Barbara Cartland - Ein Amerikaner in London

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Ottilia, genannt Tila, ist fast am Verhungern in ihrem geliebten Zuhause Staverly Park – es fehlt an allem, besonders am Geld. Doch ihrem Bruder Roby gelingt ein Coup als er einen reichen Amerikaner dazu bringt, Staverly zu mieten und es zu alter Pracht instand zu setzen. Clint Wickham will sein Glück auf dem englischen Heiratsmarkt versuchen und sich eine Herzogstochter angeln mit der er sein Dynastie begründen kann.
Clint stellt sich als höflich und attraktiv heraus und schafft es, Tilas Herz zu stehlen, die sich als Gouvernante ausgibt. Beinahe kann sie den dunklen Handel vergessen, den sie eingegangen ist um die Zukunft Staverlys zu sichern – bis Clints Leben in Gefahr ist.

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Ein Amerikaner in London

Barbara Cartland

Barbara Cartland E-Books Ltd.

Vorliegende Ausgabe © 2021

Copyright Cartland Promotions 1985

Gestaltung M-Y Books

www.m-ybooks.co.uk

1. KAPITEL ~ 1882

Tila schaute sich im Wohnzimmer um und stellte bekümmert fest, daß in einer Ecke die Tapete abzublättern begann. Genau darüber erschien an der Decke ein neuer Wasserfleck, der am Tag zuvor noch nicht da gewesen war.

Sie seufzte.

Es wurde immer schlimmer, und die Möglichkeit einer Reparatur gab es nicht. Der Wohnzimmerdecke würde es ergehen wie allen anderen Zimmerdecken im Haus, sie würde feuchter und feuchter werden und schließlich herunterbrechen.

Der Gedanke schnürte ihr die Kehle zusammen.

Sie ging zum Fenster und blickte in den verwilderten, ungepflegten Garten hinaus. Der einzige Lichtblick waren die alten Eichen im Park, sie gediehen so prächtig wie eh und je. Und darunter breiteten blühende Narzissen in verschwenderischer Pracht ihren Goldteppich aus.

Stets hatte Tila ihre ganze Hoffnung auf den Frühling gesetzt, doch jedes Jahr schienen die Dinge noch schlechter zu werden.

Als sie gestern Abend zu Bett gegangen war, hatte sie sich verzweifelt gefragt, was sie wohl machen solle, um Staverly Court retten und selber darin überleben zu können. Dabei dachte sie nicht nur an sich, sondern auch an Roby, ihren Bruder, und an das ältere Dienerehepaar, die einzigen Menschen, die ihnen von der einst so ansehnlichen Dienerschaft geblieben waren.

Seit über vierzig Jahren arbeiteten die Coblins schon auf Staverly Park. Er hatte als Schuhjunge begonnen, und sie als Milchmädchen in der Küche. Jahr für Jahr hatten sie sich weiter hochgearbeitet, bis Mrs. Coblin unter Tilas Vater und Mutter Köchin wurde und Coblin zum Butler aufstieg.

Er hatte drei Diener unter sich gehabt. Mrs. Coblin befehligte drei Mädchen in der Küche und zwei im Abwaschraum.

»Ja, die gute alte Zeit!«

Wie oft hatte Tila die Leute das sagen hören, und was sie selbst betraf, war es wirklich so gewesen: eine gute Zeit voller Glück, Liebe und Geborgenheit.

Voller Wehmut erinnerte sie sich, wie wundervoll das Haus ausgesehen hatte, als sie noch ein Kind gewesen war und ihre Mutter die großen Gesellschaften gegeben hatte.

Eine lange Schlange von Kutschen, gezogen von edlen Pferden, war vor dem Portal vorgefahren. Und die Gäste, strahlend im Schmuck ihrer Juwelen und gekleidet nach der neuesten Mode, waren den prachtvollen Wagen entstiegen.

Tila, die auf der Empore gekauert und gebannt zwischen den Stäben des Geländers hindurchgespäht hatte, waren sie wie die Figuren aus einem Märchen erschienen. Ihre Mutter, angetan mit dem Staverly-Diadem, war die Königin gewesen.

Eine qualvolle Erinnerung! Obwohl es das Diadem noch gab, hatten sie so viele andere Dinge verkaufen müssen. Geblieben waren nur die Gemälde der Staverly-Vorfahren, die zum unveräußerlichen Erbe gehörten. Und die anderen Gegenstände, die unter diese Kategorie fielen: Das Familiensilber, die mit kunstvollen Intarsien gezierten Glasschränke, die herrliche Sammlung alter Rüstungen und natürlich die frühen Ausgaben wichtiger Werke der Literatur in der Bibliothek.

»Und was nützt all das dem Sohn, den ich nie haben werde, weil ich mir keine Kinder werde leisten können?« hatte Roby wütend ausgerufen, als er kürzlich nach Hause gekommen war.

Er wohnte in London, weil er mit seinen Freunden zusammen sein und sich amüsieren wollte, obwohl er kaum einen Penny Geld besaß.

