Zornig blickte er sie an. "Schon gut, kein Grund gleich beleidigend zu werden", brummte er und verlangsamte sein Tempo, sodass er etwas zurück fiel.
Na prima, dachte Miranya voller Zynismus. Sie entwickelte anscheinend ein immer beachtlicheres Talent, Leute vor den Kopf zu stoßen, die es gut mit ihr meinten. In Scruuls Fall tat es ihr allerdings nicht einmal leid. Sie hatte nichts direkt gegen ihn, verdankte ihm ebenso wie Maziroc und der Soldat sogar ihr Leben, dennoch wahrte sie lieber Distanz zu ihm.
Mit Einbruch der Dämmerung erreichten sie ein kleines Nadelwäldchen, das einen idealen Ort für ein Nachtlager darstellte, zumal es unter den Zweigen fast schneefrei war. Sie drangen ein gutes Stück weit in den Wald ein. Mit ihren Äxten fällten die Zwerge mehrere Bäume und schufen so künstlich eine Lichtung, auf der sie ihr Lager errichteten. Zwei der gefällten Bäume wurden in handliche Stücke für ein Feuer gehackt, die übrigen so zurechtgezerrt, dass sie eine Barriere rings um die Lichtung bildeten, die zu durchdringen weder Hornmännern noch irgendwelchen Raubtieren unbemerkt gelingen würde.
Obwohl die Zwerge sich redlich mühten, war das Feuer nur schwer in Gang zu bringen, da das Holz zu frisch und feucht war. Nachdem sie einige Minuten lang zugesehen hatte und sich abzeichnete, dass es wohl noch mindestens eine Stunde dauern würde, bis die Scheite richtig zu brennen beginnen würden, öffnete Miranya das Bündel mit ihren persönlichen Besitztümern, das sie in der Satteltasche ihres Pferdes verstaut hatte, und holte ein kleines, sorgsam verschnürtes Leinensäckchen heraus.
"Lasst mich Euch helfen", wandte sie sich an die Zwerge und zog sich mit den Zähnen die Handschuhe von den Fingern. "Aber es ist besser, wenn Ihr erst ein Stück vom Feuer weggeht."
Sie wartete, bis die Zwerge ein paar Schritte zurückgewichen waren, dann warf sie etwas von dem gräulich-schwarzen Pulver, das sich in dem Säcken befand, auf die glimmenden und rauchenden Scheite. Es gab eine grelle Stichflamme. Miranya stand weit genug entfernt, dass diese ihr nichts anhaben konnte, doch nach der Kälte, der sie schon den ganzen Tag ausgesetzt war, meinte sie die Wärme, die ihr entgegenschlug, wie den glühenden Atem eines Drachen im Gesicht zu spüren. Gleich darauf begann ihre Haut zu prickeln, so heftig, als ob jemand sie mit unzähligen Nadeln stechen würde.
Aber sie hatte Erfolg gehabt. Knisternd und prasselnd leckten Flammen über die aufgeschichteten Holzscheite. Beifallheischend blickte Miranya sich um, doch einige der Zwerge nickten ihr lediglich dankbar zu. Offenbar waren Pulver und magische Hilfsmittel dieser Art auch bei ihnen nicht unbekannt. Für einen Moment war sie enttäuscht, doch dann rief sie sich wieder ins Gedächtnis, was man ihr während ihrer Ausbildung über Prahlerei beigebracht hatte. Es wäre eine Charakterschwäche, wenn man der Verlockung nachgäbe, seine Kräfte nur anzuwenden, um andere zu beeindrucken und vor ihnen anzugeben, weil man in diesem Moment lediglich versuchen würde, die eigene Überlegenheit zu demonstrieren. Nun, in diesem Fall hatte Miranya eher versucht, das Gefühl der eigenen Unterlegenheit gegenüber den Zwergen zu kompensieren.
Aber auch wenn falsche Motive bei ihrem Tun mit eine Rolle gespielt haben mochten, wichtig war nur, dass das Feuer endlich richtig brannte. Miranya öffnete ihren Mantel und streckte ihre Hände den Flammen entgegen. Wieder begann ihre Haut zu unangenehm zu prickeln, doch sie ertrug es, ohne sich etwas anmerken zu lassen, und nach ein paar Minuten klang es wieder ab.
Bald darauf saßen sie alle in einem Kreis um das Feuer, tranken Wasser, das aus geschmolzenem Schnee bestand, und gelegentlich einige Schlucke von einem starken Schnaps aus Beeren, Obst und Kräutern, den die Zwerge mitgebracht hatten. Außerdem verteilten sie reichlich Brot und getrocknetes Fleisch, was Miranya dankbar entgegennahm, da ihre eigenen Vorräte bereits stark geschrumpft waren.
