»Das tut mir leid, dann sollten Sie sich darauf einstellen, den Kurs nicht zu bestehen«, meinte die Lehrkraft zuckersüß und mir rutschte das Herz in die Hose.
Ich durfte nicht durchfallen. Eine schlechte Note war eine Sache, aber den Kurs nicht bestehen? Meine Mom würde mich nicht nur enterben. Sie würde mich aus der Stadt jagen.
»Mrs. Bigelow, ich bin mir fast sicher, dass mein Dad es nicht gutheißen wird, wenn ich mit einem Kerl aus einer Gang, der offensichtlich Drogen konsumiert, mich vergewaltigen könnte und besser in der Jugendstrafanstalt aufgehoben wäre, zusammenarbeite. Daher bitte ich Sie, uns neu einzuteilen, auch wenn dadurch die Teams neu gemischt werden müssen«, versuchte ich, die Wahnsinnige zu überreden, aber sie schüttelte nur den Kopf, während sie die Augen verdrehte.
Um meine Worte zu bekräftigen, erhob ich mich und ging ein Stück vor, sodass ich vor dem Lehrerpult stand, um nicht durch den Raum schreien zu müssen. Alejo hatte sich ebenfalls zu uns bequemt, nachdem er seine Lederjacke übergezogen hatte. Vielleicht würde sie sich breitschlagen lassen, wenn wir ihr die Situation zivilisiert erklären würden.
»Genau Mujer , zieh die Mein-Daddy-ist-Anwalt-Karte, dann bekommst du sicher wie immer, was du willst. Aber selbst wenn nicht würde ich dich kratzbürstige Nonne nicht einmal anfassen, wenn du mir Geld dafür zahlen würdest. Wer möchte schon ein steifes Brett in seinem Bett?«
Autsch! Das hatte gesessen. Wie war das noch gleich mit dem zivilisiert gewesen?
Erst als ich den Knall hörte, den meine Hand, die auf seiner Wange aufschlug, verursachte, wurde mir klar, dass ich Alejo geohrfeigt hatte. Mitten im Klassenzimmer. Vor allen anderen Schülern und einer Lehrperson. Schockiert starrte er mich an, als ihm bewusst wurde, dass er den Bogen dieses Mal überspannt hatte und zu weit gegangen war. Aber auch ich riss erschrocken meine Augen auf. So ein Verhalten war ich von mir nicht gewohnt. Wut kochte in meinem Blut und meine Handfläche pochte unangenehm. Tränen schossen erneut in meine Augen und diesmal konnte ich einen einzelnen Tropfen nicht zurückhalten.
Alejo legte eine Hand auf seine gerötete Wange und ging entsetzt einen Schritt rückwärts, als hätte er Angst, dass es nicht die einzige Ohrfeige bleiben würde. Einige Schüler lachten verlegen und andere atmeten zischend ein. Die Spannung im Raum war fast greifbar und ich wollte am liebsten weglaufen. Wo war das Loch im Boden, wenn man es brauchte?
Peinlich berührt starrte ich in die Gesichter meiner Mitschüler. Von Belustigung bis zu tiefer Betroffenheit war jedes Gefühl in ihren Mienen vertreten. Sofort schämte ich mich in Grund und Boden. Ich konnte spüren, wie die Trauer in mir aufstieg und ich musste mich zusammenreißen, um nicht doch noch loszuheulen. Das Klingeln, das die Pause einleitete, brachte wieder Bewegung in die Situation und rettete mich zum zweiten Mal an diesem Tag vor einer noch größeren Demütigung.
Alejo rieb sich übers Kinn und bewegte leicht den Kiefer, um zu testen, ob ich einen Schaden angerichtet hatte. Obwohl das völlig absurd war – ich war nicht annähernd kräftig genug, um seine Knochen zu brechen oder ihm einen Zahn auszuschlagen – blickte ich besorgt in seine Richtung. Mrs. Bigelow murmelte in ihren nicht vorhandenen Bart, dass sie die Teams nicht mehr verändern würde, und schickte uns in den nächsten Unterricht. Noch einmal hätte ich mich auch nicht getraut nachzufragen.
So schnell mich meine Beine trugen, rannte ich in den Kunstsaal. Ich war froh, vor den neugierigen Augen der Schüler flüchten zu können, die hinter meinem Rücken aufgeregt tuschelten. In wenigen Minuten würde ich Alejandro nicht mehr geschlagen haben, weil er ein beleidigender Schuft war. Stattdessen würde behauptet werden, dass er mit meinem nicht vorhandenen Freund geschlafen hat, ich gleichzeitig von ihm ein Kind erwarte und jetzt mit seiner neuen Flamme eine Beziehung starte. Und das war nur die Spitze des Eisbergs.
