Der Begriff der Organisation kennzeichnet ein – in Prozessen und Strukturen – dokumentiertes System aufeinander abgestimmter Regeln, welches das arbeitsteilige Leistungsverhalten der handelnden Akteure koordiniert und auf die Erreichung definierter Ziele ausrichtet.
Organisatorische Regeln sind präsituativ geplant, auf (eine gewisse) Dauer angelegt und (möglichst) unabhängig von einzelnen Personen. Klassischerweise werden die organisatorischen Regelungen zumeist von einer übergeordneten Instanz oder einer Organisationsabteilung für andere erlassen (Fremdorganisation) und formalisiert festgehalten. 43
Optimaler Organisationsgrad
Wenn ein Unternehmen größer und komplizierter wird, bedarf es demnach zunehmend mehr Regeln. Gleichzeitig ist es aber nicht sinnvoll, für jede Eventualität eine Regel zu definieren. Zu viele und zu enge Regeln führen zu Starrheit und Inflexibilität. Es gilt zwischen einer bürokratischen „Überorganisation“ und einer chaotischen „Unterorganisation“ die angemessene Mitte zu finden. Im optimalen Organisationsgrad gibt es gerade so viele Vorgaben (Fremdorganisation), wie die handelnden Akteure zur eigenverantwortlichen Erreichung der mit ihren Teilaufgaben verbundenen Unterziele benötigen (Selbstorganisation). Diesen theoretisch optimalen Organisationsgrad (näherungsweise) zu finden, ist seit jeher eine der zentralen Herausforderungen der Organisation.
Abb. 6: Optimaler Organisationsgrad 44
Die organisatorischen Regeln betreffen zum einen die Reihenfolge von bestimmten Aktivitäten, also wie bestimmte Aufgaben ablaufen. Man spricht hier auch von Prozessen bzw. der Prozess- oder Ablauforganisation. Zum anderen wird geregelt, wer welche Aufgaben übernimmt, sowie welche Rechte (organisatorisch auch Kompetenzen genannt) und Verantwortlichkeiten hat. Hier wird von Struktur bzw. der Struktur- oder Aufbauorganisation gesprochen. Prozesse und Strukturen sind die Kernobjekte der Organisation.

Abb. 7: Prozess und Struktur 45
Da die Prozesse die Unternehmensleistung generieren und es die Prozessergebnisse sind, die vom Kunden wirklich wahrgenommen werden, sollten organisatorisch die Prozesse die Strukturen dominieren und determinieren (Primat der Prozesse). Das heißt, es sollten – auf einer gegebenen Organisationsebene 46– i. d. R. zuerst die Prozesse und dann erst die Strukturen gestaltet werden. Prozesse benötigen aber Strukturen, in denen sie ablaufen, d. h. für jede Aktivität sind Personen bzw. Organisationseinheiten nötig, die für die Erfüllung verantwortlich sind. Demnach handelt es sich bei Prozess und Struktur um „zwei Seiten einer Medaille“. Ohne Prozesse bedarf es keiner Strukturen, und ohne adäquate Strukturen können Prozesse nicht effizient ablaufen.
Die Aufgabe der Organisation ist es, durch eine sinnvolle Gestaltung von Prozessen und Strukturen dafür zu sorgen, dass die Unternehmensziele erreicht werden. Jede Regel, die der Zielerreichung dient, also einen näher an das Ziel bringt, wird als effektiv bezeichnet („Die richtigen Dinge tun“).
Da Ressourcen (z. B. Zeit, Geld, Mitarbeiterkompetenzen) in der Regel knapp sind und es verschiedene Wege der Zielerreichung gibt, sollte sinnvollerweise die Organisationsalternative gewählt werden, die mit dem geringsten Ressourceneinsatz zum Ziel führt oder mit den gegebenen Ressourcen am nächsten ans Ziel heranführt. Diese Abwägung bzw. das Verhältnis von Output zu Input oder auch Nutzen zu Aufwand wird als Effizienz bezeichnet („Die Dinge richtig tun“). Organisation sollte demnach nicht nur effektiv, sondern auch effizient sein.
Diese beiden Oberziele der Organisation kann und sollte man allerdings noch weiter herunterbrechen – z. B. in die in Abbildung 8aufgeführten sechs Teilzeile der Organisationsgestaltung.