Die meisten Gastgeberinnen machten sich ein Vergnügen daraus, einen gutaussehenden, unabhängigen jungen Baronet zu ihren Partys einzuladen.

An einem Mädchen, das kaum noch ein Dach überm Kopf besaß und sich nicht einmal ein Kleid leisten konnte, in dem es der Königin im Buckingham-Palast hätte vorgestellt werden können, waren sie weniger - besser gesagt - überhaupt nicht interessiert.

Deshalb war Tila auf dem Land geblieben. Es hatte ihr nichts ausgemacht, solange sie ihr Pferd gehabt hatte, mit dem sie täglich ausreiten konnte.

Jetzt allerdings, wo das Geld so knapp geworden war, daß sie nicht einmal Futter kaufen konnte, begann sie zu verzweifeln. Dabei wußte sie, Roby um Geld zu bitten war sinnlos. Sie war sicher, daß er nicht nur keines besaß, sondern auch noch bis zum Hals in Schulden steckte - und wenn es auch nur bei seinem Schneider war.

Er sprach mit ihr nicht darüber. Wahrscheinlich schämte er sich zu sehr.

Ihre Verwandten konnten sie auch nicht um Hilfe bitten.

Entweder waren sie verstorben, oder sie steckten finanziell selbst in großen Schwierigkeiten.

»Haben die Staverlys eigentlich nie Geld gehabt?« hatte sie Roby bei seinem letzten Besuch gefragt.

»Der erste Baronet jedenfalls war in der Lage, dieses Haus zu errichten«, erwiderte er. »Die nächsten zwei oder drei bauten es weiter aus, und unser Großvater - der Teufel soll ihn holen! - steckte ein Vermögen in seine Erweiterung.«

»Und weshalb mußte alles so groß und prächtig werden, wenn kein Geld da war, das alles zu unterhalten?« fragte Tila.

»Ich nehme an, damals gab’s noch genug davon«, erwiderte ihr Bruder, »und auch Papa besaß Geld, als er den Titel erbte.«

In seiner Stimme war ein verächtlicher Klang - wie immer, wenn er von seinem Vater sprach.

Tila verstand, weshalb er so verbittert war.

Sir Osmund Staverly, der fünfte Baronet, war ein sehr gutaussehender, geistvoller Mann gewesen. Solange seine Frau lebte, war er mit seinem herrlichen Haus und dem großen Gut, das dazugehörte, zufrieden gewesen. Doch nach ihrem Tod hatte er sich wieder dem Leben zugewandt, das er vor seiner Heirat geführt hatte.

Was für eine Art zu leben dies genau war, hätte Tila immer noch nicht sagen können. Sie vermutete, daß es eine Reihe von Schauspielerinnen und Tänzerinnen gewesen waren, mit denen er sich vergnügt hatte. Und aus einem Grund, den sie nicht richtig zu begreifen vermochte, mußten die Damen entsetzlich kostspielig gewesen sein.

Unter anderem hatte ihr Vater Unsummen für Pferde, Wagen, Phaetons und Zweispänner ausgegeben. Einige der Pferde waren in Staverly Park untergebracht worden. Doch die meisten Tiere, an denen Sir Osmund interessiert gewesen war, hatte man nur auf den großen Rennplätzen zu Gesicht bekommen können.

Offensichtlich war ihr Vater dem Wetteufel verfallen gewesen.

»Sein ganzes Geld verschwendete er an langsame Pferde und an schnelle Frauen!« fuhr Roby fort.

Tila verstand nicht ganz. Doch sie wußte um die riesigen Schuldenberge, die ihr Vater ihnen hinterlassen hatte.

Schließlich starb er bei einem Duell, das ebenfalls etwas zu tun gehabt hatte mit einer Frau, die ihr Bruder als »schnell« bezeichnete.

Duelle waren unter Queen Victoria verboten, heimlich fanden sie dennoch statt. Tila vermochte den Gedanken nicht zu ertragen, daß ihr großer, blendend aussehender Vater im Morgengrauen zum Green Park aufgebrochen war, nur um dort zu sterben.

Der Mann, der ihn getötet hatte, war ins Ausland geflohen. In drei Jahren würde er zweifellos zurückkehren können.

Aber für Sir Osmund Staverly würde es keine Rückkehr mehr geben.

Es war ein furchtbarer Schock gewesen. Nicht nur für sie, sondern auch - wie sie sicher wußte - für Roby, der zu der Zeit gerade sein Studium in Oxford beendet hatte. Nie hätte er damit gerechnet, sich einmal unter solchen Umständen als der sechste Baronet Sir Robert Staverly wiederzufinden.

»Man hat mich doch wirklich und wahrhaftig ohne einen einzigen lausigen Penny zurückgelassen!« hatte er bebend vor Zorn ausgerufen.

Die Gläubiger seines Vaters hatten sich zähneknirschend mit einem Zehntel der Schuldsumme zufriedengegeben. Um diese aufzubringen, mußte Robert jedoch alles verkaufen, was nicht unbedingt zum unveräußerlichen Familienvermögen gehörte.

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