Nun kommt bald Goniés in Sicht, ein lang gezogenes Bergdorf mit markanter Kreuzkuppelkirche, dessen Häuser terrassenförmig am Hang kleben. Auch hier oben wird noch überall an den Hängen und in geschützten Mulden Wein angebaut.
Mit weiten Ausblicken schraubt sich die Straße nun hinauf nach Anógia. Kurz nach dem Ortseingang zweigt links die Straße auf die Nída-Hochebene ab, von wo eine relativ leichte Besteigung des Tímios Stavrós (2456 m) möglich ist.
Übernachten Elena, im abgelegenen Dorf Astiráki vermieten Elena und Jannis Sarchianakis Zimmer in einem traditionellen kretischen Haus. Zur Begrüßung Obst, abends authentisches Abendessen (bei Elena vorher bestellen), Gemüse, Olivenöl und Wein aus eigener Herstellung. Sehr ländlich und ruhig. DZ/F ca. 40-50 €, HP für 2 Pers ca. 65-70 €. Tel. 2810-510141.
Anógia
Glasklare Gebirgsluft, die Sonne hell und gleißend - das größte Bergdorf Kretas liegt in 800 m Höhe weit ausgebreitet zwischen einem Kranz karger Bergrücken. Es besteht aus Ober- und Unterdorf und bietet einen Einblick in das raue kretische Bergleben.
Selbst im Sommer sind die Temperaturen oft frisch, im Winter versinkt das dann halb verlassene Dorf in Schnee- und Regenstürmen. Auch heute noch tragen viele der älteren Männer Anógias die traditionelle kretische Tracht mit fransigem Stirntuch, Stiefeln und schwarzem Hemd. Und dies nicht von ungefähr, denn Anógia gilt seit jeher als Heimat der unbeugsamsten und freiheitsliebendsten Kreter, der Widerstand gegen jegliche Besatzer hat hier eine lange Tradition. Schon in der Türkenzeit galten die hiesigen Partisanen als die gefährlichsten und entschlossensten der Insel. Zweimal, 1822 und 1867, wurde das Dorf deshalb von den osmanischen Besatzern völlig zerstört.
Auch im 20. Jh. überschattet eine Tragödie das Dorf: Am 13. August 1944 begannen deutsche Soldaten auf Befehl von H. Müller, kommandierendem General der „Festung Kreta“, das gesamte Dorf bis auf die Grundmauern niederzubrennen. Alle 950 Häuser wurden zerstört und alles Vieh getötet, das nicht mitgenommen werden konnte. Die gesamte Aktion dauerte bis zum 5. September. Der Befehl lautete weiter, alle männlichen Einwohner, derer man im Umkreis von 1 km habhaft werden könne, zu erschießen. Die Männer waren allerdings schon am Abend zuvor in die Berge geflohen, doch wurden die Alten und Gebrechlichen, die ihre Häuser nicht verlassen konnten, von den Deutschen ihrem Schicksal überlassen und verbrannten. Weitere Bewohner wurden in der Umgebung des Ortes exekutiert. Die offizielle Liste der Präfektur Réthimnon führt 117 getötete Bewohner Anógias auf.
Auf dem Dorfplatz ist der Wehrmachtsbefehl auf Griechisch eingraviert: „Da die Stadt Anógia ein Zentrum der englischen Spionagetätigkeit auf Kreta ist, da die Einwohner Anógias den Sabotageakt von Damastá ausgeführt haben, da die Partisanen verschiedener Widerstandsgruppen in Anógia Schutz und Unterschlupf finden und da die Entführer des Generals Kreipe ihren Weg über Anógia genommen haben, wobei sie Anógia als Stützpunkt bei der Verbringung nutzten, befehlen wir, den Ort dem Erdboden gleichzumachen und jeden männlichen Einwohner Anógias hinzurichten, der innerhalb des Dorfes oder in seinem Umkreis in einer Entfernung bis zu einem Kilometer angetroffen wird“.
