Birgit Pölzl - Von Wegen

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Was tun nach dem Scheitern alternativer Lebensentwürfe? In ihrem letzten Roman «Das Weite suchen» erzählte Birgit Pölzl die Geschichte von Anna, Klaus und Georg, die gemeinsam ein Jahr in einer Kommune leben. Nun gehen sie getrennte Wege, um ihre Vision von einem Leben zu verwirklichen, das Gier und Optimierungszwang hinter sich lässt. Nachdem Annas von allen geliebte Adoptivtochter Maja bei einem tragischen Unfall stirbt, reist Anna nach Nepal, um sich in Majas Geburtsland trauernd von ihr zu verabschieden. Klaus hat als Finanzberater das Geld von Bekannten verzockt. Pointiert erzählt er davon, wie nah Idealismus an Fundamentalismus und Naivität liegt. Georg arbeitet weiter als Künstler auf dem Hof, bricht dann aber nach Griechenland auf, um seine erotische und politische Erlösung bei einer Frau zu finden.
"Von Wegen" besticht durch seinen stilistischen Reichtum, erzählt in drei ineinander verschränkten Erzählschichten, in sehr verschiedenen Tonlagen, von rhythmischer Prosa bis zu Aphorismen im Twitter-Format. Der Roman macht so den Erfahrungsraum der Hauptfiguren für die Leser sinnlich zugänglich – und eröffnet neue Perspektiven auf uns und über uns hinaus. Darin liegt das Besondere dieses außergewöhnlichen Romans in einer Zeit, die den Bewusstseinswandel braucht.

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Inhaltsverzeichnis

Vorbemerkung Vorbemerkung Drei Figuren, die ich mir so ans Herz habe wachsen lassen, dass sie ich sagen. Anna, Klaus und Georg. Sie sind an die vierzig und haben ein Jahr lang in einer Kommune auf einem hoch gelegenen Bauernhof verbracht: Der Ginthof ist Erinnerungsraum und Bezugs­horizont geblieben. Eine Rückkehr ins alte Leben kommt für keinen von ihnen in Frage, zu groß ist die Skepsis gesellschaftlichen Entwicklungen gegenüber, zu einschneidend das, was sie erlebt haben. Anna fliegt nach Nepal, um auf den Spuren ihrer Adoptivtochter Maja, die bei einem Unfall ums Leben gekommen ist, zu trauern. Klaus, Eroto- und Egomane, versucht gemeinsam mit Christine einen Bauernhof zu bewirtschaften. Georg, der an erektiler Dysfunktion leidet, bricht nach Griechenland auf, um jene Frau wiederzusehen, die ihm aus seinen sexuellen Nöten geholfen hat. Alle drei Figuren entwickeln eigenwillige Vorstellungen, fällen bizarre Entscheidungen – und ringen mir Bewunderung, ja, auch Liebe ab, weil sie, allesamt Sinn-Dilettanten, anders zu leben versuchen, und dieses Ringen Gültigkeit besitzt in einer Zeit, die Wandel braucht wie Luft zum Atmen.

ANNA

Klang alles anders. Maja! Maja!

KLAUS

Ich musste irgendwo unterkommen, #lebenohnetwitter

ANNA

Wolkenkind

GEORG

Ich musste Irene wiedersehen

KLAUS

Ich und die Christenmenschen

GEORG

Ich selbst bin Anarchist, aber von einer anderen Art

KLAUS

Ich war der Loser unter den Losern

ANNA

Angst

GEORG

Wie ambivalent Begehren sein kann

KLAUS

Ich verlor die Zukunft nicht aus den Augen

GEORG

Als wär’s ein Film

ANNA

Herbert

KLAUS

Ich denke, es war ein Sprung

ANNA

Herbert, Maja, ich

Birgit Pölzl

Copyright

Vorbemerkung

Drei Figuren, die ich mir so ans Herz habe wachsen lassen, dass sie ich sagen. Anna, Klaus und Georg. Sie sind an die vierzig und haben ein Jahr lang in einer Kommune auf einem hoch gelegenen Bauernhof verbracht: Der Ginthof ist Erinnerungsraum und Bezugs­horizont geblieben. Eine Rückkehr ins alte Leben kommt für keinen von ihnen in Frage, zu groß ist die Skepsis gesellschaftlichen Entwicklungen gegenüber, zu einschneidend das, was sie erlebt haben.

