Maziroc hingegen genoss bei den Zwergen recht hohes Ansehen und hatte Ravenhorst bei seinen früheren Reisen mehrfach besucht. Wenn es irgendjemandem gelingen konnte, eine Allianz oder zumindest ein einmaliges Verteidigungsbündnis zu schmieden, an dem sich sowohl die Elben wie auch die Zwerge beteiligten, dann war er es. Allerdings wusste Maziroc auch nur zu gut, dass es keineswegs eine leichte Aufgabe werden würde, selbst wenn ihm die Flucht gelang und er die wochenlange Reise nach Ravenhorst unbeschadet hinter sich brachte.
Er wurde aus seinen Grübeleien gerissen, als Eibon das Signal zum Angriff gab. Die Elbenkrieger auf der Mauerbrüstung schossen in rasend schneller Folge ihre Pfeile auf die Ungeheuer vor dem Tor ab. Gleichzeitig lösten sie auch die beiden Katapulte aus. Zusätzlich zu den Pfeilen regnete ein tödlicher Hagel aus Felsbrocken auf die Belagerer hinab.
Die Kreaturen begannen wild zu toben und gaben dabei grauenhafte Laute von sich. Eine Mischung aus schrillem Kreischen, Brüllen, Krächzen und so vielen anderen Lauten, wie es unterschiedliche Arten von Damonen gab, erfüllte die Luft.
Die Katapulte nachzuladen, wäre zu umständlich gewesen und hätte zu viel Zeit gekostet. Stattdessen schickten die Elbenkrieger den Angreifern Pfeil auf Pfeil in blitzschneller Folge entgegen, und auch ohne es zu sehen, wusste Maziroc, dass jeder Schuss traf. Angesichts der Masse der Damonen stellten diese Ausfälle jedoch nicht viel mehr als einen Tropfen auf dem heißen Stein dar.
Eibon gab ein weiteres Signal. Nachdem sie ihre Pfeile verschossen hatten, kamen die Krieger von den Mauern herabgeeilt und schwangen sich auf ihre Pferde, während das Tor geöffnet wurde.
In einer genau festgelegten Aufstellung preschten sie ins Freie. Die Elbenkrieger ritten an der Spitze und deckten die seitlichen Flanken; die Gardesoldaten übernahmen diese Aufgabe im hinteren Teil und sicherten die Kolonne außerdem nach hinten. Auf diese Art nach allen Seiten hin geschützt, ritten Eibon, die Magier und die Vingala in ihrer Mitte, wohlweislich allerdings nicht zusammen, sondern jeder räumlich etwas von den anderen getrennt, sodass es schwieriger würde, sie alle gemeinsam gefangen zunehmen oder zu töten.
Zunächst jedoch trafen sie kaum auf Widerstand. Dies war Charalon zu verdanken, der die wichtigste Rolle bei ihrem Fluchtplan spielte. Um sich besser konzentrieren zu können, hatte er sich bereits zuvor in eine leichte Trance versetzt. Mit Hilfe seines Reifs schuf er nun die Illusion eines Ungeheuers, das sich anstelle der Reiter brüllend und schnaubend durch das geöffnete Tor ins Freie wälzte. Mit seinen schwarzen, stachelbewehrten Hornplatten, den mörderischen Krallen und Klauen an gut einem Dutzend Armen und Beinen, sowie seinem Maul voller gewaltiger Reißzähne war es den Damonen an Scheußlichkeit mindestens ebenbürtig, an Größe sogar noch um ein Mehrfaches überlegen. Ein zweites und drittes Ungeheuer folgte unmittelbar hinter dem ersten, um die gesamte Länge des Zuges unter dem Tarnbild zu verbergen.
Der Plan gelang. Selbst unter den Damonen verbreiteten die drei Bestien Angst und Schrecken. Furchtsam wichen sie vor dem so unverhofft aufgetauchten neuen Gegner zurück, machten eine breite Gasse frei. Nur einige wenige von ihnen brachten den Mut oder die Tollkühnheit auf, die Riesenbestien anzugreifen. Sie wurden von den Kriegern mit Schwertern und Lanzen abgewehrt und getötet, doch für die übrigen Damonen sah es so aus, als würden sie zu Opfern der Ungeheuer.
Einige Minuten lang begann Maziroc sogar schon Hoffnung zu schöpfen, dass es ihnen gelingen könnte, den Belagerungsring auf diese Art komplett zu durchbrechen, ohne dass es auch nur einen einzigen Toten auf ihrer Seite zu beklagen gäbe, doch diese Hoffnung war bei Weitem zu optimistisch.
