Abb. 3: Modellvielfalt im Automobilbau (Quelle: McKinsey)
Es kann deshalb nicht verwundern, dass einige große Unternehmen wie DaimlerChrysler Stabs- und Forschungsabteilungen für Komplexitätsmanagement eingerichtet haben. Ob es diesen Stäben allerdings gelingen wird, die Komplexität wirksam einzudämmen, bleibt abzuwarten.
Die Kardinalfrage lautet: ist die explodierende Komplexität eine Kundenforderung oder ist sie hausgemacht? Beides trifft in Teilen zu. So verzeichnen wir im Automobilbau bekanntlich eine drastische Zunahme der Modell- und Produktvielfalt (vgl. Abb. 3).
Die Automobilhersteller sind bestrebt, Marktnischen so gut wie möglich zu besetzen und sich durch schnelle Modellwechsel und „Facelifts“ an die schnell wechselnden Moden anzupassen – oder die Trends eben selbst zu setzen. Der Kunde nimmt die Modellvielfalt gerne an. Hier die steigende Komplexität richtig zu managen, wird künftig eine wesentliche Herausforderung und ein Erfolgsfaktor sein.
Stichwort Varianz
Die Varianz ist ein wesentlicher Treiber von Komplexität. Nicht immer hat hohe Varianz ihre Ursachen in den differenzierten Wünschen der Kunden. Auch die hohe Innovationsrate ist ein Variantentreiber, weil neue „Features“ häufig Eingang in Produktkataloge finden, ohne dass die alten Varianten konsequent getilgt worden wären. Der Vertrieb argumentiert dann meist mit der Bindung von Stammkunden, die vor allem veraltete „Exoten“ nachfragen. Und selbst das angesprochene Tilgen im aktuellen Lieferverzeichnis wäre nur ein Teilerfolg, weil das After-Sales- und Ersatzteilgeschäft förmlich dazu zwingt, auch längst hinfällige Varianten herstellen zu können.
Leitgedanken zur Komplexität
Komplexität ist nicht gleichzusetzen mit Intelligenz. Für das Entstehen von Komplexität ist keine besondere Intelligenz notwendig – aber für das Beherrschen bzw. Reduzieren von Komplexität. Die Steigerung von intelligent ist … einfach (worauf wir noch eingehender zu sprechen kommen). Oder, wie die Amerikaner nicht ohne Berechtigung sagen: „KISS – Keep it stupid simple“. Das heißt aus Sicht des Managements nicht, die Augen vor der bisweilen unvermeidlichen Komplexität zu verschließen. Vielmehr sollte vermieden werden, die Komplexität vollständig in Systemen abzubilden, sondern zu segmentieren und in überschaubare Einheiten zu zerlegen und diese durch robuste und stabile Prozesse beherrschbar zu machen.
Der Wandel der unternehmerischen Erfolgsfaktoren
„Verfügbarkeit“ heißt eines der Zauberworte der modernen Gesellschaft. Wir gehen davon aus, dass Dinge, die wir kaufen wollen, in den Geschäften oder zumindest im Internet verfügbar sind. Und das gilt nicht nur für Konsumgüter: auch die Industrie setzt bei der Beschaffung kurze Lieferzeiten und besten Lieferservice voraus.
Stichwort Lieferzeiten
„They never stand in line – sie wollen sich nicht anstellen“. Was früher die Karikatur der Briten für kontinentale Drängler war, ist heute die zutreffende Beschreibung nahezu aller Kunden. Überspitzt ausgedrückt: Produkte mit langer Lieferzeit sind bei ihrer Auslieferung möglicherweise bereits von der nächsten Generation abgelöst (siehe oben). Was am „Point of Sale“ gilt, wo der Kunde, statt zu warten, eben das kurzfristig lieferbare Konkurrenzprodukt kauft, gilt in der Lieferkette in noch stärkerem Maße. Die in vielen Branchen mittlerweile zum Standard gewordene Just-in-Time-Philosophie beschleunigt die Lieferprozesse zwischen den Produktionsstufen ungemein. Derzeit läuft ein europäisches Forschungsprojekt zum sogenannten „Fünf-Tage-Auto“. Man kann sich vorstellen, was bei Verwirklichung dieser Vision bei den Zulieferern los sein wird – zumal Sicherheitsbestände nicht erlaubt sind. Es geht künftig nicht mehr um Material, sondern nur noch um Zeit. Ein völlig neues Paradigma des Produktionsmanagements.
