2.2 Verfolgung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten
Im Strafverfahrensrecht enthält § 163 Abs. 1 Satz 2 StPOeine Ermittlungsgeneralklausel, nach der die Polizei alle Behörden um Auskunft ersuchen bzw. sogar verlangen und Ermittlungen jeder Art vornehmen kann, soweit nicht die Befugnisse besonders geregelt sind. 134Zu den wichtigsten Anwendungsfällen der Ermittlungsgeneralklausel gehört daher vor allem die noch näher zu betrachtende sogen. informatorische Befragung. Zu beachten ist auch, dass Maßnahmen aufgrund der Ermittlungsgeneralklausel nicht zwangsweise durchgesetzt werden dürfen. 135Für die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten gilt insoweit § 53 Abs. 1 Satz 1 OWiG. 136
Kapitel 2 Identitätsfeststellung
I. Bedeutung und Ziel der Identitätsfeststellung
Die Identitätsfeststellung (IDF) ermöglicht, personenbezogene Daten einer unbekannten Person wie bspw. Namen, Geburtsdaten und die Anschrift festzustellen. Sie kommt in Betracht, um
– den Adressaten im Rahmen der Aufklärung und Verfolgung von Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten als Zeugen oder Beschuldigten bzw. Betroffenen namhaft und erreichbar zu machen,
– zu überprüfen, ob der Adressat mit einer gesuchten Person identisch ist oder
– den Adressaten zur Erfüllung polizeilicher Aufgaben aus der Anonymität zu holen.
Rechtsgrundlageder Identitätsfeststellung ist im Rahmen
– der Gefahrenabwehr: § 12 bzw. § 28b Abs. 2 i. V. mit Abs. 1 BbgPolG,
– der Strafverfolgung: § 163b StPO,
– der IDF an einer Kontrollstelle: § 111 Abs. 1 Satz 2 i. V. mit Abs. 3 StPO, 137
– der Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten: § 163b StPO i. V. mit § 53 Abs. 1 Satz 2 bzw. § 46 Abs. 2 OWiG.
Übersicht 2
Ziel der Identitätsfeststellungist es, sichere und zweifelsfreie Kenntnis über die Identität der betroffenen Person zu erlangen. Dem dient die Befragung nach den Personalien bzw. personenbezogenen Daten. Was darunter zu verstehen ist, ergibt sich aus § 111 OWiG und dem Zweck der jeweiligen IDF selbst: 138Vorname und Name, Geburtsname; Ort und Tag der Geburt; Wohnort, Wohnung; Familienstand; Beruf; Staatsangehörigkeit. Aus § 111 OWiG geht zugleich hervor, dass der Betroffene bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen verpflichtet ist, Angaben zu seiner Person zu machen: Wer einer zuständigen Behörde bzw. Amtsträger falsche Angaben über seine persönlichen Daten im obigen Sinne macht bzw. diese Angaben verweigert, handelt ordnungswidrig; das gilt auch, wenn man fahrlässig nicht erkennt, dass die Behörde bzw. der Amtsträger zuständig ist. 139
II. Die Identitätsfeststellung zur Strafverfolgung
§ 163b StPO unterscheidet zwischen der IDF des Verdächtigen (Abs. 1) und des Nichtverdächtigen, also insbesondere des Zeugen (Abs. 2). Beide Absätze sind ähnlich aufgebaut: Die jeweils ersten Sätze betreffen den Grundfall, die jeweils folgenden Sätze den Erschwernisfall der IDF. Jeweils sind verschiedene Maßnahmen zur IDF zulässig.