Immer langsamer wurde ihr Vordringen. Teils mochte es daran liegen, dass sie sich mittlerweile so tief im Leib des Damonenheeres befanden, dass es für die Kreaturen gar nicht ohne Weiteres genügend Platz zum Zurückweichen gab. Zum Teil aber lag es auch daran, dass ihr Schrecken offenbar abnahm, denn immer häufiger und immer tollkühner stürzten sie sich nun auf ihre Gegner und brachten die Krieger vereinzelt bereits in beträchtliche Schwierigkeiten. Vielleicht lag es an den geheimnisvollen Beherrschern der Damonen, dass diese sie zu diesen Angriffen aufpeitschen.
Immerhin jedoch gelangte die gesamte Reiterkolonne dank dieser Täuschung in wesentlich kürzerer Zeit wesentlich weiter, als es anders der Fall gewesen wäre. Diesbezüglich machte sich Maziroc nichts vor. Ein Ausbruch ohne diese Unterstützung durch Charalons Reif wäre ein reines Selbstmordunterfangen gewesen.
Dann, von einem Augenblick zum nächsten, zerplatzte die Illusion.
Maziroc wusste, wie viel Kraft das Skiil von seinem Trägern für die Erschaffung und Aufrechterhaltung einer so aufwendigen Illusion forderte. Charalon musste am Ende seiner Kräfte angelangt sein. Maziroc sah, wie er ein Stück entfernt im Sattel in sich zusammen sank und vermutlich von seinem Pferd gestürzt wäre, wenn nicht einer der Soldaten rasch zugegriffen und ihn gestützt hätte.
Im gleichen Moment, in dem das Trugbild erlosch und die Damonen erkannten, dass sie nur getäuscht worden waren, stürzten sie vorwärts. Trotz aller Aufmerksamkeit wurden einige der Krieger, die das Erlöschen des magischen Feldes im Gegensatz zu Maziroc nicht hatten spüren können, von dem ungestümen Angriff überrascht, doch erholten sie sich rasch von ihrem Schrecken. Wie abgesprochen formierte sich die Gruppe neu, bildeten nun einen Keil, der sich immer tiefer in den Leib des Damonenheeres hineinbohrte.
Ihr Vordringen verlangsamte sich jedoch immer mehr, da die Damonen nun nicht mehr vor ihnen zurückwichen, sondern sie mit all ihrer unmenschlichen Wut und Kraft attackierten. Jetzt zeigte sich, dass ihre Krallen, Stacheln, Scheren und Tentakel in der Tat so fürchterliche natürliche Waffen darstellten, wie Maziroc vermutet hatte.
Die ersten Krieger sanken tot oder verwundet aus ihren Sätteln. Mehr aber noch als ihnen selbst galten die Angriffe der Damonen den weitgehend schutzlosen Pferden, die die größte Schwachstelle darstellten. Mehrere Tiere stürzten mit durchbohrtem Leib oder durchtrennten Läufen zu Boden und begruben ihre Reiter unter sich oder schleuderten sie mitten in das Gewimmel der Angreifer, wo sie kaum noch eine Chance hatten.
Es dauerte kaum eine Minute, bis die zuvor so geordnete Formation zerbrach, aber von Anfang an hatte im Grunde auch keiner von ihnen etwas anders erwartet, wenn der eigentliche Kampf erst einmal losbrach. Jeder von ihnen wurde von mehreren Damonen gleichzeitig bedrängt und war sich selbst der Nächste.
Genau wie die anderen hieb und schlug auch Maziroc mit seinem Schwert wild um sich. Wenn die Damonen ihn und die anderen Magier ursprünglich lebend hatten gefangen nehmen wollen, so war davon jetzt nichts mehr zu merken, so verbissen und mit solcher Gewalt griffen sie an. Die Ungeheuer schienen überall zu sein, und für jedes, das er erschlug, schienen augenblicklich zwei neue direkt aus dem Boden zu wachsen. Mehrfach drohte er aus dem Sattel geschleudert zu werden, als sein Pferd, das die Gefahr ebenfalls deutlich spürte und vor Angst fast wahnsinnig war, sich aufbäumte und mit den Hufen ausschlug, doch stets gelang es ihm, sich zu halten und weiterzukämpfen.
Fast unmittelbar neben ihm schlugen mit einem Mal grelle Lichtblitze ein. Von der Wehrmauer des Gehöfts aus griff Kenran'Del mit seinem Flammenschwert in den Kampf ein. Die Blitze töteten mehrere Damonen, die sich gerade auf ihn stürzen wollten und ihn vermutlich unter sich begraben hätten. Die Hitze strich wie eine glühende Hand über seinen Rücken, doch die unverhoffte Hilfe verschaffte Maziroc Gelegenheit, sich einen Moment lang umzuschauen.
Читать дальше