Um gute Erfahrungen mit der Internationalisierung machen zu können, müssen die Weichen im Unternehmen richtig gestellt sein. Exzellente Unternehmen, die sich erfolgreich im internationalen Wettbewerb behaupten, nutzen die Chancen der Globalisierung, anstatt die Risiken zu scheuen. Das bestätigt auch die zitierte Studie: „Vom Erstarken der chinesischen Wirtschaft verspricht sich jeder fünfte deutsche Mittelständler einen positiven Schub fürs Geschäft, nur jeder zehnte sieht den Boom im Reich der Mitte als Gefahr“ (vgl. ebd.). Von den positiven Wirkungen der Expansion kann also auch der Standort Deutschland profitieren, weil international erfolgreiche Unternehmen ihre Position auch am heimischen Standort stärken. Das belegen zahlreiche Beispiele.
Beantwortung der Ausgangsfrage
Bereits nach diesen kurzen einleitenden Worten dürfte es über die Beantwortung der Ausgangsfrage keinen Zweifel mehr geben: Wertschöpfungsexzellenz ist ein Muss und die unabdingbare Voraussetzung für nachhaltige Wettbewerbsfähigkeit. Was das heißt und wie dies geht, wollen wir Ihnen in diesem Buch zeigen.
Die Herausforderungen kennen
„Wir kennen keine Probleme, wir kennen nur Herausforderungen!“ So eingängig die Slogans von Management-Gurus und Motivationskünstlern sein mögen, so weit gehen sie an der Wirklichkeit vorbei. Natürlich steht ein Unternehmen vor Problemen, die es bewältigen muss – täglich und stündlich. Die Frage ist nur, wie Management und Mitarbeiter mit dieser Problemflut umgehen, ob sie lediglich die unwillkommene Störung sehen oder auch die Chance zur Verbesserung.
Die Psychologie kennt das Phänomen der „Schlaraffenland-Depressionen“. Menschen, die keine täglichen Sorgen kennen, verlieren buchstäblich die Lebensfreude, werden weinerlich und antriebsschwach. Auf Organisationen gemünzt hieße das, dass sich Unternehmen, die keine Probleme haben, drastisch verschlechtern. Und tatsächlich lassen sich Beispiele finden: so manches Staats- oder Monopolunternehmen hat sich durch Mangel oder Verdrängung von Problemen jeglicher Wettbewerbsfähigkeit beraubt. Oder: es werden Probleme, meist im zwischenmenschlichen Bereich, konstruiert, deren Lösung zur Betriebshygiene, aber kaum zur Leistungssteigerung beiträgt.
So gesehen sind Probleme tatsächlich Chancen. Sie bieten Anlässe zur Verbesserung. Die japanische Verbesserungsphilosophie begreift Probleme als „Schätze“ von großem Wert. Kontinuierliche Verbesserung ist dann die Kunst, diese Schätze systematisch aufzuspüren und zu heben. Sprich: die Probleme zu lösen. Traditionell richtet sich der Blick hier auf Hemmnisse in Prozessen oder Abläufen, die auf der täglichen Agenda der Verbesserung stehen. Verbesserung beginnt beim Bewegungsablauf der Werker und endet beim Managen der Kunden- und Lieferantenbeziehung.
Immer häufiger allerdings liegen die wahren Herausforderungen außerhalb eines Unternehmens – deshalb ist es angebracht, den Blickwinkel entsprechend zu erweitern. Hier findet man eine praktisch unendliche Zahl von Herausforderungen, Problemen und Chancen, sich zu einem „Weltklasse-Unternehmen“ zu entwickeln, das diesen Namen auch verdient. Wir wollen uns auf drei fundamentale Herausforderungen konzentrieren, weil ihnen heute und in den kommenden Jahren entscheidende Bedeutung zukommt: der Globalisierung, der steigenden Komplexität und dem schnellen Wandel unternehmerischer Erfolgsfaktoren.
Herausforderung Globalisierung
Im Management-Slang unserer Tage steht das „Window of Opportunity“ als Sinnbild für die Kurzlebigkeit geschäftlicher Möglichkeiten. Steht das Fenster offen, eröffnen sich Chancen. Ist das Fenster wieder geschlossen, hat man eine Chance vertan. Nun haben es offene Fenster allerdings auch an sich, dass sie kalte Luft ins Zimmer lassen. Will sagen: das Risiko des Scheiterns existiert immer.
Dieses Bild lässt sich unschwer auf das in den letzten Jahren heiß diskutierte Thema der Globalisierung übertragen. Die weltweiten Veränderungen seit Beginn der 1990er Jahre bieten Unternehmen neue Chancen, setzen sie jedoch auch neuen Risiken aus. Egal wie, eine Herausforderung ist die Globalisierung in jedem Fall. Und: niemand kann sich den daraus resultierenden Zwängen entziehen. Das Fenster steht offen.
