Alexandra Walczyk - Die Gesichter der Steine

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"…Nur weil ich wie ein Indianer aussehe, heißt das noch lange nicht, dass ich einer sein will. Und ich will keiner sein. Ich will James Powell sein. Was ist falsch daran?" Diese Fragen beherrschen das Denken des vierzehnjährigen James, der seit seinem zweiten Lebensjahr das behütete Leben eines ganz normalen amerikanischen Jungen führt. James möchte nichts weiter sein als eben James, doch gerade das scheint immer unmöglicher. Als Kind von seiner indianischen Mutter zur Adoption freigegeben, hat James sich bisher strikt geweigert, etwas über seine tatsächliche Familie wissen zu wollen. Mehr und mehr zieht er sich in sich selbst zurück und wird immer öfter Opfer seiner ohnmächtigen Wut und längst vergessen geglaubter, verletzter Gefühle. Bis er tatsächlich auf die Reservation geschickt wird, um seinen indianischen Vater zu treffen. Doch das Treffen läuft anders als erwartet…

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Alexandra Walczyk

Die Gesichter der Steine

Bloß kein Indianer sein

Für Sheila, Isabelle

und all die anderen Kids

Die Gesichter

der Steine

Bloß kein Indianer sein

von

Alexandra Walczyk

Impressum Die Gesichter der Steine Alexandra Walczyk TraumFänger Verlag - фото 1

Impressum

Die Gesichter der Steine, Alexandra Walczyk

TraumFänger Verlag Hohenthann, 2015

eBook ISBN 978-3-941485-42-6

Lektorat: Ilona Rehfeldt

Satz/Bildbearbeitung: Janis Sonnberger, merkMal Verlag

Datenkonvertierung: readbox, Dortmund

Titelbild: Alexandra Walczyk

Copyright by TraumFänger Verlag GmbH & Co. Buchhandels KG,

Hohenthann

Produced in Germany

Inhalt

Die Entscheidung

Frank Stands Alone

Reservationsgesichter

Powwow, Poker und grinsende Hunde

Innere Angelegenheiten

Auf nach Westen!

Die Gesichter der Steine

Auf einem Roten Weg

Mitakuye oyasin – Alle meine Verwandten

Er sah sich suchend im Haus um.

Sehnsucht huschte wie ein bleiches Gespenst durch die Räume und drückte sich die Nase an den Fensterscheiben platt.

James war wieder zu Hause. Auch wenn niemand sonst mehr hier wohnte, die Möbel unter weißen Tüchern schliefen und draußen auf dem Rasen das Schild „Zu verkaufen“ stand.

James stellte die braune Papiertüte mit dem angebissenen Sandwich und dem kleinen runzligen Apfel auf die Anrichte im Flur.

Langsam drehte er sich im Kreis und schloss die Augen.

Die Sehnsucht blieb endlich vor ihm stehen, breitete die dünnen Ärmchen aus und lächelte.

James schluckte, wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel und schritt aufrecht durch seine Sehnsucht hindurch. Hinter ihm wirbelte feiner Staub durch die Luft und weiße Tücher bauschten sich flatternd zu Boden.

Jemand rief ihm zu, dass das Leben ein seltsamer Ort sein konnte. Dann wachte James wie immer schweißgebadet auf.

Die Entscheidung

„Mom, warum muss ich da hin?“

James lehnte in der Tür zur Küche und verschränkte die Arme. Seine Mutter lächelte. Sie schnitt die Zwiebel fertig, legte das Messer in die Spüle und drehte sich um. Ihr Lächeln wich einem besorgten Gesichtsausdruck. James sah sie aus seinen schwarzen Augen düster an. Sie seufzte und wischte sich nervös die Hände an der Schürze ab.

„James, das haben wir doch jetzt schon hundertmal besprochen Ich dachte, das Warum wäre endlich geklärt.“

„Für euch vielleicht. Ich will dort einfach nicht hin.“

Er stand mit ausdruckslosem Gesicht in der Tür. Nur wer ihn gut kannte, wusste, dass sich gerade hinter dieser starren Maske eine Menge an Gefühlen verbarg. Catherine kannte ihren Sohn gut. Darum verkniff sie sich jede spontane Bewegung und versuchte es so nüchtern und sachlich wie möglich.

„Schatz, es ist zu deinem Besten.“

Sein Gesicht verzog sich. Er verdrehte genervt die Augen. Also doch lieber eine Umarmung? Catherine machte einen Schritt in seine Richtung und er hob abwehrend die Hand.

„Das ist doch Blödsinn, Mom. Ich bin die letzten zwölf Jahre verdammt gut ohne die klargekommen. Was soll das also?“

Catherine schloss die Augen. Dann zog sie sich einen Stuhl heran und winkte James, sich zu ihr zu setzen. Zögernd kam er näher und lehnte sich an die Theke. Sie legte die Hände auf den Tisch und überlegte.

