Begreifen wir, dass wir lediglich aus Energiepartikel bestehen, die zusammentreffen und sich wieder trennen, nichts weiter als die fünf Elemente – was ist dann jenes «Ich», das wir so eifrig schützen? Und was ist der Rest der Welt, der so bedrohlich scheint?
Meditation bedeutet nach Einsicht streben. Einsicht ist das Ziel der buddhistischen Meditation. Die Techniken dienen dabei als Werkzeug. Ihr nutzt sie, so gut ihr eben könnt. Jeder geht mit Werkzeug ein wenig anders um. Je geschickter wir damit umzugehen lernen, desto einfacher und schneller erzielen wir Resultate. Die volle Aufmerksamkeit muss jedoch auf das Werkzeug gerichtet sein und nicht auf das eventuelle Resultat. Erst dann können sich Geschicklichkeit und Leichtigkeit entwickeln.
Es gibt viele verschiedene Meditationstechniken. Im «Weg zur Reinheit» sind vierzig erwähnt. Diese Techniken richten sich aber nur auf zwei Ziele: Ruhe und Einsicht. Diese beiden gehen Hand in Hand. Wissen wir nicht, in welche Richtung wir gehen, ist es höchst unwahrscheinlich, dass wir unser Ziel erreichen. Wir müssen unseren Weg kennen, um ihn gehen zu können.
In beidem – Ruhe und Einsicht – müssen wir uns üben, um tatsächlich die Resultate zu erzielen, die in der Meditation möglich sind. Jeder sucht nach innerem Frieden, nach dieser Empfindung glücklicher Zufriedenheit. Wer in der Meditation auch nur ein Zipfelchen davon erhascht, fühlt sich richtig glücklich und will mehr davon haben. Mit einem hübschen Anteil daran wären die meisten schon zufrieden. Doch dazu ist die Meditation nicht da.
Die Ruhe, der innere Frieden, ist ein Hilfsmittel und dient einem Zweck: Ruhe ist das Mittel – Einsicht das Ziel. Hilfsmittel sind wichtig und notwendig, dürfen aber nie mit dem eigentlichen Ziel verwechselt werden. Weil es hier aber um eine so ganz und gar angenehme Erfahrung geht, erwächst daraus eine neue Anhaftung.
Unser ständiges Problem ist, dass wir festhalten wollen, was uns angenehm ist, und zurückweisen, was uns nicht gefällt. Weil wir das zu unserem Lebenszweck machen, hat unser Leben keinen wirklichen Zweck. Es ist unmöglich, alles Unangenehme auszuschalten und nur das Angenehme zu behalten. Solange wir das als Ziel betrachten, haben wir kein Ziel. Das Gleiche gilt für die Meditation.
Wie können wir also zu etwas Ruhe finden, und was haben wir davon? Halten wir unsere Aufmerksamkeit auf den Atem gerichtet, wird irgendwann Ruhe einkehren. Der Geist wird einen Moment aufhören zu denken und sich entspannen. Ein denkender Geist wird nie zur Ruhe kommen, weil der Denkprozess an sich Bewegung ist und Bewegung immer ablenkend wirkt. Dennoch kann für einen Augenblick Ruhe einkehren, und wir können ihn vielleicht sogar verlängern. Je länger wir üben, umso mehr sind wir dazu imstande. So schwer ist es gar nicht. Anfangs mag es schwierig scheinen, aber alles, was wir brauchen, ist Geduld und Entschlossenheit, ein wenig gutes Karma 1und einen ruhigen Platz.
Wir alle verfügen über ein wenig gutes Karma, sonst säßen wir nicht hier. Menschen, die viel schlechtes Karma geschaffen haben, kommen in der Regel nicht zu einem Meditationsseminar. Kommen sie trotzdem, dann bleiben sie nicht. So muss also das gute Karma bereits vorhanden sein.
Was die Geduld anbelangt – allein schon damit wir hierbleiben, müssen wir Geduld haben. Hinzu kommt ferner Entschlossenheit. Wenn ihr euch zum ersten Mal hinsetzt, fasst einen Entschluss: «Ich will wirklich bei meinem Atem bleiben, und jedes Mal, wenn ich abschweife, fange ich wieder von vorn an.» Das ist eine regelrechte Gratwanderung. Jedes Mal, wenn ihr abschweift, müsst ihr euch erneut dem Atem zuwenden. Dazu braucht man Entschlusskraft.
