Tila rang nach Luft. »Was du nicht sagst!« stieß sie hervor. »Und es ist wahr, wirklich wahr?«
»So wahr, wie ich hier stehe!« versicherte Roby.
»Aber es ist das Aufregendste, was ich je in meinem Leben gehört habe!« rief Tila. »Und nun erzähl doch endlich! Und bitte von Anfang an!«
Es war offensichtlich, daß Roby nur darauf brannte, mit seiner Geschichte zu beginnen.
»Wie ich dir schon erzählt habe, hat Patrick seine Finger in allen möglichen Geschäften, und natürlich kennt er dadurch einer Menge hochinteressanter und einflußreicher Leute. Es ist in London schon zu einer Art Scherz geworden, daß man, wenn die Rede auf Patrick kommt, sagt: ,Ah, Patrick! Patrick besorgt alles - vom Einhorn bis zum reichen Bankier!' Und er ist wirklich ein Hansdampf in allen Gassen - und ein unwahrscheinliches Organisationstalent.«
Tila lachte.
Dann drängte sie: »Weiter! Spann mich doch nicht so auf die Folter!«
»Ich weiß nicht, ob ich es dir schon erzählt habe, Patrick reiste kurz nach Weihnachten nach Amerika - mit einem sehr reichen und sehr attraktiven Mitglied der Vanderbilt-Familie. Aber...«, er geriet etwas in Stocken, »aber das ist eine andere Geschichte!« Offenbar erinnerte er sich plötzlich daran, mit wem er sprach, denn hastig fuhr er fort: »Selbstverständlich knüpfte er in New York eine Reihe von Kontakten. Und ich nehme an, dir ist bekannt, daß sich in letzter Zeit immer mehr Vertreter des englischen und europäischen Adels nach Bräuten in den Kreisen der Millionäre umsehen, von denen die Stadt ja regelrecht überzuquellen scheint.«
Tila hatte keine Ahnung.
Ihr Bruder sah den Ausdruck des Nichtverstehens in ihren Augen und erklärte geduldig: »Ich könnte dir eine ganze Liste von englischen Aristokraten und von europäischen Baronen und Grafen geben, die wie eine Schar junger Hähne damit begonnen haben, Dollars zu picken.«
Tila hörte zu mit einem Ausdruck blanker Fassungslosigkeit im Gesicht, unterbrach ihren Bruder jedoch nicht.
»Well«, fuhr Roby fort, »da Patrick stets für eine Überraschung gut ist, fand er natürlich eine weitere Möglichkeit.«
»Und was für eine?« fragte Tila, weil Roby dies offensichtlich von ihr erwartete.
»Die Kehrseite der Medaille gewissermaßen«, erwiderte Roby. »Stell dir vor, jetzt will ein amerikanischer Millionär eine adelige Engländerin, wenn möglich die Tochter eines Herzogs, heiraten!«
Tila lachte.
»Es klingt verrückt!«
»Nicht, soweit es uns betrifft«, widersprach ihr Bruder.
»Du meinst die Vermietung des Hauses?«
»Genau«. Roby nickte. »Er will sich auf Staverly niederlassen, um sich in Ruhe auf dem adeligen Heiratsmarkt umzusehen. Und du kannst davon ausgehen, daß Patrick ihm präzis das besorgen wird, was er benötigt.«
»Aber was will der Amerikaner mit einem Haus, das sich in einem Zustand wie das unsere befindet?«
Roby warf sich in die Brust.
»Damit wären wir beim Thema. Uns bleibt ein Monat, um Staverly so herzurichten, daß es wieder aussieht wie damals, als Großvater noch lebte!”
»Und er wird für die Kosten aufkommen?«
»Natürlich!« versicherte Roby eifrig. »Er ist nämlich so unvorstellbar reich, daß König Midas im Vergleich zu ihm ein Bettler war!«
»Wie ist das möglich?«
»Möglich?« erwiderte ihr Bruder. »In Amerika ist alles möglich. Und Patrick erzählte mir, daß Clint Wickham - so heißt der Mann - von seinem Vater ein riesiges Vermögen erbte und die Hälfte sämtlicher Eisenbahngesellschaften in Amerika besitzt.« Er holte Atem, bevor er fortfuhr: »Und weil Geld immer wieder zu Geld geht, wurde auf seinem Land in Texas - das ist dort, wo er herkommt - natürlich Öl gefunden. Und es soll sich um das größte Ölvorkommen handeln, das bisher in Amerika bekannt wurde.«
»Es klingt - für uns - einfach zu schön, um wahr zu sein!« rief Tila. »Da gibt es bestimmt einen Pferdefuß!«
»Hör bitte auf, ein ungläubiger Thomas zu sein!« verlangte ihr Bruder. »Patrick hat bereits alles festgemacht. Wir werden das Haus also unverzüglich und im Eiltempo auf Vordermann bringen, so daß es bald schon in seinem alten Glanz erstrahlt. Außerdem werden wir eine Anzahl Badezimmer einbauen lassen, aber das hätte früher oder später ja sowieso geschehen müssen.«
»Badezimmer?« fragte Tila erstaunt.
