Sie lachte vor Freude und rief mir mit deutschem Akzent ein „good morning, how are you?“ entgegen. „Good morning“, antwortete ich und meinte, ob sie denn auch aus Deutschland sei. „Yes“, sagte sie, und ich war neugierig, was denn der Grund für ihre Freude war, ob ich denn irgendwo etwas verpassen würde?
„Wir machen heute einen Ausflug über die Insel, haben einen Jeep gemietet und fahren nachher gleich los.“ Ich wünschte ihr viel Spaß und ging später mit Anna frühstücken.
Am frühen Abend sah ich dieselbe Frau mit einer Whiskeyflasche in der Hand alleine im Sand sitzen, die Hälfte war schon geleert und Tränen rollten über ihr Gesicht.
„Was ist denn passiert?“, fragte ich neugierig und etwas besorgt, und sie meinte: „Wir hatten einen so schönen Tag heute und jetzt ist alles vorbei.“
Ich wollte ihr meine neu gewonnenen Weisheiten über Vergänglichkeit und Unbeständigkeit, über Anhaften und Loslassen nicht aufdrängen, sagte irgendetwas Freundliches zu ihr und ging zurück zu unserer Hütte, wo die folgenden Worte aufs Papier flossen:
In einer Welt …
… die ständig auseinanderfällt,
das ewige Bemühen, den Mangel auszugleichen.
… und das gezwungene Lächeln,
das den Schmerz des Menschseins übertünchen soll.
Was soll’s!?
Im Gleichschritt der Zeit ein Überdauern der Ewigkeit!?
Das wär’s.
Sogar sie ist zu überwinden.
Aber der Wind bewegt auch weiterhin
die Blätter – auch die geistigen,
und sie füllen den Raum.
Müde Gesichter im Blick nach hinten
und sorgenvolle in der Schau nach vorne.
Nichts bleibt zu tun.
Die Lasten können abgesetzt werden,
aber niemand scheint es zu interessieren.
Es ist eine Entscheidung,
doch worauf kommt es an?
Das Lachen eines Kindes
weiß nichts vom Morgen
und Schokolade
schmeckt niemals besser als jetzt.
Liebe und Hingabe ohne zweites Gesicht.
Das ist die Unschuld eines Kindes.
Es weiß (noch) nichts
und hat auch noch nicht vom Apfel
der zweifelhaften Erkenntnis genascht.
Die Teufel warten aber schon
ganz geduldig und ohne Eile,
und Engel hoffen im Hintergrund.
Das Locken ist mächtig,
das Ziehen und Drücken.
Überall ist alles
zu sehen, zu hören,
zu riechen, zu schmecken.
Beim Abschied, erst dann,
wird es fade und öde,
ausgelutscht, zerfallen und spröde.
Doch dann ist es einfach
nur das, was es ist.
Und hier natürlich auch
das, was es war.
Was bleibt, wenn alles geht?
Da lacht die Dunkelkammer
und öffnet das Licht.
Heiter soll’s aber auch sein,
und wenn
auch nur
ein wenig.
So kann’s bleiben?!
1 Ajahn: bedeutet auf Thailändisch allgemein Lehrer und wird Adschaan ausgesprochen
2 Dhamma: a. die Lehre des Buddha, b. die Natur und deren Gesetzmäßigkeiten, c. die Wahrheit uvm.
3 Vipassana: bedeutet klares Sehen
Bangkok – Tokio – Berlin
Annas Flugzeug würde in drei Tagen in Bangkok Richtung Tokio abheben. Wir packten unsere Rucksäcke, verabschiedeten uns von unseren Freunden, von Jomana und Garun, die das Restaurant betrieben, und dann machten wir uns mit dem Nachtzug auf den Weg nach Bangkok.
Wir stiegen im Malaysia Hotel ab, verbrachten den folgenden Tag in Chinatown und den Straßen von Bangkok, den großen Kaufhäusern, machten eine Schifffahrt auf dem Chao-Phraya-Fluss, gingen noch irgendwo essen und am nächsten Abend fuhren wir mit dem Taxi zum Flughafen.
Es fühlte sich für mich nicht wie ein langer Abschied an, denn wir waren im Laufe unserer Beziehung ja schon öfters einige Monate getrennt und irgendwie gehörten diese Phasen der ‚Trennung‘ scheinbar zu unserer Beziehung. Es hatte also nichts Beunruhigendes oder Trauriges oder gar Dramatisches. Anna freute sich darauf, nach Japan zu fliegen und eine neue Erfahrung zu machen, und ich freute mich darauf, mich mit der Meditation und der Lehre Buddhas eingehender zu beschäftigen, auch wenn das in den nächsten Monaten in Berlin sein würde statt in einem Kloster.