Anna fliegt nach Nepal, um auf den Spuren ihrer Adoptivtochter Maja, die bei einem Unfall ums Leben gekommen ist, zu trauern. Klaus, Eroto- und Egomane, versucht gemeinsam mit Christine einen Bauernhof zu bewirtschaften.

Georg, der an erektiler Dysfunktion leidet, bricht nach Griechenland auf, um jene Frau wiederzusehen, die ihm aus seinen sexuellen Nöten geholfen hat.

Alle drei Figuren entwickeln eigenwillige Vorstellungen, fällen bizarre Entscheidungen – und ringen mir Bewunderung, ja, auch Liebe ab, weil sie, allesamt Sinn-Dilettanten, anders zu leben versuchen, und dieses Ringen Gültigkeit besitzt in einer Zeit, die Wandel braucht wie Luft zum Atmen.

ANNA

Klang alles anders. Maja! Maja!

Auf Maja hatten wir gewartet: Jahre, Herbert, ich, ein Paar, das noch und noch zusammenbleibt, und plötzlich sagten sie, das Kind sei abzuholen: Maja.

Vielleicht macht heil das Kind, verfugt den Riss und kittet. Ich flog nach Nepal, Maja abzuholen, Herbert flog nicht mit, weil seine Arbeit eine Unterbrechung grade nicht erlaube, Workaholic, Egomane, warf ich ihm zum Abschied an den Kopf. Männer ließ ich aus, weil ich mich schwanger fühlte, ließ aus den Mann, der Zeug aus Nepal in die USA verkaufte, duftete und an die Scheibe tippte; Fotos zeigte ich dem Mann von Maja, meinem Kind, das ich bald sehen würde.

War alles anders, weil ich mich schwanger fühlte, strange, ich wich dem Dreck nicht aus und sah kaputte Schlappen, sah zerschlissenes Gewand, trug Sonnenbrillen, auch wenn keine Sonne schien, damit ich über Blinde weinen konnte, die mir die Hand entgegenhielten, über Bettler, die am Rand der Straße Müll verheizten, über Kinder, die an Autoscheiben klopften, rüd dabei vertrieben wurden, Sonnenbrillen trug ich, auch wenn keine Sonne schien, damit ich über Hunde, die sich um ein Fleischstück balgten, weinen konnte, Köter, ausgemergelt, ohne Fell, nur rosa Haut und Krätzenblüten, groß gewachsne Zitzen.

Dann sah ich Maja, Maja – hatt samtne Haut mein Kind, gezopft das Haar, das an den Bund des Rocks ihm reichte, rot der Rock und ausgewaschne Socken trug es – schlecht gestopft warn Bluse, Socken, Rock, und spürt ich Freude, die beschämte, in den Himmel hob – und scharten sich die Kids vom Waisenhaus um mich und lachten, fünfzehn teilten sich nen Raum, drei Betten immer übereinander, öffneten die Kids vom Waisenhaus mir Truhen mit leuchtendem Gesicht, die unter ihren Betten und auf Brettern lagen: Hefte, Zettel, Bücher, ausgewaschne Shirts und Kreiden, Stifte, Reifen, abgetragne Schuhe, Bälle, Bänder, Fotos, Fotos, it’s my brother, it’s my sister, it’s my mum, my dad, und wieder diese Freude die beschämte, in den Himmel hob.