"Von dem Schnaps hättet Ihr ruhig heute Mittag schon anbieten können", wandte sie sich an Barkon, nachdem sie einen weiteren Schluck getrunken hatte. Feurig lief ihr der Alkohol die Kehle hinunter, schien in ihrem Magen zu explodieren und verbreitete eine angenehme Wärme in ihrem ganzen Körper. "Da habe ich wesentlich mehr gefroren, als hier am Feuer."
"Und der Alkohol hätte dich doppelt so müde gemacht, als du es auch so schon warst, Kind", entgegnete Barkon. Seine Stimme klang herablassend, was Miranya ebenso störte, wie dass er sie als Kind bezeichnete, doch sie spülte ihren Ärger mit einem weiteren Schluck Schnaps hinunter. Maziroc hatte sie bereits vor ihrem Aufbruch am Morgen gewarnt, dass sie sich durch das Verhalten der Zwerge nicht kränken lassen sollte. Sie lebten so abgeschieden, weil sie die Menschen verachteten, teilweise sogar hassten. Lediglich die Magier und Vingala bildeten eine Ausnahme. Wäre sie eine gewöhnliche Frau, würde keiner der Zwerge auch nur ein einziges Wort mit ihr wechseln. Auch als Vingala würde sie sich jedoch damit abfinden müssen, dass man ihr nicht gerade mit überschäumender Freundlichkeit oder gar Freundschaft begegnen würde. Die Hochachtung der Zwerge Maziroc gegenüber war eine rein persönliche Angelegenheit, die sich nur auf ihn allein erstreckte.
Eigentlich hatte Miranya erwartet, dass sie fast sofort einschlafen würde, sobald sie sich erst einmal hinsetzte, doch als sie nun am wärmenden Feuer kauerte, war ihre Müdigkeit, unter der sie den ganzen Tag über gelitten hatte, plötzlich wie weggefegt. Genau genommen hatte es sich wohl ohnehin mehr um Erschöpfung als um Müdigkeit gehandelt. Geschlafen hatte sie während der letzten Tage, die sie in der Höhle gefangen gewesen waren, mehr als genug.
Nach einiger Zeit, als die Stimmung durch den Alkohol bereits gelockert worden war, begann Maziroc wieder von der Zeit des ersten großen Krieges gegen die Damonen zu erzählen. Gebannt lauschte Miranya seinem Bericht, wie er mit Maziroc und Eibon in die Falle getappt war, die das einsame Gehöft darstellte, wie sie mit knapper Not gerade noch hatten entkommen können, bevor sie vollends zuschnappte, und natürlich wie er Kenran'Del kennengelernt hatte. Es war das erste Mal, dass er Näheres über den geheimnisvollen Mann erzählte, dessentwegen sie diese Reise überhaupt auf sich genommen hatten, weshalb sie ganz besonders interessiert zuhörte.
Allerdings war sie nicht die Einzige, der es so erging. Auch die Zwerge waren von seiner Erzählung offensichtlich gebannt, und Miranya war überzeugt, dass er nicht ohne Hinterabsichten gerade diese Episode ausgewählt hatte. Schließlich hatte er ihr erst am Mittag anvertraut, dass er versuchen würde, noch einmal mit Barkon zu reden, damit dieser ihn auf seine schnellere Art über den Luyan Dhor oder sogar bis zu der Zitadelle im Ödland von Sharolan brachte. Dafür jedoch war es nötig, den Zwergen zunächst noch einmal deutlich vor Augen zu führen, über welche Mittel Kenran'Del verfügte und was für ein wertvoller Verbündeter er deshalb sein würde.
Daran verschwendete Miranya jedoch nur wenige Gedanken. Viel zu sehr faszinierte sie das, was sie hörte. Eigentlich konnte Maziroc über diesen Kenran'Del nur wenig berichten, weil er selbst nur wenig über ihn wusste, aber bereits das Wenige, das sie gehört hatte, weckte in ihr den brennenden Wunsch, diese mysteriöse Person kennenzulernen. Sie hatte schon immer ein Faible für Geheimnisse gehabt, und wenn dieser Mann nicht geheimnisvoll war, dann gab es so etwas wie Romantik erst gar nicht mehr.
"Und anschließend bin ich dann zu euch nach Ravenhorst aufgebrochen", schloss Maziroc seine Erzählung. "Was dann geschah, dürftet ihr wissen, und auch, wohin alles geführt hat und welche katastrophalen Folgen sich daraus ergeben haben."
Die Gesichter einiger Zwerge verdunkelten sich bei diesen Worten, allen voran das von Barkon. Finster starrte er den Magier an. Ungerührt erwiderte Maziroc seinen Blick.
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