„James, wir möchten doch nur, dass du deine Leute kennenlernst. Wir wollen nicht, dass du später denkst, wir hätten dir etwas vorenthalten.“ Sie sah ihn an.

Er schwieg.

„Wir wollen dich doch nicht wegschicken. Das denkst du doch nicht, oder? Ist es das, wovor du Angst hast?“

„Ich weiß nicht. Ich weiß gar nichts mehr. Sag mir einfach, warum ich es tun muss, obwohl ich es nicht will.“

„Du musst gar nichts tun.“

„Muss ich nicht?!“

Aufmerksam sah James seiner Mutter ins Gesicht und wartete auf ihre Antwort. Sie grinste ihn an. Das mochte er so an ihr. Immer wenn man sie in die Ecke drängte, lachte sie. Er wünschte, er könnte das auch. Alles so locker nehmen. Aber stattdessen wurde er neuerdings immer gleich furchtbar wütend wegen jeder Kleinigkeit. Seit sie ihm vorgeschlagen hatten, dass er den Sommer über nach South Dakota fahren sollte, um seine Leute besser kennenzulernen, war er ungenießbar. Es wäre doch eine gute Gelegenheit, da sie nach New York umziehen würden, hatten sie versöhnlich gemeint. Von wegen! Das hieß im Klartext, seine Eltern würden die neue Wohnung einrichten, während er in der trostlosen Prärie festsaß und einen auf Familie machte. Da war sie wieder, diese Wut und James ballte die Fäuste.„Sie sind nicht meine Leute.“

„James, warum nennst du sie nie beim Namen? Wir haben doch nie ein Geheimnis daraus gemacht, woher du kommst, oder? Du bist unser Sohn und daran wird nichts und niemand jemals etwas ändern. Aber du musst dich mit deiner Herkunft endlich auseinandersetzen, bevor diese Wut dich noch auffrisst.“

Erstaunt sah er sie an. „Wovon redest du bloß?“

Catherine stand auf und stellte sich direkt vor James, so dass er ihr nicht ausweichen konnte. Dabei bemerkte sie, wie groß er geworden war. Seine Augen waren auf gleicher Höhe mit den ihren. Mit seinen vierzehn Jahren wirkte er zwar noch schlaksig und jungenhaft, aber er war auch sehnig und glich den Männern auf den Fotos, die seine Mutter ihnen zusammen mit ein paar anderen Habseligkeiten in einem Schuhkarton übergeben hatte. Damals waren sie nach Süd Dakota gefahren, weil sie ein Kind adoptieren wollten. Alles war von den zuständigen Behörden in die Wege geleitet worden, aber dann hatte es Schwierigkeiten gegeben. Als sie nach einem wochenlangen Rechtsstreit schließlich frustriert und verzweifelt abreisen wollten, war plötzlich James in ihr Leben getreten. James war damals zwei Jahre alt gewesen und seine Mutter schwere Alkoholikerin. Obwohl es inzwischen üblich war, dass Indianerkinder nach Möglichkeit innerhalb ihres Stammes adoptiert wurden, wollte James Mutter, dass ihr Sohn mit den Powells ging. James Vater war nicht groß gefragt worden. Er saß wegen Einbruchs im Gefängnis. Man war sich schnell einig geworden und eine Woche später war aus James Stands Alone bereits James Powell geworden, der in seinem neuen Zimmer in Chicago Spielsachen an die Wand warf und ständig seine Milch erbrach. Aber das hatte sich gelegt, sobald er seinen Platz in der Welt akzeptiert hatte. Für James war es nicht immer leicht gewesen. Er sagte wenig, aber das musste nichts heißen. Er fand einige Freunde, war intelligent und ein guter Sportler. Trotzdem fehlte etwas. Etwas, das in den letzten Jahren immer offensichtlicher geworden war.

„James, wenn du noch Milch trinken müsstest, würdest du sie wahrscheinlich wieder erbrechen.“

„Was?!“

„Das hast du als kleiner Junge immer gemacht, bis uns der Arzt darauf aufmerksam gemacht hat, dass du keine Laktose verträgst.“

„Was hat das damit zu tun?“

„Das hat mit deiner Herkunft zu tun. Das und ein paar andere Dinge, über die du nie etwas wissen wolltest.“

„Wozu auch? Nur weil ich wie ein Indianer aussehe, heißt das noch lange nicht, dass ich einer sein will. Und ich will keiner sein. Ich will James Powell sein, der in zwei Jahren seinen Highschool-Abschluss macht und dann aufs College geht. Was ist falsch daran?“

„Nichts, James. Außer, dass du damit vermutlich nicht glücklich werden wirst. Nicht auf lange Sicht.“

Lange standen sie da, ohne dass einer von ihnen etwas sagte.

Catherine sah James dabei zu, wie er mit sich kämpfte.

„Also gut. Diesen Sommer.“

„Oh, James.“

Sie schlang ihm die Arme um den Hals, was ihm sichtlich unangenehm war, aber er ließ es geschehen und nach einer Weile erwiderte er die Umarmung und flüsterte in ihr Haar.

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