Es war ein beruhigendes Gefühl, in den Händen des österreichischen medizinischen Systems zu sein. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter leisten unter schweren Bedingungen großartige Arbeit. Wohl dauerte der ganze Ablauf über zwei Stunden, aber alle Wartezeiten wurden erklärt und alle Maßnahmen begründet. Und im UKH sind alle Patientinnen und Patienten gleich. Niemand wird vorgezogen, niemand wegen seiner Herkunft oder seiner sozialen Situation schlechter behandelt. Das war für mich in diesen Stunden ein sehr schönes Beispiel, dass dieses Gesundheitssystem einen großen Wert darstellt, der nicht zum Spielball der Politik werden sollte. Hier ist kein politisches Kleingeld zu wechseln, sondern das System ist mit allen Anstrengungen zu sichern.
Ich kenne durch meine Lebensphasen im Ausland auch andere Gesundheitssysteme. In den USA richtet sich die Anzahl der Stiche, mit denen eine Wunde vernäht wird, nach den finanziellen Möglichkeiten der Patienten. Ein Stich kostete damals 10 Dollar. Ob eine entstellende Narbe bleibt, ist also eine Frage der Einkommenssituation. Viele Eltern, die wir bei den Elternabenden im Kindergarten oder in der Volksschule trafen, waren trotz ihrer jungen Jahre schon fast zahnlos, da die einzige kostenlose Zahnbehandlung das Reißen des schmerzhaften Zahnes war. Soziale Differenz schreibt sich so über die Klassenmedizin in die Gesichter der Menschen ein und stigmatisiert die Schwachen ganz nachhaltig.
Kanada war dann etwas besser, das Gesundheitssystem steht in einer europäischen Tradition. Aber insgesamt geht die weltweite Entwicklung in die US-amerikanische Richtung.
Natürlich wird die Medizin immer technisierter und damit teurer. Noch vor zwei Jahrzehnten wäre ich sicher nicht durch einen Computertomographen geschickt worden, um die Frage, ob im Handgelenk ein operativer Eingriff notwendig ist oder ob ein Gipsverband reicht, schlüssig abzuklären. Und die gestiegene Lebenserwartung macht insgesamt den medizinischen Aufwand pro Person im Lebenszyklus sehr viel größer. Viele Krankheiten werden erst jetzt überhaupt diagnostiziert, und der medizinische Fortschritt ist ja selbst eine wesentliche Ursache für die Verlängerung des Lebens.
Dass dadurch die Kosten explodieren, ist außer Frage, Ursache und Wirkung stehen hier in einem direkten Zusammenhang. Und immer größere Anteile der staatlichen Ausgaben fließen in das Gesundheitssystem.
Fast jede Maßnahme, die diese Kosten senken soll, wirkt aber sozial selektiv. Ab welchem Lebensalter oder ab welcher Steuerleistung hat man keinen Anspruch mehr auf eine künstliche Hilfe oder auf eine Spenderniere? Zwingen hohe Selbstbehalte nicht zur Absage von teuren Eingriffen, wenn die ökonomischen Möglichkeiten überstiegen werden? Ab wann kommt man in den Genuss von Leistungen, wenn man Arbeitsmigrant ist?
Die Gerechtigkeit einer Gesellschaft misst man am Umgang mit den sozial Schwächsten und den Ausgegrenzten. Gerade deshalb hat mich der Nachmittag im Unfallkrankenhaus so positiv berührt. Es ist bei uns noch eine medizinische Versorgung möglich, die nicht nach dem sozialen Status differenziert. Wenn also etwa eine Steuerentlastung, die ich mir wie wohl fast alle Menschen wünsche, dazu führt, die Leistungen der medizinischen Versorgung in der Grundversorgung zurückzufahren, dann sollten die Verantwortlichen noch einmal gründlich nachdenken. Die öffentliche Hand muss funktionsfähig bleiben, nicht nur in der Medizin, sondern auch in der Altersversorgung, der Bildung oder der Infrastruktur. Ich bin jedenfalls lieber in Österreich krank als in den USA.
Mein kleiner Unfall hat dazu geführt, dass ich zu Hause Urlaub gemacht habe. Die jungen Katzen und viele gute Bücher haben mir einen großen Erholungswert gebracht, stressfrei, wenn auch nicht schmerzfrei. Die gebrochene Rippe lässt kaum ein Lachen oder Husten zu, und eine angenehme Schlafposition zu finden, ist durchaus mühsam. Aber ich habe einen kleinen Einblick in andere Lebenssituationen erhalten und konnte erfahren, dass bei uns die Ärzte, Krankenschwestern und die medizinisch-technischen Angestellten nicht nur fachlich, sondern auch menschlich gut ausgebildet sind. Da weiß man dann, dass Österreich ein gutes Land ist, um hier zu leben.
