»Das ist Farah«, sagte Ranva.
»Hey, Daniel, wie geht’s?«, fragte Farah und lächelte.
Daniel zuckte nur vage mit den Schultern.
Ein Junge, der schlichte schwarze Kleidung trug, musterte ihn eindringlich. Seine Augen wirkten im flackernden Licht gelblich. »Ich bin Gabriel«, stellte er sich schließlich vor.
Der Junge, der neben Gabriel saß und dessen schwarz-blaue Haare im Feuerschein seidig leuchteten, beachtete Daniel nicht sonderlich. Seine schwarzen Augen bohrten sich förmlich in Raphaels, der fragend eine Augenbraue hochzog. Daniel beobachtete es verwirrt.
»Das ist Wyn«, sagte Farah laut und lenkte Wyns Aufmerksamkeit damit auf Daniel.
Wyn lächelte ihm nur flüchtig zu und wandte sich dann wieder an Raphael. »Können wir kurz reden?«, fragte er dann.
Als Raphael nickte, verschwanden die beiden aus dem Lichtkreis des Lagerfeuers.
Der dritte im Bunde sah Daniel gleichgültig an. Seine blauen Augen wirkten kalt wie Eis; auch er trug schwarze Kleidung, hatte aber dazu ein Halsband mit spitzen Nieten umgelegt. »Das ist Leander«, flüsterte Ranva Daniel zu.
»Hey«, murmelte Daniel verunsichert.
Leander nickte ihm nur zu, dann breitete sich Schweigen aus, und jeder sah in eine andere Richtung und hing eigenen Gedanken nach. Nur das leise Knacken der Holzscheite im Feuer, durchbrach hin und wieder die Stille.
Irgendwann ließ Gabriel mit einem leisen Zischen die Luft aus seinen Lungen entweichen. »Was Raphael und Wyn wohl so lange bereden?«
Ranva grinste und setzte sich neben ihn. »Versuchst du gerade, die Stimmung aufzulockern?«
Gabriel grinste ebenfalls. »Wenn es sonst keiner tut.«
Farah lachte gutgelaunt auf und schubste Daniel in Richtung der Bänke. Beide setzten sich, und in diesem Moment kamen Raphael und Wyn zurück.
»Was haben wir verpasst?«, fragte Wyn und setzte sich neben Leander.
»Gabriel hat uns mit Humor gefoltert«, erwiderte dieser trocken.
»Also habt ihr Daniel noch nichts erzählt?«, wollte Raphael wissen, der sich hinter Ranva stellte und seine Hände auf ihre Schultern legte.
»Was sollen sie mir denn erzählen?«, fragte Daniel misstrauisch.
»Es geht um deinen Traum«, fing Raphael an. »Wir können dir helfen oder wenigstens glauben wir das. Wir haben viel darüber nachgedacht, sind uns aber noch nicht sicher, ob wir richtig liegen.«
Gabriel stand auf und stellte sich neben Raphael. »Unsere Theorie«, erklärte er, »ist, dass du etwas Besonderes bist. Du hast etwas, das alle Mächte der Welt begehren.«
»Muss ich wissen, wovon ihr redet?«, fragte Daniel, der sich wie in einem falschen Film vorkam.
»Das wird schwerer als gedacht«, seufzte Raphael. »Es gibt da etwas, dass du über uns wissen solltest.«
Ehe er weitersprechen konnte, hob Wyn eine Hand. »Ich höre jemanden.«
Tatsächlich kam ein Pärchen aus dem Schatten. Als sie das Feuer sahen, wurden sie langsamer. Wyn löste die Anspannung, als er dem Paar grüßend zunickte.
Die beiden grüßten ebenfalls, gingen dann aber zu einem anderen Teil des Geländes. Bald wurden sie von der Dunkelheit verschluckt.
»Nur Menschen«, murmelte Farah erleichtert.
Daniel sah sie verwirrt an. »Wie meinst du das?«
»Das ist es, was wir dir sagen wollen«, begann diesmal Ranva. »Wir können dir mit deinem Traum helfen, weil wir anders sind.«
»Ich verstehe immer noch nicht.« Daniel wurde zunehmend nervöser. Es klang, als wäre er an eine verrückte Sekte geraten.
»Was du wissen musst«, sprach Raphael weiter, »ist, dass wir keine Menschen sind.« Er zögerte kurz. »Wir sind Engel.«
»Das … Das ist ein Witz, oder?«, fragte Daniel ungläubig.
Ranva schüttelte den Kopf. »Nein, Daniel. Es ist wahr.«
»Aber es ist nur die halbe Wahrheit«, sagte nun Gabriel. »Wir sind nicht einfach nur Engel. Wir sind schwarze Engel.«
2. Kapitel
Die schwarzen Engel
1 .
