Freiheit ist ein Wagnis. Freiheit erfordert Mut. Im Gegensatz zu den Tieren im Zoo ist unsere Unfreiheit aber weitgehend selbstgewählt. Wir verbringen unser Leben im Versuch, sicher und ohne Aufregung zu leben; in einem Korsett, welches wir uns selbst angelegt haben oder das wir uns ohne großen Widerstand haben anlegen lassen. Ein Korsett, das sich manchmal zwar recht eng anfühlt und uns die Luft zum Atmen nimmt, aber uns auch Form und Halt gibt. Wenn uns davon schwindelig wird, laufen wir zum Arzt und schlucken Pillen. Wenn uns das Korsett schmerzt, laufen wir zum Arzt und schlucken Pillen. Wenn es uns die Luft abschnürt und uns die Freude am Leben nimmt – erraten –, laufen wir zum Arzt und schlucken Pillen.
Wenn wir nicht in einem real existierenden Gefängnis sitzen oder an einer sehr schweren Krankheit leiden, dann sind wir in der Lage, dieses Korsett abzulegen. Wenn wir nur mutig genug dafür sind. Wenn wir uns dazu entschließen. Wenn wir handeln. Jedem Anfang wohnt ein Zaudern inne, aber wir können das Zaudern überwinden. Wir können unser Gefängnis verlassen, einen ersten Schritt tun, einen zweiten. Wir können losrennen, wir können unsere Kreise ziehen, diese immer weiter und weiter ausdehnen, wir können abheben, gleiten, fliegen, wir können frei sein.
Wir können frei sein. Wenn wir mutig sind.
Wir leben in einem freien Land, dürfen sagen und tun, was wir wollen (in den Grenzen unserer Gemeinschaftsregeln), wir werden oft sogar ermuntert (wie auch hier), uns doch mehr Freiheit zu gönnen. Aber: Wie bitte schön geht denn das? Wie überwindet man seine Ängste? Wie erlangt man Freiheit? Und: Was soll ich denn überhaupt machen, wenn ich frei wäre? Da müsste man ja auch noch Phantasie entwickeln! Es ist aber auch eine Frechheit, dass man das nirgends lernt! Freiheit kann eine echte Zumutung sein. Wenn ich frei sein will, muss ich dann selbst denken, eigene Entscheidungen treffen, vielleicht sogar die bequeme Couch verlassen? Und überhaupt: Wenn mir kein Boss, kein Kollege oder nicht einmal mein Partner vorschreibt, was ich zu tun habe, wie soll ich dann bitteschön wissen, was ich überhaupt tun soll? Im Ernst jetzt! Wie soll ich dann meine Tage füllen? Muss ich dann nur mehr Sinnvolles tun, mein Leben komplett ändern, ein Revoluzzer werden? Einer, vor dem mich meine Eltern immer gewarnt haben?
Gar nichts müssen wir! Nichts! Wenn wir glücklich sind und in uns nichts rumort, das uns sagt, dass das schon ein bisschen arg wenig ist, was wir aus unserem Leben machen, weil wir uns einlullen lassen von langweiligem Fernsehen, langweiligen Jobs und noch langweiligeren Menschen um uns, wenn wir diese Gedanken und Gefühle nicht kennen, dann ist das auch in Ordnung. Legen wir das Buch zur Seite, oder gleich ab damit zum Altpapier. Ah, gut, weg damit! So und jetzt schauen wir mal, was im Fernsehen läuft.
Wenn es aber doch ein wenig in uns rumort (wovon ich ausgehe, hätten Sie sonst Ihre Nase in dieses Buch gesteckt?) und wenn wir unser Leben ein wenig freier gestalten, unsere Fühler ein wenig weiter ins Leben ausstrecken, uns auf neue Dinge und Menschen einlassen, Vertrauen vermehren und Kontrolle abgeben und wagen, auch mal verwundbar, dafür aber lebendiger und wahrscheinlich auch glücklicher zu sein, dann können uns die folgenden Seiten vielleicht (ach, was sage ich: sicher!) dabei behilflich sein. Eines aber wird uns nicht erspart bleiben: von der Couch aufzustehen und zu trainieren, freihändig zu gehen. Freiheit erlangt man nämlich nicht durch das Lesen, sondern indem man nach der (Pflicht-) Lektüre das heimische Gehege mitsamt seinen sicheren Geländern, an denen man sich sein Leben lang festgehalten und abgestützt hat, ab und zu auch tatsächlich verlässt.
Aber, Damen und Herren, das Ganze bitte spielerisch angehen. Leicht und locker. Wer meint, jetzt bierernst unbedingt und sofort über alle seine Ängste hinwegsteigen und frei sein zu müssen , der hat schon verloren. Nix muss. Alles darf.