Sendung vom 24. August 2008
Gestohlene Erinnerungsstücke
Österreich gilt weltweit als ein sicherer Staat. Wir haben eine geringe Kriminalitätsrate und die relativ wenigen Verbrechen werden in einem hohen Maß aufgeklärt. Im Gegensatz zu vielen anderen Ländern der Welt ist man bei uns im Regelfall nicht wirklich bedroht, durch kriminelle Aktionen Leben, Gesundheit oder Eigentum zu verlieren.
Auch ich musste über 60 Jahre alt werden, bis ich mit der schmerzlichen Erfahrung, Opfer eines kriminalistischen Aktes zu werden, konfrontiert wurde. Während meine Frau auf Kur und ich selbst im Kosovo war, um bei der Neugestaltung des Universitätssystems zu helfen, wurde in unser Haus eingebrochen. Dabei liegt unser kleines Reihenhaus in einer ruhigen Wohngegend, wo alle Nachbarn, wie in einem Dorf, einander gut kennen und auch wechselseitig auf die Häuser achten.
Die Einbrecher kamen über den Gartenzaun und hebelten die Terrassentür aus. Leider gab es reiche Beute. Der gesamte Schmuck meiner Frau ist weg, und da waren Erbstücke dabei und Geschenke, die ich ihr zur Geburt der Kinder, zu runden Geburtstagen oder zur Silberhochzeit gemacht habe. Für die Kinder haben schon meine Großeltern eine Münzensammlung begonnen, die nun verloren ist. Mich schmerzt vor allem aber, dass mir die Rektorskette, die Erinnerung an eine der prägenden Epochen meines Lebens, gestohlen wurde, und dazu noch der Ehrenring, den mir Bundespräsident Jonas 1973 anlässlich meiner Promotion unter den Auspicien des Präsidenten überreicht hatte und der den Start meiner wissenschaftlichen Laufbahn symbolisiert.
Die materielle Seite ist wohl von geringerem Interesse als die emotionale. So viele Erinnerungen hängen an den Stücken, die für Ereignisse oder Abschnitte des Lebens stehen. Mit der Entwendung hat man das Gefühl, ein Stück der eigenen Geschichte verloren zu haben. Jemand ist in unser Leben eingedrungen, in unsere Intimsphäre und in unsere Erinnerungen. Das schmerzt viel mehr als die Tatsache, dass der materielle Schaden nur zum Teil durch die Versicherung gedeckt ist. Für die Täter sind die meisten Stücke einfach Wertgegenstände, sie bedeuten nicht mehr. Allein die Vorstellung, dass irgendwer nun die Rektorskette trägt, der die Symbolik nicht kennen kann und will, das lässt mich in der Nacht schweißgebadet hochfahren. So ist das Gefühl der Sicherheit, das mich mein ganzes Leben begleitet hat, derzeit nicht vorhanden.
Aber die Geschichte hat auch ihre positiven Seiten. Da gab es mitten in der Nacht freundliche und kompetente Polizisten des Wachzimmers Andritz, die die materielle und emotionale Seite der Situation gut erfassten. Sie fanden die richtigen Worte und setzten die richtigen Schritte, gaben Unterstützung und vermittelten den Eindruck, die Sache auch zu ihrem Problem zu machen.
Und da gibt es die Nachbarn, die zur Stelle waren, mich am Abend ablenken und nicht allein im Haus sitzen lassen. Sie sind Ansprechpartner und gute Freunde, die wirklich aufmuntern können. Und dann ist da die Universität, die seit einem Jahrhundertviertel mein Bezugspunkt ist, und die ja auch geschädigt ist, ist der Stern an der Kette schließlich ihr Eigentum. Da gab es Zuspruch und sogar den Willen, auf Kosten des Hauses die Replik anfertigen zu lassen. So fühle ich mich eigentlich gut eingebettet, und die täglichen Telefonate mit meiner Frau tragen zur Stabilisierung der Situation bei.
All das zeigt, dass wir noch immer in einem sicheren Land leben. Verbrechen sind nicht Alltag, sondern Sondersituationen. So reagieren die Menschen auch – sie sind nicht abgestumpft durch die Alltäglichkeit von Kriminalität, wie dies in anderen Gegenden der Welt der Fall ist. Wenn man in Los Angeles oder irgendwo in einer Großstadt Europas überfallen wird, ist man weit einsamer als hier bei uns im friedlichen und sicheren Österreich.
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