1 ...7 8 9 11 12 13 ...30 9. Exzellenz in Technik und Design: Ständiges Augenmerk auf technische Exzellenz und gutes Design fördert Agilität.
10. Einfachheit: Die Kunst, die Menge nicht getaner Arbeit zu maximieren, ist essenziell.
11. Selbstorganisation: Die besten Architekturen, Anforderungen und Entwürfe entstehen durch selbstorganisierte Teams.
12. Selbstreflexion: In regelmäßigen Abständen reflektiert das Team, wie es effektiver werden kann, und passt sein Verhalten entsprechend an.
Der Werte- und Prinzipienrahmen des agilen Manifests orientiert sich an bereits bestehenden Werten, Prinzipien und Rahmenwerken, die sich ebenso für eine schnelle, anpassungsfähige und lernende Organisation stark machen. So deckt sich die agile Grundhaltung in großen Teilen bspw. mit den Lean-Prinzipien, deren Vertreter Anfang der 1990er Jahre – motiviert durch die Erfolge des TOYOTA Production System (TPS) – auf den Plan traten (vgl. Kapitel 2.1). Kontinuierliche Verbesserung und das Streben nach Perfektion bilden das Fundament von Lean, dessen fünf Leitprinzipien sich auf agile Arbeitsweisen übertragen lassen bzw. Ähnlichkeiten aufweisen: 31
Definiere den Wert aus der Sicht des Kunden – Schaffe ein gemeinsames Verständnis darüber, was dem Kunden wichtig ist, und richte dich darauf aus.
Identifiziere den Wertstrom – Denke die Prozesse vom Kunden zum Kunden (End to End) und setze diese effizient um, indem Du Verschwendungen eliminierst.
Erzeuge einen kontinuierlichen Arbeitsfluss – Schaffe eine optimale bereichsübergreifende Taktung und Synchronisation.
Führe das Pull-Prinzip ein – Ziehe Kundenaufträge durch den Prozess, jede Aktivität wird von der nachfolgenden Aktivität ausgelöst.
Strebe Perfektion an – Etabliere einen gemeinsamen kontinuierlichen Verbesserungsprozess.
Die Grundhaltung von Lean (= schlank) ist es also, kundenorientierte Wertschöpfung ohne Verschwendung (jap. „muda“) zu schaffen. Der Kerngedanke spiegelt sich wohl am besten in dem fast schon philosophisch anmutenden 10. agilen Prinzip der Einfachheit wider, nämlich „der Kunst, die Menge nicht getaner Arbeit zu maximieren!“ Alle wertschöpfenden Aktivitäten werden kontinuierlich unter die Lupe genommen und so aufeinander abgestimmt, dass Verschwendungen aufgedeckt und eliminiert werden können. Zu diesem Zwecke wird ein bestehendes System aus zwei Perspektiven betrachtet:
1. aus der Sicht des Kunden, dessen Bedürfnisse optimal zu erfüllen sind
2. aus der Sicht des Unternehmens, das sich profitabel auf die Erfüllung dieser Bedürfnisse ausrichtet.
Das Ergebnis sind Wertschöpfungsstrukturen mit hoher Kundenorientierung und hoher Effizienz. Unzählige kontinuierliche Verbesserungsprozesse (KVP) und Wertstromanalysen orientieren sich heute an diesen Leitlinien und Prinzipien, deren Ursprünge auf Kaizen und folglich Lean zurückgehen und in vielfältigen Methoden und Werkzeugen zum Einsatz kommen, für die hier stellvertretend die 5S/5A-Methode (7 Arten der Verschwendung) zur effizienten und effektiven Arbeitsgestaltung genannt werden soll. 32
Die ausgeführten Werte und Prinzipien aus dem agilen Manifest und ergänzend dem Lean-Umfeld machen ein agiles Mindset anschaulich und greifbarer. Sie sind aber nicht die einzig möglichen oder die allseits anerkannten Werte und Prinzipien von Agilität. Vielmehr haben diverse agile Methoden und Ansätze eigene Werte- und Prinzipiengerüste (vgl. Kapitel 6-8), die alle leicht unterschiedlich sind und etwas konkreter auf die spezifischen Modelle abstellen. Der Scrum Guide 33bspw. nennt die 5 Werte Offenheit, Mut, Respekt, Fokus und Commitment.
