Wir saßen auf Bastmatten auf dem Boden und waren angehalten, uns dreimal zu verbeugen, auch das war hier so Brauch.
Er begann auf Thai zu sprechen und Santikaro übersetzte: „Liebe Freunde im Dhamma. Ihr seid aus vielen Ländern der Welt gekommen und reist von einem Ort zum anderen – um was zu finden? Ihr alle sucht Freude, Glück und Erfüllung und versucht es irgendwo da draußen zu bekommen. Dann merkt ihr irgendwann, dass es da nichts zu holen gibt, und reist dann weiter in der Hoffnung, euer Glück und eure Erfüllung woanders zu finden.
Schließlich seid ihr hier in Suan Mokkh gelandet und habt nun diese Tage erlebt. Ich hoffe, ihr habt etwas inneren Frieden gefunden, habt vielleicht erkannt, dass Leiden und Unzufriedenheit immer dann entstehen, wenn wir an etwas anhaften und festhalten wollen. Alles, was es gibt, hat drei universelle Merkmale: Es ist unbeständig. Wenn wir daran festhalten, entsteht Leid, und alle Dinge, auch wir Menschen, haben keinen Selbstbestand oder Wesenskern. Da gibt es kein ‚Ich‘ oder ‚Mein‘, das sich nie ändert.“
Er sprach noch eine Weile in dieser ruhigen, freundlichen und sicheren Klarheit und verabschiedete uns mit seinen besten Wünschen.
Nein, ich musste nicht alles verstehen, was ich da hörte, aber ich fühlte plötzlich dieses tiefe Vertrauen zu diesem Mann. Er bestand darauf, dass man nichts glauben solle, bezeichnete sich selbst nicht als Lehrer, sondern als Kalyanamitta , was so viel wie ‚spiritueller Freund‘ bedeutet. Wenn man etwas nicht verstehen würde, riet er an, dann solle man es nicht gleich wegwerfen, sondern zur Seite legen und es irgendwann wieder hervorholen und kontemplieren. All das kam mir sehr entgegen.
Später hatte ich einen Traum, in dem er vorkam, welcher die Haltung symbolisiert, die er als spiritueller Freund einnahm: Ich träumte, dass wir gemeinsam einen Hügel hinaufgehen und oben angekommen, werde ich von einem unglaublichen Glücksgefühl durchflutet. Ich strecke meine Arme nach oben aus und helle Lichtstrahlen und Blitze strömen rechts und links von den Bäumen in meine Hände, in meinen Körper und laden mich mit diesem unglaublichen Glücksgefühl auf und ich fühle mich mit dem ganzen Universum verbunden. Als dieses Strahlen vorbeigeht, bin ich erfüllt von tiefer Dankbarkeit und großer Freude. Ajahn Buddhadasa steht ein paar Meter vor mir und ich gehe auf ihn zu, will ihn umarmen und mich bedanken. Er aber hält eine Hand hoch und sagt nur: „Ich habe nichts damit zu tun!“
Die zehn Tage waren vorbei und das Schweigen wurde ‚gebrochen‘.
Es war seltsam, dass ich das Gefühl hatte, viele der Teilnehmer gut kennengelernt zu haben, obwohl ich mit den meisten nie gesprochen hatte. Ich bedankte mich bei Santikaro, bei Ajahn Ranschuan, gab eine Spende ab, verabschiedete mich von dem ‚Engel‘, der nun ein ganz normaler Mensch war, von dem ‚blöden Franzosen‘, den ich wiedertreffen sollte, Jean war sein Name und wir wurden später Freunde.
Zurück auf die Insel
Der Bus würde bald nach Surat Thani abfahren.
Ich war bei mir, fühlte mich sehr gesammelt, mir fielen Dinge auf, die ich sonst nie beachtet hätte: ein Kieselstein am Wegesrand, ein Blatt im Wind, die bunten Farben der exotischen Blumen, Gedanken, Gefühle. Nichts störte mich, weder der Lärm der anfahrenden Mopeds noch die längere Wartezeit später an der Fähre. Ich hatte keine Eile, irgendwo hinzukommen, und doch war ich gespannt darauf, Anna wiederzusehen.
Auf der Fähre angekommen, legte ich mich auf meinen Platz und ohne, dass ich es wollte, kamen plötzlich die Bilder unserer ersten Begegnung in meinen Sinn.
Anna
Sie war damals gerade von München nach Berlin gezogen, um zu studieren. Eines Nachts hatte Anna ihren Wohnungsschlüssel vergessen und ihre Gastgeberin hatte ihr Klingeln nicht gehört. So machte sie sich auf ins Pressecafé am Zoo, wo man um diese Zeit schon frühstücken konnte.
