Louis Meyer ging in den folgenden Jahren verschiedene geschäftliche Verbindungen mit deutschen, schweizerischen und französischen Handelsleuten ein. Zwischen 1841 und 1849 sind drei Reisen nach Einsiedeln überliefert. 1850 verkaufte Meyer sein Geschäft an Joseph Nurre (1819–1895) aus Westfalen und seinen Schwager mit dem Nachnamen Kreuzburg, die es unter dem Namen Kreuzburg & Nurre weiterführten. Die Firma Benziger, der Meyer ebenfalls ein Kaufangebot unterbreitet hatte, wollte das Geschäft damals noch nicht auf eigene Rechnung übernehmen mit dem Argument, kein Familienmitglied zur Leitung des Geschäfts in den USA entbehren zu können. Drei Jahre später kam es schliesslich doch noch zu einem Handelsvertrag zwischen Meyer und der Firma Benziger. 1853 wurde in New York das Filialgeschäft «Gebrüder Benziger und Louis Meyer» gegründet. Die Leitung musste sich Meyer mit dem damals erst zwanzigjährigen Adelrich B.-Koch teilen. Nach dem Tod von Louis Meyer zwei Jahre später ging das Filialgeschäft ganz in den Besitz der Firma Benziger über. Im Jahr 1857 wurde Adelrich B.-Koch als Leiter des Filialgeschäfts von seinem vier Jahre jüngeren Cousin J. N. Adelrich B.-von Sarnthein abgelöst. 1860 wurde diesem Louis B.-Mächler, der jüngste Bruder von Adelrich B.-Koch, zur Seite gestellt. Im selben Jahr übernahm die Firma Benziger Kreuzburg & Nurre, das damals einzige grössere Konkurrenzunternehmen im Bereich des deutschsprachigen katholischen Buchhandels in den USA, und errichtete eine zweite Filiale in Cincinnati. Für ein knappes Jahrzehnt hatte die Firma Benziger in den USA – unter dem Namen «Benziger Brothers» – eine Monopolstellung inne. 260
Das amerikanische Geschäftsmodell
Der Handel mit katholischer Ware war in den USA ein zunehmend lohnendes Geschäft. Noch 1820 lebten auf dem Gebiet der damaligen USA weniger als 200 000 Katholiken. Im Zuge vor allem der irischen und der deutschen Einwanderung erhöhte sich ihre Zahl bis 1850 auf rund 1,6 Millionen. Im Jahr 1860 lebten allein in New York 400 000 Katholiken. Bis 1900 stieg die Zahl der Katholiken – nun vermehrt auch Italiener, Osteuropäer, Frankokanadier und Mexikaner – landesweit auf über zwölf Millionen. 261Auch das Netz der katholischen Pfarreien – die Kerninstitutionen im amerikanischen Katholizismus –, die vor allem in ländlichen Gebieten für viele Immigranten sozial eine enorm wichtige und integrative Rolle spielten, wurde immer dichter. 262Kurz: Die potenzielle Käuferschaft der Verlagsprodukte in den USA wurde zahlreicher, der Markt grösser.