Außerdem finden sich diverse Unternehmen, die sich eigene, unternehmensspezifische Werte und/oder Prinzipien definieren. Und das ist auch legitim und kann sinnvoll sein. Übersetzt in das Leitbild eines Unternehmens, könnte ein agiler Werte- und Prinzipienrahmen exemplarisch wie in Abbildung 4aussehen.

Abb. 4: Leitbild agiler Werte und Prinzipien (Unternehmensbeispiel)
Werte und Prinzipien liefern Leitlinien für erfolgreiche Zusammenarbeit in einer durch Komplexität und wechselnde Rahmenbedingungen geprägten Welt. Aber erst der Blick hinter die Werte- und Prinzipienkulisse offenbart die wirkliche Haltung im zwischenmenschlichen Umgang und nach welchen Kriterien und Maßstäben Entscheidungen wirklich getroffen werden. Solange die agilen Werte lediglich als Leitlinien an der Wand hängen, handelt es sich, wenn überhaupt, bloß um „agil machen“. Nur wenn das agile Handeln auch in ein agiles Denken übergeht, das sich in den Werten und Prinzipien widerspiegelt, entsteht ein agiles Mindset bzw. eine agile Kultur („agil sein“, vgl. Abbildung 2).
2.4 Adäquate Rahmenbedingungen
Wie in den bisherigen Ausführungen dargelegt, wird Agilität im Zuge der zunehmenden VUCA-Umwelt immer wichtiger. Aber ein agiles Vorgehen passt natürlich nicht immer und überall. Im Hinblick auf die Frage, wann agiles Denken und Handeln passen, helfen verschiedene Modelle. Als vereinfachte bzw. vereinfachende Abbilder der Realität helfen sie dabei, Situationen besser einzuschätzen und zu entscheiden, welche Handlungsstrategien sich auf Grundlage der jeweiligen Annahmen und Bedingungen für die Lösung bestimmter Vorhaben und Fragestellungen eignen.
Mit der sogenannten Stacey-Matrix 34und dem Cynefin-Framework 35haben sich in den vergangenen Jahren zwei Modelle durchgesetzt, die jeweils eine Einordnung verschiedener situativer Kontexte ermöglichen.
Fasstman die wesentlichen Erkenntnisse dieser beiden Modelle, wie in Abbildung 5gezeigt, in einem Modell zusammen, so lassen sich vier Gestaltungsbereiche voneinander unterscheiden und entsprechende Handlungsstrategien ableiten.

Abb. 5: Typologie situativer Kontexte und Gestaltungsbereiche 36
Die Verortung konkreter Vorhaben und Initiativen in diesem Schema orientiert sich an den Bekanntheitsgraden der relevanten Anforderungen (dem Was) und der Technologien, die zur Umsetzung der Anforderungen notwendig sind (dem Wie). Anforderungen bewegen sich im Spektrum zwischen absolut bekannt und komplett unbekannt. In den meisten Fällen liegt die Wahrheit irgendwo zwischen diesen beiden Extremen. Ähnlich verhält es sich mit den Technologien bzw. allgemeinen Lösungsansätzen, die sich für die Umsetzung der Anforderungen eignen. Auch sie liegen zwischen bekannt – erprobte, etablierte Technologien und Verfahren sind verfügbar – und unbekannt bzw. sind im Extremfall noch gar nicht existent.
Auf Basis dieser Matrix lassen sich 4 unterschiedliche Kontexte ableiten, in denen jeweils ein anderes Vorgehen angebracht ist:
Einfache Kontexte: Anforderungen sind bekannt und die Technologie ist vorhanden. Ursache-Wirkungszusammenhänge sind klar, eindeutig und vorhersagbar. Insofern liegt auch die gewünschte Lösung auf der Hand, die durch die Herangehensweise „erkenne, beurteile, reagiere“ erreicht werden kann. Hier empfiehlt sich die Anwendung bewährter Praktiken und Standards (Best Practices).
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