Zwar räumt er ein: »Luckily, just around that time there were in New York people like Morris Engel and Sidney Meyers, who were beginning to make a different kind of cinema, who began breaking away from Hollywood«, wirft dann aber Engel eine fehlende Distanz zu Hollywood vor: »All the so called New York School film makers such as Morris Engel, Lionel Rogosin, Emile De Antonio, and Shirley Clarke, had Hollywood dreams.« 22Als ich Mekas 2008 nach Engel fragte, gab er zur Antwort: »Natürlich kannte ich Morris Engel. Was soll ich über ihn sagen? Er hatte zwei Arme und zwei Beine.« 23Offensichtlich maß Mekas mit zweierlei Maß, wenn er den kommerziell produzierten europäischen Filmen eines Helmut Käutner oder Albert Lamorisse mehr Anerkennung zollte als dem No-Budget-Film seines völlig unabhängig arbeitenden Kollegen.
Die Überzeugung, selbst kein Künstler zu sein, hinderte ihn nicht daran, in den letzten beiden Jahrzehnten seines Lebens mit zahlreichen Museumsausstellungen für seine Werke ein weiteres Dispositiv zu erobern, den Kunstkontext. Auch auf dem kommerziellen Kunstmarkt war Mekas plötzlich gefragt. Im Jahr 2010 verklagte er den New Yorker Galeristen Harry Stendhal, weil dieser mit Mekas’ Fotoarbeiten eine Restaurantrechnung von 90.000 Dollar bezahlt hatte – ohne ihn am Verkauf zu beteiligen (man einigte sich 2014 außergerichtlich). In der Berichterstattung der New York Post lagen die Sympathien klar bei Mekas, der von einem der reichen Galerie-Besitzer in Chelsea zur Finanzierung des extravaganten Lebensstils betrogen worden sei. Eine Sammlung von 40 Elvis-Presley-Stills sei an den Luxus-Gastronomen Giuseppe Cipriani gegangen.
Sollten Mekas’ auf Fotopapier ausbelichtete Filmstreifen, die er 2000 im Bildband Just Like a Shadow 24versammelte, etwa die Werke eines Mannes sein, der sich nicht für einen Künstler hielt? Formal erinnern sie in ihrer Betonung von Randperforation und Reihung an Werke von Robert Frank und Andy Warhol. Beide haben dem Doyen der New Yorker Filmavantgarde unendlich viel zu verdanken; und natürlich tauchen sie auch als Porträtierte auf den Seiten dieses filmisch-fotografischen Tagebuchs ein ums andere Mal wieder auf.
Flüchtigkeit und Präzision trafen sich ursprünglich in der robusten Mechanik von Mekas’ Bolex-Kamera, doch erst in den destillierten Fragmenten, den Frozen Film Frames , wie sie Mekas nennt, wird der ganze impressionistische Zauber des körnigen 16-mm-Formats sichtbar.