Diese sechs Gestaltungsziele sind generelle Anforderungen, die an jede Organisationslösung zu stellen sind – und zwar früher wie heute. Da die Ziele aber z. T. konfliktär zueinander sind und nie alle in optimaler Weise erfüllt werden können, ist jeweils situationsspezifisch zu entscheiden, welche Ziele im Vordergrund stehen bzw. wie die verschiedenen Ziele gewichtet werden sollen. In eher weniger dynamischen Umfeldern mit relativ stabilen Kundenanforderungen und standardisierbaren Prozessen stehen meist eher die auf Effizienz ausgerichteten Ziele im Vordergrund. In dynamischen VUCA-Umfeldern mit instabilen bzw. unklaren Kundenanforderungen, sollten dagegen die Ziele auf der linken Seite von Abbildung 8höher gewichtet werden. Hier ist es wichtig, anpassungsfähig zu sein und überhaupt die richtigen Kundenbedürfnisse zu erkennen und zu adressieren. Auch die gewählte strategische Ausrichtung des Unternehmens (z. B. Kosten- vs. Innovationsfokus) hat natürlich einen Einfluss auf die relative Bedeutung der sechs Gestaltungsziele.
Fokus auf Effektivität |
Fokus auf Effizienz |
Markt- und Kundenorientierung = Grad der Ausrichtung an Marktsituation und Kundenbedürfnissen |
Ressourceneffizienz = Grad der Wirtschaftlichkeit der Ressourcennutzung |
Anpassungs- & Entwicklungsfähigkeit = Grad der Fähigkeit zur (schnellen) Anpassung an und proaktiven Gestaltung von Veränderungen/Innovationen |
Prozesseffizienz = Grad der Standardisierung, Automatisierung und Störungs-/Fehlerfreiheit von Prozessen |
Unterstützend |
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Humanressourcen-Orientierung = Grad der Berücksichtigung der Qualifikation und Motivation der betroffenen Menschen |
Führungsfähigkeit = Grad der Fähigkeit zur Koordination der arbeitsteiligen Aufgabenerfüllung und Ausrichtung an übergeordneten Zielen |
Abb. 8: Ziele der Organisationsgestaltung 47
Agilität i.e.S., d. h. im Sinne von (schneller und flexibler) Anpassungs- und Entwicklungsfähigkeit ist seit jeher ein grundlegendes Ziel von Organisation – eines von mehreren. Die Bedeutung dieses Ziels war in der Vergangenheit aber häufig geringer als heute. Bei der Abwägung von effektivitäts- und effizienzorientierten Zielen standen in der Vergangenheit häufig die eher effizienzorientierten Ziele im Vordergrund.
Agilität i.w.S. (so wie hier im Buch verstanden) steht für eine Ausrichtung primär an der linken Seite von Abbildung 8. Denn in einem weiten Verständnis ist neben der Anpassungs- und Entwicklungsfähigkeit auch eine ausgeprägte Markt- und Kundenorientierung ein Teilaspekt von Agilität (vgl. Kapitel 4). Und auch der Umgang mit Humanressourcen und der Ansatz der Führung ist bei agilen Ansätzen anders als bei klassisch-hierarchischen Ansätzen. Die stärkere Ausrichtung auf die Effektivität bedeutet auch nicht zwangsweise eine geringere Effizienz oder gar Ineffizienz. Gerade in komplexen Umfeldern (vgl. Kapitel 2.4) kann ein agiles gegenüber einem klassischen Vorgehen auch Effizienzvorteile bringen, weil basierend auf frühzeitigem und kontinuierlichem Kundenfeedback nur ein Minimum an Zeit in nicht-wertschöpfende Dinge fließt. Hohe Aufwände für Dinge, die der Kunde nicht braucht – in der Lean-Literatur ( Kapitel 2.3) wird von „Waste“ bzw. Verschwendung gesprochen – entfallen. 48
3.2 Gestaltung von Prozessen
Etwas vereinfacht folgt die Organisationsgestaltung der in Abbildung 9dargestellten Logik: Die zur Erreichung der Unternehmensziele notwendige Gesamtaufgabe wird zunächst in Teilaufgaben und zugehörige Aktivitäten geteilt. Die Aktivitäten definieren, was zur Erfüllung der Gesamtaufgabe alles zu tun ist. Darauf aufbauend stellt sich die Frage, wie dies effektiv und effizient getan werden soll. Das impliziert zum einen die Reihenfolge der Aktivitäten (Prozesse) und zum anderen die Aufteilung auf verschiedene Personen sowie deren Beziehungen zueinander (Strukturen).
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