»Schwarze Engel«, wiederholte Daniel ungläubig. »Das ist nicht euer Ernst!«
Erst sagte niemand etwas, sondern sie sahen ihn nur an.
Daniel wartete darauf, dass sie in Gelächter ausbrachen, auf ein geprustetes »Reingelegt!«, doch nichts dergleichen geschah.
Dann ergriff Ranva das Wort: »Uns ist klar, dass das schwer zu verstehen ist, aber du musst uns glauben.«
Daniel starrte sie fassungslos an.
Raphael kam zu ihm und ging vor ihm in die Hocke. Er sah Daniel fest in die Augen. »Es klingt verrückt, das wissen wir auch. Ich kann sogar verstehen, dass du den anderen nicht glauben willst, aber sieh mir bitte in die Augen! Du kennst mich, du kannst mir glauben. Vertrau mir, bitte!«
Daniels Widerstand begann zu bröckeln. Es lag nicht nur an der Art, wie Raphael ihn ansah; ein weit entfernter Teil in ihm konnte spüren, dass sie die Wahrheit sagten.
»Das ist doch absolut verrückt«, murmelte Daniel, mehr zu sich selbst.
Raphael sah ihn besorgt an. »Ich wusste, wir hätten es dir nicht erzählen sollen.«
»Aber es hätte gefährlich werden können, wenn wir es nicht getan hätten«, warf Farah ein.
Daniel schloss die Augen und bereitete sich innerlich auf den nächsten Schlag vor. »Wieso gefährlich?«, fragte er dann.
»Wie schon gesagt, vermuten wir, dass du etwas besitzt, das die Mächte begehren«, sagte Gabriel. »Damit meinen wir sowohl Gott als auch Satan.«
Da erstarrte Daniel. Nicht, weil ihm Gabriels Worte solche Angst eingejagt hatten, sondern, weil ihm etwas aufgefallen war. Etwas, das ihm eigentlich sofort hätte auffallen müssen.
Langsam stand Daniel auf. »Und zu welcher Seite gehört ihr, wenn ich fragen darf? Oder erklärt das das Wort schwarz etwa von ganz alleine?«
Raphael stand ebenfalls auf. »Das verstehst du falsch«, versuchte er, Daniel zu beruhigen, »wir sind keine Höllenengel; schwarze Engel sind nicht wie gefallene Engel. Ja, wir schwarzen Engel sind aus dem Himmel gefallen, aber wir haben uns geweigert, uns Luzifer anzuschließen. Wir gehören niemandem, weder Gott noch Satan.« Raphael stellte sich neben ihn und drückte ihn mit sanfter Gewalt zurück auf die Bank.
Auch die anderen setzten sich wieder.
»Das ist jetzt wahrscheinlich viel zu viel auf einmal«, sagte Gabriel zwischenrein, »aber wir haben keine Wahl, wir müssen dir noch mehr erzählen.«
»Na toll!«, murmelte Daniel. Dann straffte er seine Schultern und richtete sich auf. »Also schön, bringen wir es hinter uns«, sagte er.
Farah warf ihm ein strahlendes Lächeln zu. »Du gefällst mir!«
Daniel spürte, wie er leicht errötete.
»Wie auch immer«, unterbrach sie Gabriel. »Jeder Engel hat eine andere Gabe, wenn du es so nennen willst. Wir spüren bestimmte Gefühle wie unsere eigenen. Ich zum Beispiel erkenne es, wenn jemand lügt. Dementsprechend kann ich die Lüge verstärken oder jemanden zwingen, die Wahrheit zu sagen.«
»Ich spüre Freude«, machte Farah weiter, »Ranva die Angst. Wyn erkennt Gefahr, Leander fühlt Trauer und Raphael den Schmerz.«
Daniel sah Raphael erschrocken an, der vollkommen gelassen neben ihm saß. »Das bedeutet …«, fing Daniel an.
»Ich spüre die Schmerzen aller Menschen in meiner Umgebung«, beendete Raphael den Satz, während er in die Flammen des Lagerfeuers starrte.
Ranva schmiegte sich enger an ihn. »Das klingt grausam, nicht wahr?«, sagte sie zu Daniel, während Raphael sie sanft auf den Scheitel küsste.
Daniel nickte. »Aber was hat das alles mit meinem Traum zu tun?«
»Da du in deinem Traum ein Engel bist, geht es vermutlich um die Gabe, die du später besitzen wirst«, antwortete Gabriel.
»Es gibt Gefühle, die überaus wertvoll sind«, erklärte Farah weiter. »Dazu zählen unter anderem die sieben Todsünden, zum Beispiel Eifersucht, Hochmut oder Hass.«
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