Mein Glück, mein Sonnenschein war Maja; lehrte ich sie, was man so können muss, lehrte Maja mich die Freude und den Mut; und Leben, so viel Leben war in ihr und nicht die Gier nach Leben, die ich vom Pflichtprogramm her kannte, von der Kür. Berührte sie die Tiegel, Schälchen, Gels, Lotionen und Shampoos und schmiegte sich, als ich ihr vorlas, in den Arm; ich nahm sie auf den Schoß, ich wiegte sie, ich drehte in der Dusche Wasser auf für sie und stellt mich drunter, Maja starrte hin zu mir, um selbst dann in der Dusche Wasser auf- und zuzudrehen, es zu mustern, wie’s in Strahlen aus dem Duschkopf kam, die Wände runter rann und in die Tasse fiel, dann legte Maja sich ins Bett und drückte sich ne Packung Chips, die sie zum Abschied mitbekommen hatte, an die Brust, umarmte diese Packung Chips wie eine Puppe, wie ein Tier aus Plüsch, und ich ging raus auf den Balkon und weinte.

Die Bäume, die am Wegrand standen, nahm ich wahr, den Plastiksack, den raschelnd leicht ein Windstoß hob, wir schauten Wolken an, wir gaben ihnen Namen, gingen Hand in Hand die Felder lang, wir spielten, schwiegen: alles Gegenwart; auch war mir klar, dass ich mit Maja anders leben würde, nicht dies designte Glück, das abgeschaut und durchgeplant in einem fort zu stemmen war.

Herbert holte uns vom Flugplatz ab, auch Herbert nannte Maja Sonnenschein und hatte kaum Affären mehr, er schnitt sich seiner Seele Innerstes heraus und gab es in ein Glas, das er nur dann aufmachte, wenn er zum Radfahrn ging mit Maja oder Skaten, wenn er ihr vorlas oder sich mit ihr nen Film ansah – ich wollte weg, nur weg, wenn Herbert, come, come on und super, weiter, einmal noch und höher sagte; sein Atem renne wie ein Irrlicht her vor ihm, verscheuche Majas Heiterkeit. Ach, Hirngespinst, er bringe halt was weiter und lebten, nebenbei, wir gut davon, denn was schon gehe mit nem Lehrerinnenlohn.

Flanierten wir durch Straßen Hand in Hand und Maja liebte Sauberkeit und Maja liebte Straßenbahnen und entwertete die Karten, setzte sich und schaute auf die sauberen Jeans und schmiegte sich an mich, bedankte sich nach jedem Satz, bis ich ihr sagte, dass sie nicht immer danke sagen müsse, ein Wunder warn für Maja Einkaufswagen, die sie sorgsam schob, Gefährte aus dem Traum, in die man legt, was einem so gefällt; gemeinsam kochten wir und warteten auf Herbert, mit Widerwillen ich, mit Freude Maja, und im Sekundenbruchteil fragte Herbert, was sie gelernt, gedacht – danke, sagte Maja, danke, wenn sie nicht weiter wusste, danke sehr, ich wollte aufstehn, weg, nur weg mit Maja in ein andres Leben, das nicht gespannt war, auf dem Sprung und jeden Augenblick vernutzte, nichts verschenkte, keinen Millimeter.

Mit Maja ging ich langsam, schau, die Weiden, wie sie Kätzchen tragen, schau die Primeln, die Platanen; neben Maja blieb ich sitzen auf dem Wiesenstück, trank ­Apfelsaft und schaute Äste, Blätter, den azurnen Himmel an, wir beide hielten inne, warn in diesem Stückchen Himmel. Maja weinte sich die Sehnsucht von der Seele, Freundinnen und riechen, Roti riechen, Blumen riechen, Haare riechen, Seife, Lachen, Mist. Da umarmte ich mein Kind und weinte mit ihm, Bäume, Schreine zeichnet’ Maja, färbt’ das Waisenhaus, den Himmel, Kinder rot mit Sindoor ein. Das Herz sprang mir zur Mitte und hinauf um ein, zwei Finger breit, wenn Maja lachte, wurde weit, wenn Maja mich frisierte, mir erzählte, mein Herz zog sich zusammen, wenn Herbert aufsprang, um ein Tuch zu holen und Speisen auf den Teller, in den Mund sich legte, schluckte, Maja im Sekundenbruchteil fragte, wie sie denn ihre Zeit verbracht, was Neues sie gelernt hat, jeden Fehler korrigierte und zur Übung analoge Sätze bildete.

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