Kapitel 4
Kunst, das einzige Fach, das ich mir selbst ausgesucht hatte, gab mir die Möglichkeit, runterzukommen und allen Stress hinter mir zu lassen. Ich war froh, endlich vor meinem halb fertigen Bild zu sitzen und nahm mir fest vor, es heute noch fertigzustellen, um es anschließend zur Benotung freizugeben. Emilia war nicht mit mir im Kunstkurs. Alejo leider schon. Auch wenn er wieder einmal am anderen Ende des Zimmers saß, spürte ich seine Anwesenheit und seinen Blick, der mich zu durchbohren schien.
»Das hat ziemlich weh getan, Mujer «, säuselte er mir ins Ohr und ich zuckte zusammen, weil ich überhaupt nicht mitbekommen hatte, dass er aufgestanden war.
Wie hatte er es fertig gebracht, die Distanz zwischen uns zu überwinden und sich hinter mich zu stellen? Vor Schreck rutschte ich ab und zog einen schwarzen Streifen, der eigentlich nur unter meine gezeichnete Brücke gehörte, quer über das Bild, während sich meine Nackenhaare aufstellten und ein Schauer über meinen Rücken lief. So ein Mist!
»Was soll das?«, zischte ich, wütend über die Reaktionen meines verräterischen Körpers und das verschandelte Bild.
Das würde ich selbst mit viel Fantasie nicht mehr retten können. Ich drehte mich zu Alejo um und legte den Kopf leicht schief, um seine Wange betrachten zu können.
Schön! Sie war noch gerötet.
Alejandros Oberkörper war meinem nun so nah wie lange nicht mehr. Er sandte eine angenehme Wärme aus und sein Duft erinnerte mich an den Wald, in dem ich als Kind immer gespielt hatte. Ich versteifte mich und lehnte mich nach hinten. Wenigstens konnte ich so ein wenig Abstand zwischen uns bringen, anstatt wie ein billiges Flittchen seinen Geruch aufzusaugen, der mein Gehirn vernebelte. Sein Blick wanderte über meine Figur und nahm jedes kleine Detail genüsslich auf. Ich war es gewohnt, dass Jungs mir hinterher sahen, hauptsächlich weil ich blond, blauäugig und wohl geformt war. Außerdem kam ich aus gehobenen Kreisen. Aber niemals hatte mich jemand so angesehen, wie Alejo es tat. Er war mir körperlich nahe, ohne mich zu berühren und versuchte nicht einmal zu verstecken, dass er mich begaffte. Seine Augen ruhten auf mir wie der Blick einer Schlange auf ihrer nächsten Mahlzeit. Als würde er mich mit Haut und Haaren verschlingen wollen.
Hitze stieg mir ins Gesicht und ich konnte fühlen, wie sich meine Wangen rötlich färbten. Alejandros Blick sorgte dafür, dass ich mich schön fühlte. Nicht auf eine schmutzige, nackte Weise, sondern auf eine gute Art. Das war schlecht! Für Alejo war ich nämlich nichts Besonderes, egal, was sein Blick sagte. Seine Taten sprachen eine ganz andere Sprache. Jedes Mädchen war bei ihm die Eine , bevor er die Nächste ansah.
»Warum musst du immer so sein?«, dachte Alejo laut und presste die Lippen zu einem dünnen Strich zusammen.
Damit war der magische Moment verflogen und ich lächelte ihn spöttisch an, um Haltung zu bewahren. Keine Schwäche zeigen, sonst würde er sie gnadenlos ausnutzen und gegen mich verwenden. Er hatte schon genug Stoff, um mich regelmäßig auf die Palme zu bringen, da musste er nicht auch noch wissen, dass mein Körper regelrecht nach ihm schrie.
»Ach, wie bin ich denn immer?«, provozierte ich ihn weiter und grinste innerlich, dass seine Wange geschwollen war. Das geschah ihm recht.
Alejandro trat näher an mich heran, sodass nicht einmal mehr ein Blatt Papier zwischen uns gepasst hätte. Mein Blut raste und ich hatte das Gefühl, nicht länger atmen zu können. Meine Brustwarzen wurden hart, als Alejos Lippen meinem Gesicht gefährlich nahekamen. Eine Gänsehaut überzog meinen Körper und ich erzitterte, als ich seinen Atem an meiner Schläfe spürte. Sanft liebkoste seine Zunge mein Ohrläppchen, bevor er mir ins Ohr hauchte.
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