Leitgedanken
Lieferfähigkeit, Lieferservice und kürzeste Lieferzeiten werden die wichtigsten Erfolgsfaktoren. Das heißt in der Konsequenz, dass sich die Durchlaufzeiten drastisch verkürzen – und zwar nicht nur bei Standardprodukten, sondern bei kundenindividuellen Produkten. Diese kurzen Durchlaufzeiten lassen sich nur erreichen durch … exzellente Prozesse.
Ein erstes Fazit
Bringt man die Konsequenzen des bisher Gesagten auf den Punkt, so stellt man fest, dass jede Maßnahme, die punktuell und kurzfristig durchgeführt wird, zu kurz greift. Gefordert ist vielmehr ein aktiver Prozess in Richtung Exzellenz. Diesen Prozess konsequent zu beschreiten, erfordert wiederum ein greifbares Bild des Ziels („Nur wer weiß, wohin er will, wird dort auch ankommen“), wirksame Konzepte und Methoden sowie umfassende, nachhaltige Maßnahmen.
1.2 Was exzellente Unternehmen anders machen
Die Leitsätze
„Tue Gutes und verdiene daran“. Mit dieser Schlagzeile kommentieren die „Stuttgarter Nachrichten“ vom 28. April 2006 die wirtschaftliche Leistung des Bosch-Konzerns. Anlass war die Veröffentlichung der Unternehmenszahlen, die einmal mehr für sich sprachen. Umsatzsteigerung, verbessertes Ergebnis und gestiegene Mitarbeiterzahl: So sieht profitables Wachstum aus.
Es gibt sie also tatsächlich, die exzellenten Unternehmen, die ungeachtet aller Herausforderungen und Risiken auf einem nachhaltigen Erfolgskurs sind. Und: diese Unternehmen sind nicht so selten, wie uns die Medien bisweilen glauben machen wollen. Der jährlich ausgeschriebene Wettbewerb zur „Fabrik des Jahres“ braucht sich jedenfalls über einen Mangel an Kandidaten nicht zu beklagen. Und die Gewinner liefern den Nachweis, dass die Abgesänge auf die deutsche Industrie zu früh angestimmt wurden. Mehr noch: diese Unternehmen stellen nachdrücklich unter Beweis, dass unser eingangs formulierter Anspruch, dass exzellente Unternehmen auch unter den in Deutschland herrschenden Bedingungen Arbeitsplätze schaffen, keine Träumerei ist, sondern Realität (vgl. Abb. 4).
Abb. 4: Beschäftigungsentwicklung der besten Teilnehmer „Fabrik des Jahres “ am Standort Deutschland (Quelle: A.T. Kearney)
Was aber machen diese Unternehmen anders als diejenigen, die unter der Last der Herausforderungen stagnieren oder scheitern? Da wir eine ganze Reihe hervorragender Firmen seit Jahren beratend begleiten, sind wir in der Lage, die wichtigsten Erfolgsfaktoren zu benennen bzw. als Leitsätze zu formulieren:
Exzellente Unternehmen sind gekennzeichnet durch ein ständiges Streben nach Perfektion und Spitzenleistung nach dem Motto „Heute ist unser schlechtester Zustand“.
Sie sind geprägt durch persönliches Vorleben und Engagement der Führung.
Tägliche, dynamische Verbesserung ist Kernkompetenz.
Sie nutzen internationale Standorte und globale Netzwerke für die Stärkung ihrer Position – auch der heimischen Standorte.
Sie beziehen ihre Lieferanten, die gesamte Supply-Chain, in alle Überlegungen mit ein.
Sie beherrschen und managen Komplexität getreu der Erkenntnis: „Die Steigerung von intelligent ist … einfach!“
Sie treiben BestPractice über ein handlungsorientiertes Wertschöpfungssystem aktiv und kontinuierlich voran.
In den nachfolgenden Abschnitten stellen wir Ihnen diese Leitsätze exzellenter Unternehmen eingehender vor.
Leitsatz 1:
Ständiges Streben nach Perfektion und Spitzenleistung nach dem Motto „Heute ist unser schlechtester Zustand“.
Das Bessere ist Feind des Guten
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