Am Dienstag betrat Uwe das Reisebüro, er freute sich riesig über das viele Geld, das jetzt auf seinem Bankkonto auf Transaktionen wartete. Es musste lange genug im Sparstrumpf schmoren und wollte verjubelt werden. Uwe war guter Dinge.
Katrin telefonierte gerade mit einem Kunden: „Ja, Flug 213 um 8:00 Uhr“, sie zwinkerte ihm zu, sich zu setzen.
Nervös grinsend, haarte er aus, um sich von der Reisekauffrau beraten zu lassen.
Endlich legte sie auf: „Was ist denn mit dir passiert?“
Irgendetwas war anders als sonst? Huskykatrin und Uwe sind alte Schulfreunde, ihr fiel sofort auf: ‚Hier ist etwas im Busch, ach nein, im Strumpf!’
Er sprang auf und drückte sie: „Es ist mir fast peinlich, mich zu freuen, meine Tante ist verstorben.“
„Wir sind aber kein Beerdigungsinstitut! Wie kann ich dir weiterhelfen?“, stellte Katrin nach kurzer Überlegung klar.
Dann fuhr sie mit ihrem Bürostuhl an den Schreibtisch heran und nahm die Prospekte zur Hand.
Aus dem lustigen Erben sprudelte heraus: „Katrin, ich habe geerbt, und ich will nach Hawaii fliegen! Es soll aber keiner davon wissen! Ich will auf keinen Fall angepumpt werden. Wenn es um Erbschaften geht, scharen sich doch alle wie die Fliegen um die dampfende Hundekacke!“
Katrin nickte ihm vertrauensvoll zu.
„Kein Problem, ich schweige! Die Anzahlung für die Reise ist sozusagen das Schweigegeld!“, versprach sie lachend in ihrem Reisebüro.
Solch solvente Kundschaft konnte sie sich nur öfter wünschen. Es würde bestimmt nicht die letzte Reise für Uwe sein, die er bei ihr bucht, da macht die Beratung Spaß und Sinn.
Dem Globus auf ihrem Schreibtisch wurde schwindelig, seine Erdumdrehungen kamen aus dem Rhythmus. Mit dem Finger ging die Reiseplanung hin und her, es gab zahllose Länder zu entdecken. Uwe bekam bereits Ohrensausen und Kreislauf! Er stoppte den sich immer schneller drehenden Globus und die immer schneller redende Reiseberaterin.
„Puh, einmal um die Welt in drei Stunden! Das schafft nicht einmal Jules Verne“, erschöpft, stand er von seinem magnetisierten Beratungsstuhl auf.
Das Reisen so anstrengend sein kann! Uwe litt an Übelkeit, vermutlich war er reisekrank. Der Erbe brauchte eine Reisetablette. Das eine Erbschaft den normalen Alltag gravierend verdrehen kann, beängstigend. Wer da nicht durchdreht, ist selber schuld.
Katrin war hocherfreut und drückte Uwe die Hand: „Gebucht ist gebucht! Ich wünsche dir viel Spaß und eine gute Reise! Ich freue mich auf deinen Reisebericht! Melde dich unbedingt, wenn du wieder da bist.“
Cordulas Reise ging weiter in Richtung Theodora. Das Navi auf ihrem Handy war aktiviert, den in diese Gegend war ihr völlig unbekannt.
Hier standen triste, graue Mietshäuser mit mehreren Stockwerken, mit Fahrstuhl oder ohne. Ein paar Häuser waren dazwischen, die gewollt und gekonnt mit grafisch bunten Häuserfassaden der örtlichen Malervereinigung verziert wurden. Es sollten verstärkt neue Mieter angelockt werden. Darunter waren auch besprühte Häuser, die von künstlerisch freien Malern im Spraydosenstil bearbeitetet waren.
Den Jackenkragen hatte sie hochgeschlagen, ein Tuch wärmte zusätzlich ihren Hals. Das Navi zeigte nur noch wenige Meter an, jetzt stand Cordula vor dem Haus. Die Sprechanlage gähnte sie wortlos an. Die Verunsicherte las die Namenschilder durch, und sah sie sich hastig um, glücklicherweise war niemand zu sehen. Sie drückte auf den Klingelknopf, und der Türöffner summte und knackte. Voller Kraft stemmte sich Cordula dagegen und fiel mit der Tür ins Haus. Wo war das Flurlicht? Der Bewegungsmelder bemerkte sie, denn das Licht sprang an. Ihre Ohren lauschten angestrengt, nichts Auffälliges war zu hören, nur ihr Atem keuchte ängstlich. Cordula drehte sich wiederholt suchend um, bevor sie in den zugig muffigen Hausflur stürzte. Das Licht verlosch, sprang aber durch Cordulas Bewegung sofort wieder an. Einen kurzen Moment überlegte sie und rannte dann sportlich die Treppe hinauf.