Sie hatte noch nie im Leben ein Badezimmer gesehen. In den Tagen ihres Vaters schleppten kräftige junge Diener schwere Messingkannen mit heißem und kaltem Wasser die Treppen hinauf.
Die Badezuber waren vorher ins Schlafzimmer gebracht worden, und die Bewohner badeten vor dem brennenden Kaminfeuer.
Wenn Tila jetzt ein Bad nehmen wollte, mußte sie es Coblin sagen.
Er brachte dann eine der Kannen in das Zimmer, das einmal dem Sekretär als Büro gedient hatte. Es lag in der Nähe der Küche und dem Korridor gegenüber, der zum Speisesaal führte. Aber wegen seines Alters und seines Rheumas war das Ganze immer eine Art Staatsaktion.
Gewöhnlich wusch sich Tila also mit kaltem Wasser, das sie selbst die Treppe hinauftrug.
»Patrick meint«, fuhr Robert fort, »daß wir zehn Badezimmer einbauen lassen sollten. Für den Anfang sei das genug.«
»Aber woher willst du dafür die Zimmer nehmen?« entgegnete Tila.
»Sei nicht so begriffsstutzig«, erwiderte ihr Bruder, »da sind einmal die Puderkabinette, und mehrere der Prunkräume haben begehbare Schränke. Natürlich werden wir ein oder zwei Ankleideräume umfunktionieren müssen.«
»Gütiger Himmel, wie kann jemand nur so viele Badezimmer benötigen?« fragte Tila.
Ihr Bruder lächelte.
»Amerikaner sind richtige Sauberkeitsfanatiker, und wenn Clint Wickham keine Badezimmer bekommt, interessiert ihn Staverly nicht.«
»Dann soll er Badezimmer kriegen, soviel er haben will, und alles andere, worauf er sonst noch erpicht ist, auch.«
»Genau das ist es, was wir auch sagen!« erklärte Roby. »Aber wir werden uns beeilen müssen. Deshalb brauche ich die Namen sämtlicher Maurer, Schreiner, Anstreicher und Restaurateure der Grafschaft.«
»Da fragen wir am besten Coblin«, erwiderte Tila, »in diesen Sachen kennt er sich besser aus als ich.«
»Ja, natürlich«, gab Roby ihr recht. »Und ich werde zu dem alten Knaben im Dorf gehen, falls er noch lebt, der zu Papas Zeiten hier die Reparaturen ausgeführt hat.«
»Du meinst William Emmerson«, sagte Tila. »Er lebt noch, ist aber sehr langsam geworden.«
»Wir werden jede Hilfe brauchen, die wir bekommen können«, erklärte Roby energisch, »und das Erste, was in Ordnung gebracht werden muß, ist das Fenster in meinem Zimmer. Bei meinem letzten Aufenthalt zog es darin wie Hechtsuppe!«
»Du hättest ohne weiteres das Zimmer wechseln können«, antwortete Tila, »doch irgendetwas stimmt ja in jedem Raum nicht.«
»Höchste Zeit, daß alles neu hergerichtet wird - und zwar so rasch wie möglich!«
Roby schien Tilas Zustimmung zu erwarten, diese aber war bereits bei einem anderen Thema.
»Ich habe dich noch nicht gefragt, was der Amerikaner zahlen wird«, versetzte sie, »und ich würde sagen, es ist die wichtigste Frage von allen.«
»Halt die Luft an!« erwiderte ihr Bruder. »Was du jetzt nämlich hören wirst, ist geradezu phantastisch, phänomenal, unvorstellbar!«
»Sag es mir!« verlangte Tila.
»Für die Reparaturen, die Vorhänge, Teppiche, neues Silberbesteck und alles, was sonst noch benötigt wird, zahlt er uns für die Zeit seines Hierseins zweitausend Pfund pro Jahr.«
Tila stieß einen Überraschungsschrei aus. Dann sprang sie auf die Füße und schlang ihrem Bruder die Arme um den Hals.
»Wir sind gerettet - wir sind gerettet!« rief sie. »Meine Gebete wurden erhört, und es ist alles dein Verdienst. Wie kannst du nur so clever sein und Patrick zum Freund haben!«
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