Wenn die in den chronikalischen Quellen überlieferte Herkunft für bare Münze genommen werden kann, stammen die Habsburger aus einer elsässischen Adelsgruppe mit Verbindungen in die vorkarolingische Zeit: eine Herkunft, die sich wahrlich sehen lassen kann. Allerdings: Sowohl die merowingische Herkunft wie die lothringische Verwandtschaft stammen aus Quellen, die im 13. Jahrhundert, als sich der Aufstieg der Habsburger zur Macht vollzog, kaum bekannt waren oder von ihnen selbst nicht als Legitimation verwendet wurden. Sie brauchten andere Begründungen, um ihren Anspruch als Reichsfürsten und Könige zu legitimieren.
Weit wichtiger: die schwäbischen Verwandten
Die ersten Habsburger, die nicht aus der Tradition der Acta Murensia, sondern über urkundliche Quellen miteinander in Verbindung gebracht werden können, sind der bereits erwähnte, 1111 ermordete Otto II. und sein Sohn Werner II., der 1167 vor Rom gestorben ist. Die Habsburger des 12. Jahrhunderts bewegen sich in einem Adelsumfeld, das zum engeren Kreis der Herzöge von Zähringen gehört. Dazu zählen etwa die Lenzburger: Richenza, die Tochter von Radbot, wird als Gattin des Ulrich von Lenzburg-Baden geführt. Sodann die Ortenberg-Hirrlingen aus dem Haus Zollern: Judenta war die Frau des 1141 verstorbenen Adalbert oder Albrecht II. von Habsburg. Die Pfullendorf: Albrecht III. heiratete Ita, die Tochter des Rudolf von Pfullendorf, die nördlich des Bodensees ihren Besitz hatten. Weiter die Herren von Staufen im Breisgau: Rudolf II. heiratete Agnes von Staufen. Zudem bestanden Verwandtschaften im Raum Oberelsass gegen Burgund: die beiden Schwestern von Albrecht III., Gertrud, verheiratet mit Theoderich III. von Mömpelgard (Montbéliard), und Richenza, verheiratet mit Ludwig I. von Pfirt (Ferrette), banden die Nachbarn im Westen an das Haus. Und die wichtigste Verbindung, diejenige zu den Zähringern: Albrecht IV. heiratete Heilwig von Kyburg, Tochter des Ulrich von Kyburg und der Anna von Zähringen, ihrerseits Tochter von Berthold V., dem letzten der Zähringer, die sich seit 1098 mit den Hohenstaufen das Herzogtum Schwaben teilten. Die beiden Schwestern Albrechts IV. heirateten beide in das im Jura zwischen Basel und Olten beheimatete Geschlecht der Froburger.
DIE FRÜHEN HABSBURGER
Die Zähringer übten ihre Macht im südwestlichen Teil von Schwaben aus, im Thurgau, in Zürich, im Aargau, im Breisgau und im Elsass sowie im Schwarzwald bis an den Neckar. Dieser Raum deckt sich weitgehend mit dem verwandtschaftlichen Aktionsradius der Habsburger im 11. und 12. Jahrhundert. Rudolf IV., der 1273 zum deutschen König gewählt wurde, war also mütterlicherseits ein Enkel der Herzöge von Zähringen. Seine Gattin Gertrud von Hohenberg nahm nach der Krönung den Namen Anna an, die Tochter Gertrud den Namen Agnes, beides Namen aus zähringischer Tradition. Es waren die Colmarer Chronisten, die aus dem Umfeld der Dominikaner stammten und den Habsburgern wohlgesonnen waren, die diese zähringische Herkunft kolportierten. Die Berufung auf das Herzogtum Schwaben, das im sogenannten Interregnum zwischen 1250 und 1273 als reales politisches Gebilde zerfiel, war für die Habsburger auch in späterer Zeit immer wieder ein Thema. 14Schwaben gehörte zu den zentralen Ländern des deutschen Reichs und war Kernland der Stauferkönige gewesen, in deren Tradition die Habsburger sich sahen. Pläne für eine Wiedererrichtung des Herzogtums sind in mehreren Generationen festzustellen. Besonders auf die Anstrengungen des Habsburgers Rudolf des Stifters nach 1358 wird zurückzukommen sein.
Etwas kühner: doch eine königliche Abstammung?