Und bitte kein zu schnelles Tempo, no stress ! Suchen Sie sich einfach die Dinge aus, die für Sie persönlich wichtig sind, die Ihr Ding sind, die Sie der Freiheit näherbringen, die Sie sich für sich selbst wünschen. Es geht nicht darum, möglichst viel von den folgenden Vorschlägen umzusetzen, sondern dass man sich das heraussucht, was einen selbst weiterbringt.
Freiheit kann gelingen, wenn man die eigenen Grenzen elastischer macht, sich an die selbstgezogenen Grenzen heranwagt, diese nach und nach überschreitet und so seinen Spielraum erweitert. Vielleicht wäre es ein guter Ansatz, sein Leben tatsächlich als Spielraum zu betrachten, als einen Raum zum Spielen, der Möglichkeiten enthält und nicht nur Pflichten; der Spiele zulässt, die uns guttun und wirklich Freude bereiten.
TEIL 1
Selbstbestimmt leben
„Ich werde eine gutgelaunte Alte sein,
die nichts ausgelassen hat
und sich eines fernen Tages
rückwärts ins Grab kippen lässt,
fröhlich pfeifend und ohne jedes Bedauern.“
MEIKE WINNEMUTH
Leben ohne Bedauern
Wir haben unser Gefängnis verlassen. Wir tun genau das, was unser Ding ist, was uns guttut, was uns erfüllt. Wir lieben jeden Tag, schlagen ihn nicht mit Fernsehen und Computer tot, atmen frische Luft und fühlen uns frei. Jeder Tag ist derart erfüllt mit Leben, dass wir abends müde und mit dem wohligen Gefühl eines gelungenen Tages in die Federn sinken. Endlich fühlen wir uns voll und ganz, ein jeder Tag fühlt sich an wie echtes Leben, ganz anders als früher, als unser Dasein aus nichts anderem bestand als aus Tagen und Nächten, die abgespult wurden, die verrannen ohne Sinn, ungelebt.
Liebe Leserin, werter Leser, wenn Sie Obiges für sich bejahen können, dann schlagen Sie das Buch zu, Sie brauchen es nicht. Wenn Sie dagegen sagen: „Ja, das klingt wie ein lohnendes Ziel, eines, das bitteschön nicht in ferner Zukunft liegen soll, sondern das ich sofort ansteuern möchte“, dann machen wir weiter.
Bevor Veränderung stattfinden kann, bedarf es einer Analyse des Ist-Zustandes, und der sieht sehr häufig so aus: Viele von uns arbeiten mehr, als sie leben. Die meiste Zeit des Tages geht für Gelderwerb verloren. Wenn wir uns unsere Tage, Wochen, Jahre ansehen und ehrlich zu uns sind, kommen wir zu der Erkenntnis: Es war und ist immer derselbe Jammer. Zu viel Arbeit, zu wenig Leben. Viel Arbeit plus viel Leben ist zwar möglich, doch nur, wenn wir absolut das machen, was unser Ding ist, das, was uns tatsächlich Freude macht. Eine Tätigkeit, die wir, auch ohne Geld dafür zu bekommen, liebend gern machen würden. Noch sind die meisten von uns nicht so weit, wir tun immer noch Dinge, nur um das wirtschaftliche Überleben zu sichern. Wir leben nach dem Motto: Karriere oder Leben.
Ein Ist-Zustand, der für so viele von uns „normal“ ist: Schule, Job, Familie, Pension. Kinder großziehen, Kredite abbezahlen. Aufstehen, arbeiten, fernsehen. Wir sind eingespannt in die vielen Pflichten und Gewohnheiten unserer Tage. Wir nehmen sie ernst, pflichtbewusst und ohne nachzudenken erledigen wir roboterhaft das, was von uns erwartet wird oder wir uns selbst auferlegen. Jeder Tag gleicht dem anderen, ab und zu gibt es ein Highlight, doch im Großen und Ganzen sind unsere Tage vorgegeben. Aus Tagen werden Monate, aus Monaten Jahre, aus dem jungen Menschen einer im besten Alter und bald schon unterhält man sich mit anderen über Krankheiten und Pensionsanspruch. Unsere Zeit verrinnt, ohne Leben, subjektiv haben wir also gar nicht gelebt, wir werden alt an Jahren, ohne dass wir es bemerken. Die Tage, Wochen, Monate, Jahre, wo sind sie geblieben?
Wir leben oft so, als würden wir ewig leben. Sehen wir eine Gelegenheit, die uns im Leben voranbringen oder uns Freude bereiten könnte oder durch die wir Menschen kennen lernen könnten – was tun wir? Wir lassen die Gelegenheit vorüberziehen. Man muss ja nicht alles haben. Morgen ist auch ein Tag. Das nächste Mal. Es passt jetzt nicht so gut. Wer weiß, was da herauskommt. Es ist auch so ganz nett.
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