Fatal, wäre sie einer Patientin begegnet. Diese fragenden Blicke, vielleicht ausgesprochen?
Cordula fiel ein: ‚Ich kann ja einen Hausbesuch vortäuschen’ Ach, lügen war nicht ihre Stärke.
Im 4. Stock nach Luft schnappend angekommen, stand Boxer Fredi und Boxer Wladi wartend in der Wohnungstür.
„Immer herein in die gute Stube. Sie sind der Termin, Frau Cordula?“, sprach Theodora sie an.
Ihr wurde mulmig und sie begann zu schwitzen. Es war keine Menschenseele zu sehen!
„Bitte sprechen sie mich nicht mit Namen an, hier auf dem Treppenabsatz!“, unterbrach Cordula sie.
Dann huschte sie in den Wohnungsflur hinein, und betrat eine orientalisch dekorierte Dreizimmerwohnung im 4. Stock eines Mehrfamilienhauses.
„Soll ich Tee kochen!“, rief Marina aus der Küche.
Die Verunsicherte brauchte keinesfalls lange überlegen: „Ein leckerer Tee aus dem Samowar? Marina, den kann ich doch nicht ausschlagen!“
Bei Theodoras Frau stand Gastfreundschaft an erster Stelle, schließlich war sie durch und durch Russin, geboren in St. Petersburg.
Marina und Fredi verliebten sich in Sibirien, er arbeitete als Montagearbeiter. Es war dort bitterkalt, und sie wärmten sich gegenseitig Körper und Herz. Marina folgte Fredi nach Deutschland, niemals wollten sie sich voneinander trennen.
„Mit Zucker, Frau Doktor?“, rief es herzlich aus der Küche.
Aufgeregt antwortete Cordula: „Ja mit Zucker. Ich glaube, ich brauche Nervenfutter!“
Theodora hatte sie in der Zwischenzeit in das Kinderzimmer geführt und ihr einen Platz angeboten. Dort schlägt Cordula gedimmtes Licht entgegen: beleuchtete Kugeln mit Farbwechsler, flatternde, zugezogene Vorhänge – das volle Programm.
Fallend lässt sie sich auf dem Sitzkissen von Ikea nieder, Stille im Raum.
Fredi, oder besser gesagt, Theodoras Blicke wurden geheimnisvoll durchdringend: „Was wollen sie wissen? Die Karten lügen nicht.“
Cordula schluckte geräuschvoll und atmete tief durch. ‚Ob ich mir das so richtig überlegt habe?’, sie wurde nachdenklich und fing an, ihre Hände zu massieren.
„Wie sieht es mit meiner Ehe aus?“, stammelte die Unwissende weinerlich, sie spürte, dass kaum etwas Gutes dabei herauskommen würde.
Theodora nahm die Karten aus der Schublade und begann sie sorgfältig durchzumischen. Endlich legte sie die Karten auf dem Tisch aus.
„Sie sind seit ein paar Jahren verheiratet. Ich sehe etwas, was ihnen missfallen wird!“, räusperte sich die Wahrsagerin.
Kurz und schmerzvoll musste es ans Tageslicht: „Ich sehe eine blonde Frau in den Armen ihres Mannes! Nicht erst seit heute! Das geht bereits ein dreiviertel Jahr! Sie haben nichts bemerkt?“
Zitternd und mit Tränen in den Augen suchte Cordula nach Worten, sie war fassungslos: „Das, kann nicht sein! Eine Frechheit, allein dieser Gedanke, ihre lausige Behauptung, sie sind ein Scharlatan im Boxerbademantel! Von mir kriegen sie keinen Cent!“
Die Betrogene sprang genauso sportlich von den Kissen hoch, wie sie die Treppe hinaufgerannt war. Die Teetasse fiel in Zeitlupe zu Boden. Zersprang in tausend Stücke; zersprang in dieser Sekunde ihr Glück in tausend Stücke, irreparabel? Tränen drückten sich mit aller Macht in ihre Augen, unaufhaltsam drängten sie nach draußen. Wie soll sie das rückgängig machen, alles wieder in Ordnung bringen?
Tränen der Wahrheit mussten die Lüge wegspülen. Die Lebenslüge, die früher eine romantische Wahrheit war, wann wurde sie zur Lüge? Unbemerkte, gegenseitige zarte Verletzungen, die riesengroß erschienen. Kaum mehr zu kitten, unbedachte Abweisungen, die sich tief in Seele und Herz schnitten. Alltagsfrust, Kinderstress, gegenseitiges Unverständnis, stille, verzweifelte, ungehörte Schreie nach Liebe und Zärtlichkeit.
Dieser ständige Schlafentzug war eine Folter, wenn aus Zwei, Drei und dann Vier wurden. Unangebrachte Ratschläge von allen Seiten, was die Kindererziehung betraf.
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