Neu erfinden wollten die Franzosen die Rasse natürlich nicht, sondern man beschloss, weitere Hengste und Stuten aus England zu importierten, das auch im Gestütsbuch Frankreichs entsprechend zu verankern, und den französische Vollblüter mit dem Namen „Pur-Sang Anglais“ zu bezeichnet.
Seymour und Orléans lenkten die Geschicke des Sports bis jener einen Unfall hatte, Seymour Rennstall und Gestüt verkaufte, und 1835 M. Anne-Edouard de Normandie das Präsidentenzepter Zepter übernahm. Bis dahin hatte Seymour während seiner Präsidentschaft dem französischen Rennsport jedoch erhebliche Dienste erwiesen, den Bois de Boulogne „erschlossen“, eine neue Bahn zu Chantilly erbaut und 1836 den Prix du Jockey Club über 2400 Meter als das französische Equivalent zum Epsom Derby etabliert. Heute hat Frankreich Rennen im ganzen Land, eine starke Zucht, zahlt hohe Rennpreise, diverse Prämien und setzt auch moderne Marketingideen um. Zu diesen zählt auch die jährliche „Route des Etalons“, bei der 2016 bereits zum siebten Mal die großen Gestüte – mit Schwerpunkt Normandie – für zwei Tage ihre Tore öffneten. Und neu eröffnet wird, wahrscheinlich aber erst 2018, die neu gestaltete Rennbahn Longchamp, die Heimat des Prix de l’Arc de Triomphe, die 60.000 Besuchern Platz bietet.
Lord Seymour, der neben Hengsten auch Stuten aus England einführte, hatte mit dem Ankauf des Catton-Sohnes Royal Oak (1923) aus der Zucht von R. Harrison eine besonders glückliche Hand bewiesen, denn dieser sehr gute Beschäler zeugte auch die Stute Poetess (1838), die für Seymour den vierten und letzten Derby-Treffer in Frankreich sicherte, und auf die dortige Zucht erheblichen Einfluss nahm. Ihr vom The Emperor stammender Sohn Monarque (1852), das beste Pferd seiner Zeit in Frankreich und Derbysieger, gewann 1857 für die Franzosen auch den zweiten Goodwood Cup, nachdem 1853 die 1850 von dem Royal Oak-Enkel Sting gezogene Oaks- und Derbysiegerin Jouvence in England in diesem Rennen den Anfang gemacht hatte.
Wesentlich wichtiger war jedoch die Tatsache, dass Monarque der Vater von Gladiateur wurde, der 1865 den Engländern mit seinem dortigen „Triple Crown-Sieg“ bewies, auf welchem Level die französische Zucht inzwischen angekommen war. Sein Besitzer Graf Frederic de Lagrange hatte bereits ein Jahr früher die heimischen Oaks gewonnen und gab in den folgenden 15 Jahren, gemeinsam mit einem Partner, eine Menge Geld aus, um die Zucht zu verbessern. Als Erfolge konnten damals auch Sieger in den 1000 und 2000 Guineas, als auch im St. Ledger gefeiert werden.
Während damals die Klassiks, wie in vielen anderen Ländern auch, nur für Inländer offen waren, war der 1863 neu geschaffene Große Preis von Paris über 3.000 Meter schon im Gründungsjahr ein internationales Rennen, denn er galt als das Aushängeschild Frankreichs, in dem sich die heimische Zucht mit den besten Dreijährigen des Auslandes messen sollte.
Der 1862 vom Cte.F. de Lagrange gezogene Gladiateur gewann Englands Triple Crown (Foto: repro eines Druckes von C. Carnie)
Diese erste Ausgabe (100.000 Franc – die Hälfte davon spendierte die Stadt, die fünf größten Eisenbahngesellschaften des Landes den Rest) gewann dann auch der von Henry Saville gezogene Voltigeur-Sohn The Ranger in den Farben seines Züchters. Ein Jahr später belegte der Sieger noch einen Ehrenplatz im Goodwood Cup, ehe er in Irland, Frankreich und England als Deckhengst agierte. Heute wird das Gruppe-I-Rennen über 2.400 Meter gelaufen, ist mit 600.000 Euro dotiert, und der französische Trainer Andre Fabre konnte bisher, zwischen 1989 und 2016, dreizehn Mal den Sieger absatteln.
Der Prix de l’Arc de Triomphe wurde 1920 ins Leben gerufen, und der erste Sieger, dem Xar mit einem Doppel folgte, hieß Comrade und stammte von dem Iren Bachelors Double. Anschließend sorgte Marcel Boussac mit seinen Gestüten und den drei großen Deckhengste Pharis (1936; Pharos), Tourbillon (1928; Ksar) und dem von Baron M. de Rothschild 1923 gezogenem Teddy-Sohn Asterus dafür, dass die französischen Pferde zwischen 1945 und 1955 international auftrumpfen konnten. Andere Größen der französischen Vollblutzucht waren F. Dupre oder J. -L- Lagardere, während die Wertheimers oder Heads und der Aga Khan die bekanntesten Namen im zweiten Jahrzehnt des dritten Jahrtausends sind.