Tritt jenes ruhige und angenehme Empfinden ein, das der Buddha als wohltuendes Verweilen bezeichnet hat, so wird es wieder verschwinden, weil alles, was entsteht, keine Dauer hat. Unsere erste Reaktion darauf sollte der Gedanke an die Vergänglichkeit sein. Wir sollten nicht denken: «Oje, jetzt ist es fort.» Oder: «Das war gut. Wie kann ich es bloß von neuem hervorrufen?» Denn dies entspräche dem gängigen Reaktionsmuster.
Dem Dhamma gemäß zu leben und die entsprechenden Erfahrungen zu machen ist ungewöhnlich. Es ist die Umkehrung dessen, was die große Mehrheit der Menschen tut und eine eigene Sicht der Dinge. Als der Buddha vor seiner Erleuchtung unter dem Bodhi-Baum saß, brachte Sujata ihm Milchreis in einer goldenen Schale, die sie ihm schenken wollte. Buddha warf die leere Schale hinter sich in den Fluss und erklärte, falls die Schale stromaufwärts schwimme, werde er erleuchtet werden. Natürlich schwamm die Schale stromaufwärts. Kann denn irgendetwas stromaufwärts schwimmen? Diese Geschichte besagt, dass wir gegen den Strom schwimmen müssen, unseren natürlichen Instinkten und Neigungen entgegengesetzt, wenn wir uns auf den Weg des Dhamma begeben. Wir müssen uns gegen das wenden, was so einfach und angenehm ist, dass jedermann es tut. Es ist viel schwieriger, gegen den Strom zu schwimmen, als sich von der Strömung treiben zu lassen.
Das wohltuende Verweilen, das angenehme Empfinden, das man zuerst im Körper und dann auch im Geist wahrnimmt und schließlich als ganz und gar friedvoll empfindet, muss ebenfalls vorübergehen. Wir müssen seine Vergänglichkeit anerkennen. Erst dann können wir es einem bestimmten Zweck nutzbar machen. Erkennen wir seine Vergänglichkeit nicht an, dann wollen wir es bloß zum eigenen Nutzen verwenden. Doch alles, was wir nur für uns allein besitzen, stärkt unser Ego, und wir lösen uns nicht von ihm, wie es den grundlegenden Lehren des Buddha entspräche.
Alles in den Lehren des Buddha ist darauf ausgerichtet, dieses Ego aufzugeben. Er hat gesagt: «Nur eins lehre ich: Das Vorhandensein von Leid und wie ihr ihm ein Ende setzen könnt.» Das heißt allerdings nicht, dass alles Leid auf der Welt ein Ende erreicht. Es bedeutet, wenn kein Ich da ist, das auf Leid reagiert, wird es kein Leid mehr geben. Wenn niemand ein Problem hat, wie können dann Probleme existieren? Setzen wir allerdings das wohltuende Verweilen als Mittel für das eigene Wohlbefinden ein, so ist dies der falsche Weg.
Kehren wir immer wieder zur Beobachtung des Atems zurück, so führt dies dazu, dass wir zur Ruhe kommen. Der achte Schritt auf dem Edlen Achtfachen Pfad – die Rechte Sammlung – bedeutet meditative Vertiefung. Der Versuch, beim Atem zu verweilen, weist in diese Richtung. Doch in diese meditative Vertiefung kann man nicht dadurch eintreten, dass man sich mit der Absicht, sie zu erreichen, ein- oder zweimal zum Meditieren hinsetzt. Das braucht Zeit. Alles das, was während der Konzentration auf den Atem auftaucht, sollte zur Einsicht genutzt werden. Gedanken, die in der Meditation auftauchen, sind weder ein Störfaktor noch ein Hinweis darauf, dass man nicht zum Meditieren taugt; oder dass es zu heiß oder zu kalt, zu unbequem, zu spät oder zu früh ist – nichts von alldem trifft zu. Gedanken wollen uns nicht stören. Sie sind Lehrer, die uns etwas beibringen wollen. Letzten Endes sind wir alle selbst unser Lehrer und unser Schüler, und das ist gut so. Wir müssen allerdings wissen, worauf wir zu achten haben, damit wir etwas lernen können.
Jeder Gedanke ist ein Lehrer. Zuallererst lernen wir etwas über die Unlenkbarkeit der Gedanken. Wir merken, dass unser Geist unzuverlässig ist. Gedanken tauchen auf, die wir überhaupt nicht denken wollen, weil wir viel lieber ruhig und gesammelt wären. Als Erstes können wir lernen, dass unser Geist nicht so wunderbar ist, wie wir immer angenommen haben – bloß weil wir etwas gelernt und ein Gedächtnis haben und bestimmte Fakten und Begriffe verstehen. In Wirklichkeit ist der Geist schwer in den Griff zu kriegen und unzuverlässig, weil er absolut nicht das tut, was wir von ihm erwarten.
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