Wen immer Mekas porträtierte – Dalí, Lennon & Ono, Hermann Nitsch, Allen Ginsberg oder Nico –, stets konnten seine Modelle sicher sein, dass der Augenblick, den sie ihm schenkten, auch in all seiner Augenblicklichkeit überleben würde. Mekas bewegte seine Kamera so virtuos und sicher wie ein erfahrener Violinist den Geigenbogen. »When I film, I try to go directly to the essence, to what I feel is the essence, and this has absolutely nothing to do with ›creation‹. I just film it. That’s all«, erklärt er im Interview mit Jérome Sans. Um im selben Gedankengang selbst die Verbindung zu den Filmemachern herzustellen, die er in seiner Zeit als Filmkritiker gefeiert hatte. »Cinéma vérité? That was a term used to describe a certain style, a certain way of filming ›real life‹, films usually concerned with certain themes that society was interested in. Cinéma vérité grew out of the excitement caused by the coming into existence of light portable cameras with sound. So we had Jean Rouch and Richard Leacock and many others. They made films for either social or anthropological interest, some great films. But I am somewhere else. My films are totally of no interest to society. They are totally useless to society.« 25
1Brassaï, Gespräche mit Picasso , Reinbek b. Hamburg 1986, S. 79 f. — 2Beschreibung von Bruce Posner, der viele dieser Bänder gesichtet hat. Gespräch mit dem Autor, 22.1.2021. — 3 In person: Jonas Mekas im Gespräch mit Peter Kubelka , Video von Luise Kubelka vom 6.4.2013 auf dem YouTube -Kanal des Österreichischen Filmmuseums, https://www.youtube.com/watch?v=RgS8Wacyi9o(letzter Zugriff am 6.3.2021). — 4Peter Kubelka, »Jonas liebt die Welt, also macht die Welt ihn glücklich« (Interview mit Christoph Gnädig), in: Jonas Mekas. Der Flaneur mit der Kamera , Wien 2013, S. 13–18, hier S. 13. — 5»A Conversation Between Pier Paolo Pasolini, Jonas Mekas and Gideon Bachmann« (1967), in: Jonas Mekas, Scrapbook of the Sixties. Writings 1954–2010 , Leipzig 2015, S. 157–180, hier S. 160. — 6Jonas Mekas, »Just Like a Shadow …« (Interview mit Jérome Sans), in: Jonas Mekas. Interviews , hg. von Gregory R. Smulewicz-Zucker, Jackson 2020, S. 112–126, hier S. 120. — 7»›Here and Now with Watchers‹, or Dance as a Modern Art. A Conversation between Erick Hawkins, Lucia Dlugoszewski, and Jonas Mekas« (1961), in: Mekas, Scrapbook of the Sixties (s. Anm. 5), S. 19–39, hier S. 19. — 8Gespräch mit dem Autor, 22.1.2021. — 9 In person: Jonas Mekas im Gespräch mit Peter Kubelka (s. Anm. 3). — 10Jonas Mekas, »Nothing I Say Has Anything to Do with My Films«, in: Film Culture (1967), Nr. 44, S. 42–47, hier S. 43. — 11Jonas Mekas – Always Beginning, 11.09.2017, https://www.youtube.com/watch?v=kzkzQExJ9rc(letzter Zugriff am 7.3.2021). — 12Jonas Mekas, »Editorial«, in: Film Culture 4 (1958), Nr. 2, S. 2. — 13Jonas Mekas, »Movie Journal«, in: Village Voice , 10.9.1964, S. 16. — 14John Grierson, »The First Principle of Documentary« (1932), in: Grierson on Documentary , hg. von Forsyth Hardy, London 1979, S. 35–46, hier S. 42. — 15Henning Engelke, Metaphern einer anderen Filmgeschichte. Amerikanischer Experimentalfilm 1940–1960 , Marburg 2018, S. 16. — 16Jonas Mekas, »Notes on the New American Cinema«, in: Film Culture (1962), Nr. 24, S. 6–16, hier S. 14. — 17Jonas Mekas, »Jack Smith, or the End of Civilization«, in: Mekas, Scrapbook of the Sixties (s. Anm. 5), S. 235–244, hier S. 244. — 18Jonas Mekas, »Brief Glimpses of Beauty« (Interview mit Hans-Ulrich Obrist), http://jonasmekas.webfactional.com/images/cmag_interview.pdf(letzter Zugriff am 7.3.2021). — 19Rudolf Arnheim, »Free Cinema«, in: Film Culture (1958), Nr. 17, S. 11. — 20Mekas, »Notes on the New American Cinema« (s. Anm. 16), S. 14. — 21Vgl. Ulrich Gregor/Enno Patalas, Geschichte des Films , München/Gütersloh/Wien 1973, S. 450. — 22Jonas Mekas, »Just Like a Shadow …« (s. Anm. 6), S. 120. — 23Gespräch mit dem Autor, Köln, 9.11.2008. — 24Jonas Mekas, Just Like a Shadow , Göttingen 2000. — 25Mekas, »Just Like a Shadow …« (s. Anm. 6), S. 122.
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