Fakt ist, dass 2,5 Milliarden Menschen mehr oder weniger überraschend Zugang zu den globalen Märkten bekommen haben – als Nachfrager, aber eben auch als Anbieter von Produkten und Leistungen. Dieses Phänomen steht im Zentrum der weltweiten Veränderungen und gewinnt zunehmend an Dynamik. So können heute Länder, die bis vor wenigen Jahren noch echte Entwicklungsländer waren, zu niedrigen Kosten Produkte und Dienstleistungen anbieten, die bis dato Monopole der klassischen Industrienationen waren. Atemberaubend ist vor allem das Tempo dieser Entwicklung: in Indien oder China entstanden quasi „über Nacht“ Cluster für Industrie und Dienstleistung, die im weltweiten Vergleich eine mehr als respektable Rolle spielen.
Dies hat zur Folge, dass die Möglichkeit zur „Delokalisierung“ neue Dimensionen bekommen hat. Produzierende Unternehmen aus Westeuropa, Nordamerika oder Japan, der klassischen „Triade“, haben den Vorteil, Standorte mit niedrigen Produktionskosten nutzen zu können, ohne die früher damit verknüpften Nachteile in Kauf nehmen zu müssen. Heute bekommt man die Nutzung von Hochtechnologie, hohe Produktivität und gute Qualität auch zu vergleichsweise niedrigen Löhnen. Konsequenz ist ein tatsächlicher „Mega-Wettbewerb“: Unternehmen und Volkswirtschaften müssen nun nicht mehr nur gegen bekannte Konkurrenten antreten, sondern gegen eine ständig wachsende Zahl völlig neuer Wettbewerber. Diese Tatsachen verursachen einen permanenten Druck, die Produktion zu rationalisieren, die internen Kosten zu reduzieren und die Leistungsfähigkeit (Qualität, Lieferservice) insgesamt zu erhöhen.
Kein Unternehmen, kein Land ist gegen diesen Druck gefeit. Im Gegenteil: die Herausforderungen ähneln sich für alle Unternehmen mehr oder weniger stark.
Leitgedanken zur Globalisierung
In nahezu allen Branchen gilt, dass Wachstum nur noch über Internationalisierung und globale Aufstellung zu erreichen ist. Die heimischen Märkte für Industriegüter sind weitestgehend gesättigt. Bereits der Mittelstand ist deshalb gezwungen, sich in dem Sinne international zu betätigen, dass er an ausländischen Standorten präsent ist, sei es mit Vertriebsaktivitäten, sei es mit Fertigung und Montage.
Vor allem in der Automobil-Zulieferindustrie gehören Werke im europäischen Ausland heute zur Normalität. Produziert wird in einem internationalen Werkeverbund mit komplexen logistischen Strukturen. Damit ein solches verteiltes Gebilde überhaupt funktionieren kann, müssen die Unternehmensprozesse stabil und robust sein. Instabile Prozesse können einen ganzen Werkeverbund in Schieflage bringen, die Lieferfähigkeit gerät in Gefahr. Um dies zu verhindern, müssen die Wertschöpfungsprozesse systematisiert und standardisiert werden. Stellen Sie sich ein Unternehmen vor, das an allen Standorten nach den gleichen Prinzipien, auf höchstem Niveau (nämlich exzellent), arbeitet. Die Einhaltung der Prinzipien (Standards) kann im globalen Netzwerk permanent überwacht, Abweichungen können schnell fest- und abgestellt werden. Ein solches Unternehmen verfügt über ein Wertschöpfungssystem, wie wir es Ihnen in diesem Buch vorstellen und näher bringen wollen.
Herausforderung Komplexität
Nicht nur die Welt wird immer komplexer, auch Produkte werden es. Noch vor zehn Jahren war ein Telefon in der Hauptsache eine Sprech- und Höreinrichtung an einem Kabel. Jeder Wehrpflichtige konnte nach wenigen Tagen Ausbildung ein funktionierendes Netz aufbauen, vorausgesetzt, er war stark genug, um die riesige Kabeltrommel zu schleppen. Ein Mobiltelefon der neuesten Generation ist nicht physisch schwer, aber schwer zu verstehen, komplex. Besonders fatal: die Diskussion, ob es sinnvoll oder notwendig ist, mit einem Telefon zu fotografieren, Texte zu verschicken oder im Internet zu surfen, wird nicht geführt. Funktionen, die technisch machbar sind, werden eingebaut. Mag es sich beim Mobiltelefon im Hinblick auf Entwicklung und Produktion noch um Trivialitäten handeln, wird die Angelegenheit beim Automobil wirklich komplex. So stellt der hohe Elektronikanteil die gesamte Wertschöpfungskette vor Komplexitätsprobleme. Wer früher ein mechanisches Türschloss nebst Schlüssel lieferte, ist heute verantwortlich für ein mechatronisches Schließsystem, das mehr Intelligenz besitzt als ein Personalcomputer in den 1980er Jahren.
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