Frankreichs Rennsport und Zucht, die derzeit mit Le Havre (2006; Noverre), Kendargent (2003; Kendor) und Siyouni (2007; Pivotal) über drei der besten jüngeren Hengste Europas verfügt, wurden in den letzen Jahren vornehmlich durch das äußerst starke Wachstum der PMU (Pari Mutuel Urbain) geprägt, die das Wettmonopol auf Pferdewetten besitzt, bei Online-Sportwetten einer der großen Player ist und Frankreichs Rennsport finanziert. Für 2013 wiesen statistische Angaben etwa 130 Millionen aus, die in den französischen Flachrennsport flossen. Die Rennpreise für diese Sektion betrugen im gleichen Zeitraum 120 Millionen Euro, während vergleichsweise in Großbritannien lediglich rund neunzig zur Verfügung standen. Zusätzlich wurden in jener Saison „auf der Flachen“ noch 20 Millionen an Züchter- und 44 Millionen Euro an Besitzer-Prämien ausgeschüttet, und acht Millionen dienten als Transportzuschuss. Dieses gewaltige PMU-Wachstum dürfte jedoch auch nicht unendlich sein, und vielleicht schon in wenigen Jahren Rennpreise und Prämien beeinflussen. 2017 wird im „Arc“ auch eine andere AG-Skala zur Anwendung kommen, die Dreijährigen nur noch 6,6 Pfund Gewichtsunterschied gibt (statt bisher 7,7), denn die Dreijährigen sind heute frühreifer als vor 100 Jahren. Nachdem das EUROPÄISCHE-PATTERN KOMITEE diese Studie erstellt hatte, blieb den Autoritäten keine andere Chance, als das zu ändern.
Italien verdankt seine Vollblutzucht einem einzigen Mann, Frederico Tesio, dessen Zucht die ganze Vollblut-Welt beeinflusste, und dessen Nachfolger ab 1966, das Dormello-Oligata Stud, noch einiges beisteuerte. In seinem Buch „The Classic Racehorse“ weist Peter Willett darauf hin, dass 1966 die Pedigrees prominenter Pferde in England und Irland 62,5%, und in denen der Stakes-Sieger in den USA, Kanada und Mexiko im gleichen Jahr 36,99% „Dormello-Blut“ enthielten. Im Frühjahr 1938 bot Tesio den dreijährigen Nearco (Donatello II und Ribot komplettierten sein Weltklasse-Trio) in England zum Kauf an, weil er in ihm eher „einen Sprinter“ sah, und ein solcher im englischen Rennsystem dann besser aufgehoben gewesen wäre. Verkauft wurde der Hengst auf die Insel aber erst nach seinem Triumph im Großen Preis von Paris über 3.000 Meter, zu dem Tesio in seinen Aufzeichnungen notierte „kein wirklicher Steher; er gewann die langen Rennen nur dank seiner herausragenden Klasse und seines brillanten Speeds“. Und als brillantes Mitteldistanz-Pferd feierte er dann auch seine Gestütserfolge. 25 Jahre nach Tesios Tod war sein züchterischer Einfluss noch immer spürbar, und Englands Derbysieger von 1979, der Petingo-Sohn Troy, hatte drei Kreuzungen von Nearco und zwei von Donatelllo im Pedigree, Stallions, die Tesio gezogen hatte.
In Italien, wo in den 1970er Jahren kaum mehr als 1.000 Fohlen pro Jahr geboren wurden, wurde jedoch das von Tesios späterem Partner Mario Incisa fortgeführte Dormello-Olgiata immer unbedeutender, und auch die Auflösung des Razza del Soldo schwächte die heimische Zucht weiter. 1966 wurden die Rennpreise um 27% angehoben, und die meisten der wichtigsten Rennen auch für im Ausland gezogene Pferde geöffnet (Derby und Oaks folgten jedoch erst 1981), doch hatten diese Maßnahmen nicht den gewünschten Effekt. Italienische Besitzer kauften Jährlinge in England, Irland und Frankreich, und ausländische Starter gewannen viele große Rennen. In den 1970er Jahren kamen soziale und ökonomische Probleme hinzu, die ein starkes Investment in die Vollblutzucht Italiens nicht förderten, sodass reiche Italiener ihre Rennsportinteressen ins Ausland verlegten. So gewann Carlo Vittadini mit seinem in England stationierten Grundy das Epsom Derby 1975, und sein Landsmann Carlo d’Alessio freute sich über die Siege in den 2000 Guineas 1975 und 1976, die ihm die in Irland gezogenen Balkonski und Wollow sicherten, während ihm die Doppelerfolge von 1979 und 1980 im Ascot Gold Cup Le Moss bescherte, der ebenfalls ein Ire war. Italienische Gruppensiege im Ausland gab es kaum, und in den letzten Jahren verlor sogar das Italienische Derby seinen höchsten Status, und auf die Auszahlung der Renngewinne und „Prozente“ mussten die Beteiligten oft sehr lange warten. Auch 2016 hatte sich das kaum geändert, denn bis Ende Oktober soll, so war von der Dachorganisation des deutschen Rennsports zu lesen, von den 2016 erzielten Renngewinnen an ausländische Besitzer noch kein Cent gezahlt worden sein. Und in Deutschland trainierte Pferde hatten im Stiefelland auch einige wichtige Rennen gewonnen. Die Zucht ist ebenfalls weiter rückläufig, und von den 624 Fohlen, die 2015 geboren wurden, erblickten 161 im Ausland das Licht der Welt, wo sie wohl auch in Training gehen werden. Gegenüber 2011, als das Stiefelland noch 1.520 Fohlen verzeichnete, war das vier Jahre später weniger als die Hälfte. Und wie lange die italienischen Rennen noch ihren internationalen Gruppenstatus behalten, oder aus dem Internationalen Pattern-Race-Programm ausgeschlossen werden, ist wohl auch nur noch eine Frage der Zeit, denn das war, wegen der äußerst schleppenden Auszahlung der Rennpreise, schon mehrfach ein Diskussionspunkt.
Читать дальше