmutter“ antwortete er ihr mit ernstem Gesicht „und du weißt, was das bedeutet. Du wirst bald sterben.“
„Oh Baldur, du bist so gemein!“
Freya rümpfte ihre kleine Stupsnase und rannte aus dem Zimmer. Durch das Fenster konnte Baldur ihren blonden Haarschopf zwischen den Bäumen verschwinden sehen.
Es war so leicht, Freya zum Weinen zu bringen oder sie wütend zu machen. Er würde sich nachher bei ihr entschuldigen. Im Moment sonnte er sich jedoch erst einmal ausgiebig im Gefühl seiner Stärke. Allerdings nur ganz kurz.
„Hast du deiner Schwester gerade erzählt, dass sie sterben muss, weil sie eine Winselmutter gesehen hat?“
Der drohende Unterton in Gerdas Stimme war nicht zu überhören
„Warum musst du sie immer so erschrecken? Du weißt doch ganz genau, wie ängstlich sie ist!“
„Aber sie hat doch selber davon angefangen“ versuchte Baldur, sich zu verteidigen „Angeblich stand heute Nacht eine jammernde alte Frau an ihrem Bett.“
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