An diesem frühen Morgen kam ich gerade von einer Party aus Spandau nach Hause. Müde war ich noch nicht und im Hinterhof brannte in Burkhards Wohnung noch Licht. Ich war hocherfreut, lud ihn zum Frühstücken ein und wir machten uns auf den Weg ins Pressecafé.
Dort angekommen, setzten wir uns an einen der Tische am Fenster und konnten so dem noch spärlichen Treiben auf den Straßen zuschauen. Wir waren gut drauf, lachten und scherzten, und zu erzählen gab es mit Burkhard immer etwas. Er gehörte in Berlin zu meinen besten Freunden. Die junge, hübsche, blonde Frau am Nachbartisch war uns nicht entgangen, auch nicht, dass sie da ganz alleine saß. Wir waren beide nicht wenig überrascht, als sie plötzlich zu uns rüberkam und fragte, ob sie sich zu uns setzen könne. Na klar doch, sehr gerne.
Dann die üblichen Fragen: Woher kommt ihr, was macht ihr, was machst du?, und wir legten los, uns darzustellen. Erzählten von unseren Drogengeschäften, dem Etablissement, in dem Frauen für uns arbeiteten, kleine Waffengeschäfte nebenbei – Anna glaubte nichts davon, mit Recht. Aber sie brauchte für diese Nacht einen Schlafplatz und ich lud sie ein, bei mir zu schlafen, vergaß aber nicht, ihr zu versichern, dass sie ein Bett für sich alleine haben könne, sogar ein eigenes Zimmer, da mein jüngerer Bruder Reinhold, der übergangsweise bei mir wohnte, gerade nicht da war. So machten wir das auch und ein paar Wochen später wurde Anna meine Freundin.
Irgendwann fragte ich sie, warum sie sich damals zu uns setzte, und sie meinte, wir hätten eine schöne Atmosphäre um uns gehabt und ihr gefielen meine Augen.
Und während sich alle diese Bilder aus der Vergangenheit vor meinem inneren Auge lebhaft abspulten, musste ich plötzlich lachen und freute mich umso mehr auf Anna.
Am Nachmittag erreichte die Fähre Koh Samui, das Sammeltaxi brachte mich zum Chaweng Beach, und ich erreichte unsere Bungalowanlage am frühen Abend.
Anna war in unserer Hütte und döste gerade ein wenig. Wir umarmten uns und freuten uns, einander wiederzusehen.
„Wie war es?“, wollte sie gespannt wissen, „und hast du eine Antwort auf deine Frage nach dem Sinn des Lebens bekommen?“ Ich versuchte ihr das alles zu erzählen, was mir aber nicht wirklich gelang. Irgendetwas hatte sich jedoch in mir verändert.
Ich wurde zum ständigen Beobachter meiner Gedanken und erschrak immer öfter bei der Erkenntnis, dass ich viele unbewusste Absichten hatte, von denen ich vorher nichts wusste, sogar bei den trivialsten Alltäglichkeiten.
Zum Beispiel sagte ich später zu Anna: „Lass uns einen Kaffee trinken.“ Und tief drinnen lauerte die Erwartung, dass sie jetzt losgehen, zwei Kaffee holen und sie herbringen solle. Dann bemerkte ich dieses Auftauchen der vielschichtigen Absichten immer mehr und fast ständig, und ich bekam einen Schreck nach dem anderen. Das war also damit gemeint, dass Achtsamkeit eine klärende Wirkung habe.
Es klopfte an unserer Tür und ein Italiener stand davor und meinte zu Anna, ob sie Lust habe, Volleyball zu spielen. Nein, hatte sie nicht, oder vielleicht doch? Sie erzählte mir, dass sie die letzten Tage oft Volleyball gespielt hatte. Ich erinnerte mich an den Satz: ‚Wenn du etwas Schönes hast, dann gibt es auch andere, die das schön finden.‘ Den kurzen, eifersüchtigen Gedanken schob ich gleich wieder in seine Ecke und besann mich auf die Gelassenheit, die ich im Kloster entdeckt hatte.
Am nächsten Morgen war ich, noch im Rhythmus des Klosters, früh wach, ging zum Strand runter, beobachtete die kleinen Wellen, die sanft, aber stetig gegen den Sand rollten, leicht aufschäumten und gefolgt von weiteren Wellen mit ihnen verschmolzen und wieder zurückflossen.
Während meiner Abwesenheit war eine Gruppe junger Leute aus dem Allgäu angekommen. Ich bemerkte eine junge Frau, die tänzelnd den Strand entlanghüpfte, direkt auf mich zu.
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