1. Die Identitätsfeststellung des Verdächtigen
1.1 Tatbestandsvoraussetzungen
Gemäß § 163b Abs. 1 StPO kann die Polizei die Identität einer Person feststellen, die verdächtig ist, eine Straftat begangen zu haben. Tatbestandlich vorliegen müssen daher ein Tatverdachtund ein Tatverdächtiger. Insoweit kann auf die obigen Ausführungen verwiesen werden. Zu beachten ist, dass der Betroffene lediglich verdächtig und noch nicht Beschuldigter sein muss. 140Da es bei der IDF zunächst um die Einleitung eines Strafverfahrens geht, genügt es auch, wenn die Handlung nur tatbestandsmäßig und rechtswidrig ist. Tatverdächtig in diesem Sinne kann daher auch sein, wer schuldunfähigi. S. von § 20 StGB ist. Denn auch in einem solchen Fall können bestimmte Maßnahmen im Strafverfahren verhängt werden wie z. B. Maßregeln zur Besserung und Sicherung (§§ 61 ff. StGB) oder die Entziehung der Fahrerlaubnis (§§ 69 ff. StGB). 141Jedoch können Strafunmündigei. S. von § 19 StGB niemals tatverdächtig sein. Daher gilt: 142Ein Kind, dessen Kindesalter sofort erkennbar ist, kann nur gemäß § 163b Abs. 2 StPO identifiziert werden. Das hat vor allem Konsequenzen für den Fall, dass sich die Identität mit den Standardmaßnahmen Anhalten, Befragen und Aushändigenlassen eines Ausweises nicht klären lässt.
1.2 Rechtsfolgen: Maßnahmen zur Identitätsfeststellung beim Verdächtigen
Liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen von § 163b Abs. 1 StPO vor, kann die Polizei die erforderlichen Maßnahmen treffen, um die Identität des Verdächtigen festzustellen. Hierzu zählen insbesondere das Anhaltender Person, ihre Befragungnach Personalien im oben genannten Sinne sowie das Auffordern, mitgeführte Ausweise auszuhändigen. 143Was jeweils als erforderlich angesehen werden kann, ist eine Frage des Einzelfalls; stets muss die Maßnahme jedoch geeignet sein, die Identität sicher und zweifelsfrei festzustellen. 144Lässt sich mit Hilfe dieser Maßnahmen die Identität des Verdächtigen nicht oder nur unter erheblichen Schwierigkeiten feststellen, kann die Polizei gemäß § 163b Abs. 1 Satz 2 und Satz 3 StPO
– den Verdächtigen festhalten,
– ihn und die von ihm mitgeführten Sachen durchsuchen,
– den Verdächtigen erkennungsdienstlich behandeln.
Wird der Verdächtige festgehalten, darf er auch zur Dienststelle oder an einen anderen Ort gebracht werden, um dort IDF-Maßnahmen durchzuführen. 145Ziel der Durchsuchungdes Betroffenen selbst bzw. seiner mitgeführten Sachen ist lediglich das Auffinden von Ausweispapieren bzw. Hinweisen auf die Identität des Betroffenen. Daher ist die Suche auf die Bereiche zu beschränken, wo üblicherweise Ausweise mitgeführt werden. Verfolgt die Durchsuchung auch andere Ziele (z. B. Auffindung von Beweismitteln oder Eigensicherung der Beamten), müssen die Voraussetzungen der insoweit jeweils einschlägigen Ermächtigungsgrundlagen (z. B. § 102 StPO oder § 21 Abs. 2 BbgPolG) vorliegen. 146Zu den erkennungsdienstlichen Maßnahmenzählen z. B. die Abnahme der Fingerabdrücke, Messungen oder die Feststellung bestimmter äußerer Merkmale. Wird gegen den Verdächtigen bereits ein Ermittlungsverfahren geführt und ist die erkennungsdienstliche Behandlung zur Durchführung dieses Verfahrens notwendig, wird sie auf § 81b Alt. 1 StPO gestützt. 147
1.3 Besondere Form- und Verfahrensvorschriften
Zur Anordnungund Durchführungder Identitätsfeststellung ist jeder zuständige Polizeibeamte befugt. Eine Ermittlungsperson der Staatsanwaltschaft muss er nicht sein. Vor der Maßnahme ist dem Betroffenen zu eröffnen, welcher Tat er verdächtig ist (§ 163b Abs. 1 Satz 1 HS 2 i. V. mit § 163a Abs. 4 Satz 1 StPO). Die in Betracht kommenden Strafnormen müssen dabei nicht genannt werden; missachtet die Polizei diese Belehrungspflicht, so ist die IDF rechtswidrig. Ist jedoch der Grund für sie offensichtlich bzw. kann der Betroffene über ihren Anlass z. B. aufgrund seines vorangegangenen Verhaltens nicht im Zweifel sein, ist die Belehrung entbehrlich. 148
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