Die Worte «wolauf hinz Speier, da mehr meiner vorfahren sind, die auch könige waren» legte der österreichische Reimchronist Ottokar Rudolf von Habsburg in den Mund, als dieser am 14. Juli 1291, einen Tag vor seinem Tod, auf dem Weg nach Speyer war. Im Dom von Speyer ruhten bereits fünf Könige, vier aus dem salischen Königshaus sowie der Staufer Philipp von Schwaben, ebenfalls mit salischer Abstammung. Wie konnte Rudolf oder sein zeitgenössischer Chronist behaupten, er gehe an den Ort seiner Vorfahren, wie konnte er sich auf die Tradition der Salier beziehen? Die neuere genealogische Forschung zu den deutschen Königshäusern hat dazu interessante Anhaltspunkte geliefert. 15
Es gibt zwei Hinweise auf eine königliche Abstammung der Habsburger. Die «Genealogia nostrorum principium» aus der Murianer Überlieferung, im 14. Jahrhundert mit den Acta Murensia vereinigt, führt als Gattin von Albrecht III. eine Ita von Pfullendorf, «filiam sororis ducis Welph», eine Tochter der Schwester von Welf. Es scheint sich dabei um Elisabeth, Gattin des Rudolf von Pfullendorf und Schwester von Welf VII. zu handeln. Die Welfen, Herzöge von Bayern und Sachsen, Konkurrenten und Blutsverwandte der Staufer, besassen eine königliche Abkunft von den Ottonen, die letztlich auf Karl den Grossen zurückging. Die Habsburger konnten somit über einen sogenannten Tochterstamm eine königliche Abstammung vorweisen, gehörten also in der Kreis der Königsverwandten.
Hinzu kommt die ebenfalls über einen Tochterstamm führende Verwandtschaft mit den Zähringern, wie oben beschrieben. Die Zähringer selbst besassen eine weibliche Abkunft von Rudolf von Rheinfelden, 1077–1080 Gegenkönig von Heinrich IV. im Investiturstreit. Rudolfs Gattin Mathilde war eine Tochter des Saliers Heinrich III. Damit war die Verwandtschaft zu den Saliern gegeben, die Rudolf von Habsburg 1291 in den Mund gelegt wurde. Solche Verwandtschaftsbeziehungen waren in der Zeit selbst wahrscheinlich bekannt und für die königsnahen Geschlechter von grosser Bedeutung.
Im Reich der Legenden und Sagen: eine Abstammung von den Römern?
Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation berief sich in seiner Tradition auf Karl den Grossen und letztlich auf die Nachfolge der römischen Kaiser. Der Nachweis einer karolingischen oder gar römischen Abstammung war deshalb von grosser legitimatorischer Bedeutung. Es ist denn auch nicht erstaunlich, dass in der Zeit um 1300 auch in der Habsburgergenealogie die Römer auftauchen. Behauptet wurde eine Verwandtschaft mit dem römischen Senatorengeschlecht der Colonna. Die Colonna wiederum konnten einen Stammbaum mit Verbindungen bis zurück ins julische Kaiserhaus, das heisst bis zu Caesar vorweisen. Überlagert wurde diese Geschichte auch von einer Legende von Flüchtlingen aus Troja, die sich in den Alpenraum zurückgezogen haben sollen. Die erwähnte römische Familie war nicht Teil einer unbestimmten Vorzeit. Sie spielte im 13. und 14. Jahrhundert im realen Rom sehr wohl eine Rolle und mischte kräftig mit, vor allem wenn es um die Papstwahlen ging. Kontakte zwischen den Habsburgern und den Colonna sind tatsächlich auch nachgewiesen.
Der Geschichtsschreiber Matthias von Neuenburg, der kurz vor der Mitte des 14. Jahrhunderts seine Chronik verfasste, berichtete erstmals von einer Legende, in der zwei Brüder aus Rom nach Alemannien geflohen seien. Als ihr Vater einmal zu Besuch gekommen sei, habe er gesehen, dass der ältere der Brüder einen ansehnlichen Besitz zusammengetragen habe, wofür er gelobt wurde. Der jüngere habe darauf auf dem Berg, wo später die Habsburg erbaut worden ist, seine Dienstleute aufstellen lassen und gesagt, dies sei seine Burg. Daraufhin sei auch er vom Vater gelobt worden. Dieser jüngere Bruder soll der Stammvater der Habsburger gewesen sein. Da scheinen sich die Gründungslegenden der Habsburg zu vermischen. Verschiedene Motive und Sagen wurden zu einer neuen Legende verwoben.
Der Geschichtsschreiber Thomas Ebendorfer berichtete dann in der Mitte des 15. Jahrhunderts wieder von den zwei römischen Brüdern und nannte deren Vater, Apis Colonna. Die verschiedenen Legenden trieben zu Beginn des 16. Jahrhunderts die wildesten Blüten. Einmal stammten die Habsburger von Caesar, dann wieder von Hektor, dem Sohn des Priamos von Troja, oder von Aeneas, dem Italien-Flüchtling aus Troja und sagenhaften Urahn der Römer, ab. Kaiser Maximilian I. liess an seinem Grabmal in der Hofkirche in Innsbruck in seiner Ahnenreihe sogar den sagenhaften Artus und den Gotenkönig Theoderich den Grossen aufstellen und spielte damit auf seine ritterlichen Vorbilder an. Die Humanisten des 16. Jahrhunderts verwarfen dann aber diverse dieser Abstammungsgeschichten und verwiesen sie ins Reich der Legende. 16
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