Anógia, größtes Bergdorf Kretas
Zur Information: Der „Sabotageakt von Damastá“ meint die Tötung eines für seine Grausamkeit berüchtigten deutschen Feldwebels sowie einiger deutscher und italienischer Soldaten Anfang August 1944 durch kretische Partisanen. Und die Entführung General Kreipes war im April desselben Jahres mit maßgeblicher Hilfe britischer Offiziere vonstatten gegangen. Diese hatten zusammen mit kretischen Partisanen den Panzergeneral an einer Kreuzung nicht weit von Archánes in seinem Dienstwagen gekidnappt. Mit geschickten Täuschungsmanövern (22 deutsche Kontrollposten wurden passiert!) und einem Marsch quer durchs Ída-Gebirge konnten sie ihn bis an die Südküste bringen. Von dort transportierte ihn ein Schiff weiter nach Ägypten (Näheres zu der spektakulären Entführung unter Archánes). Níkos Kazantzákis hat nach dem Krieg Anógia bereist und die Zerstörung beschrieben ( www.explorecrete.com/history/WW2_Anogia_Destruction.html).
Nach dem Krieg wurde Anógia mit amerikanischer Hilfe wiederaufgebaut, in Bonn fühlte sich damals niemand zuständig. Jedes Jahr am 13. August gedenkt der Ort des Ereignisses, von der deutschen Botschaft in Athen ist dazu noch niemand erschienen - nach Aussage des bis 2005 tätigen Botschafters Dr. Albert Spiegel wurde er allerdings auch nie eingeladen und wäre einer Einladung gerne nachgekommen. Wie überall auf Kreta werden deutschen Urlaubern heute jedoch keinerlei Ressentiments entgegengebracht.
Anógia hat aber nicht nur als Hort der Freiheitskämpfer, sondern auch in Sachen Musik einen hervorragenden Ruf auf Kreta. Einige der besten Musikerfamilien der Insel stammen von hier, darunter die Lyra spielenden Brüder Níkos und Psarántonis Xiloúris und Vasilis Skoulas, der im Unterdorf das Museum seines verstorbenen Vaters weiterführt.
Sehenswertes
Armí (Oberer Ortsteil): Die lange Hauptstraße führt leicht abschüssig zum Rathausplatz hinunter, vorbei an der hübschen, kleinen Platia Meintani mit ihren Kafenia und dem Kirchlein Ágios Geórgios, dessen Gewölbe mit alten Fresken ausgemalt ist.
Am weiten, kahlen Rathausplatz steht das Denkmal eines kraftvollen Kreters mit Säbel und Muskete, der an die dreimalige Zerstörung Anógias erinnert: 1822, 1867 und 1944. Davor ist auf einer Gedenktafel aus Alabaster in Form eines aufgeschlagenen Buches in griechischer, englischer und deutscher Sprache der Befehl des Wehrmachtkommandeurs Müller eingraviert, das Dorf niederzubrennen und alle Männer hinzurichten.
An der Unterkante des Platzes steht das zweischiffige Kirchlein Ágios Ioánni Prodrómos, dessen Inneres mit vergoldeter Holz-Ikonostase und vielen Heiligenbildern prächtig geschmückt ist (im nächsten Laden nach dem Schlüssel fragen). Im rückwärtigen Schiff sind Fresken erhalten mit Themen aus dem Leben Jesu, Kreuzigung, Grablegung u. a.
Perachóri (Unterdorf): Durch enge Treppenwege und schmale Gässchen, in denen Basilikum- und Blumenkübel vor den Türen stehen, kann man von der Hauptstraße in den unteren Dorfbereich hinabsteigen, wo am Ortsausgang in Richtung Axós das eigentliche Zentrum Anógias liegt.
Die dortige Platia ist mit ihren urigen Kafenia ein echtes kretisches Idyll und wirkt fast wie eine Theaterbühne. Die Hauptkirche Ágios Charalámbos am Platz ist über und über mit teils älteren, teils modernen Fresken ausgemalt. Daneben steht das Geburtshaus des berühmten Lyraspielers Níkos Xiloúris, der Anfang der 80er Jahre noch jung an Krebs verstarb. Es ist mit Fotos des Künstlers und Erinnerungsstücken ausgestattet und steht meist offen.
Im Geburtshaus von Níkos Xiloúris
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