Im Flughafengebäude fanden wir noch zwei freie Plätze in einem Restaurant, tranken noch eine Cola und aßen einen Hamburger. Dann brachte ich sie zum Check-in. Dort umarmten wir einander innig und verabschiedeten uns mit einem liebevollen Kuss und ich wünschte ihr alles Gute in Japan. Natürlich wollten wir in Kontakt bleiben, ab und zu mal schreiben, ab und zu mal telefonieren. Dann ging alles sehr schnell. Ihr Flug wurde aufgerufen, sie ging zum Check-in und weg war sie. Mutige Frau, dachte ich so bei mir, als ich den Flughafen verließ und mich ein Taxi zurück ins Hotel fuhr.
Ich hatte noch drei Tage in Bangkok, bis auch mein Flieger nach Berlin zurückflog. Ich wandte mich wieder der Meditation zu. Auf der Dachterrasse des Hotels übte ich mich in Gehmeditation, ging tagsüber zur Schlangenfarm, machte ein paar Ausflüge, besuchte das Kloster Wat Po, kaufte mir ein Buch über Zen-Buddhismus, verbrachte ein paar Stunden den Spiegel lesend im Goethe-Institut und war alles in allem zufrieden mit dem, wie es gerade war.
Im Goethe-Institut kam ich mit einem Deutschen ins Gespräch.
Er hatte sich kürzlich mit einer Thailänderin vermählt und freute sich darauf, den Rest seines Lebens in diesem wunderbaren Land zu verbringen. Doch er hatte die Rechnung ohne den Wirt gemacht und nicht daran gedacht, mit seiner Frau, die mittlerweile von ihm schwanger war, zu besprechen, an welchem Ort sie zukünftig gemeinsam leben wollten. Wie sich dann herausstellte, war sie der festen Überzeugung gewesen, dass sie gemeinsam nach Deutschland gehen würden, um dort zu leben. Der junge Mann wirkte recht verzweifelt.
Die Griechen prägten für diesen Zustand das Wort ‚Dilemma‘, und auf Thai heißt das: Glühn mai gao, gleih mai ork – was so viel bedeutet wie: ‚Man kann es nicht herunterschlucken, aber auch nicht ausspucken.‘
Ich wünschte ihm trotzdem alles Gute und war froh, nicht in seiner Haut zu stecken.
Zurück in Berlin
Das Flugzeug landete irgendwann mittags in Berlin, ich nahm Bus und S-Bahn und war wieder in Berlin-Moabit. Mein Bruder Reinhold, der mittlerweile bei mir wohnte, war gerade in Fulda und ich schlief erst mal für den Rest des Tages. Ich hatte noch keine Lust, irgendjemanden zu sehen. Ich kaufte ein paar Lebensmittel und verbrachte den Abend bei mir, mit mir, und es fühlte sich gut an. Ich spürte weiterhin diese innere Gesammeltheit und Gelassenheit, meditierte ein paar Stunden und genoss die Ruhe und Stille und das Schweigen, denn es war ja niemand da, und die Geräusche der Straße störten mich nicht.
Am nächsten Tag traf ich dann meine Freunde und Bekannten wieder.
Ich wohnte im zweiten Stock eines vierstöckigen Hauses und fast direkt unter mir machte eine neue Kneipe auf. Die Betreiber waren ehemalige Mitglieder der „Bewegung 2. Juni“, ein Ableger der RAF. Sie wurden durch die Lorenzentführung berühmt und berüchtigt, und nachdem sie ihre Haftstrafe abgesessen hatten, eröffneten einige von ihnen diese Kneipe, die sie bezeichnenderweise ‚Untergrund‘ nannten.
Fritz Teufel saß immer mal morgens dort und frühstückte und ich lernte Gerald, der als Geschäftsführer fungierte, kennen und mögen. Er war einer der Köpfe der „Bewegung 2. Juni“ gewesen. Seine Frau hatte, glaube ich, sieben Jahre auf ihn gewartet, bis er wieder aus dem Gefängnis entlassen wurde. Wir trafen uns regelmäßig im ‚Untergrund‘, tranken Bier, aßen Pommes, spielten Karten und ließen die Zeit an uns vorüberziehen.
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