Die katholische Kirche in den USA war im 19. Jahrhundert hauptsächlich eine Kirche von Immigranten. Verschiedene Studien über die europäische Auswanderungsgeschichte im 19. Jahrhundert haben gezeigt, dass die Wanderung von der Alten in die Neue Welt selten zu einer «Entwurzelung» der Menschen führte, sondern, dass sie häufig ihre heimatliche Lebensform in die neue Heimat «verpflanzten». Zu dieser «Verpflanzung» gehörten wie selbstverständlich auch kirchliche Strukturen und der Bau von Kirchen. 263
Religion und Nation gingen dabei Hand in Hand. Dies zeigt sich etwa bei den Pfarreien, die in der Regel nach ethnisch-nationalen Kriterien beziehungsweise nach Sprachgruppen organisiert waren. Es gab deutsche, irische, polnische, tschechische Pfarreien und andere mehr. Dasselbe Phänomen lässt sich auch innerhalb der katholischen Literatur beobachten. So entstanden neben den älteren amerikanischen Verlagshäusern auch Häuser, die sich gezielt auf die spirituellen Bedürfnisse der irischen, polnischen, tschechischen oder deutschen Bevölkerung ausrichteten. Die katholischen Verlage waren dabei ein integraler Bestandteil eines konfessionellen Bildungsnetzwerks, zu dem nicht nur Schulen und Colleges gehörten, sondern auch Klöster und Missionsstationen, Lesezirkel, Pfarreibibliotheken, Sommercamps für Jugendliche und religiöse Sodalitäten. Die Förderung «guter», edukativer Lektüre war ein Kernanliegen innerhalb dieser Zirkel. 264
Im Falle der Benziger Brothers dürfen wir davon ausgehen, dass auch die Tausenden von schweizerischen, österreichischen und deutschen Wohltätigkeits-, Unterstützungs-, Gesangs-, Sport- und Freizeitvereinen, die im 19. Jahrhundert entstanden und teilweise auch Bibliotheken unterhielten, dem Absatz förderlich waren. Über die Position der Benziger Brothers in diesen Netzwerken lässt sich allerdings wenig Konkretes sagen. Es scheint ihnen aber mühelos gelungen zu sein, ihre privilegierte soziale Stellung der Herkunftsregion in den USA zu reproduzieren. Die hohe soziale Stellung äusserte sich in verschiedenen Ehrenämtern. J. N. Adelrich B.-von Sarnthein beispielsweise wurde 1864 vom Schweizer Bundesrat zum ersten Konsul von Cincinnati ernannt. Sein Cousin Louis B.-Mächler war Mitglied im elitären «Catholic Club» in New York, Vizepräsident des katholischen St.Raphaelhilfswerks sowie Mitbegründer des «Leo House», einer karitativen Einrichtung für deutschsprachige Einwanderer, und einer Sparkasse auf Long Island. Nikolaus B.-Benziger II war 1891 in New York Gastreferent an der Feier zum 600-jährigen Bestehen der Schweiz. 265
Die Filiale in New York konzentrierte sich zunächst auf den Import von Verlagswaren, die im Mutterhaus in Einsiedeln hergestellt wurden, in erster Linie Gebetbücher. 1860 wurde in Cincinnati eine fabrikmässig betriebene Buchbinderei eingerichtet, die im Jahr 1871 nach New York verlegt wurde. Mit allen amerikanischen Filialgeschäften verbunden waren jeweils einer oder mehrere «Stores» für Bücher; verkauft wurden aber auch Andachtsbilder, Devotionalien und Kirchenornamente.
Die Firma war bestrebt, ihre Verlagswaren durch hohe Auflagenzahlen möglichst billig zu halten und so auch ärmere Haushalte zu erreichen. Die billigsten religiösen Statuen im Angebot, rund sechs Zentimeter kleine Marien- und Josefdarstellungen aus Biskuitporzellan, kosteten gerade mal vier Cents. 266Auch bei den Gebetbüchern legte man grossen Wert auf tiefe Preise. «In der grossen Auflage liegt der Verlegernutzen», schrieb das Mutterhaus im Mai 1866 nach Amerika. 267Vor allem «kleine Gebetbüchlein» mit «volksthümlicher Richtung» sollten in den USA gefördert und «wissenschaftliche, politische oder grössere Werke, die nur Ehre aber keinen Nutzen bringen» strikt ignoriert werden. 268
Der Gebetbücherhandel bildete auch in den USA das beständigste Fundament der Firma. 269Die amerikanischen Geschäfte begnügten sich allerdings nicht mit dem Import von in Einsiedeln produzierter Verlagsware. Finanziell weit «glänzigere Erfolge», wie es in den Quellen heisst, brachte ihnen der Bilder-so-wie vor allem der Paramenten- und Kirchenornamentenhandel. 270Schon bald hatte man nämlich mit dem Import von religiösen Statuen, Kelchen, Kreuzen, Gemälden, Altarbildern, Kronleuchtern, Kirchenfenstern und anderem begonnen. In Verlagsanzeigen wurden etwa auch diverse Fahnen und Flaggen für Kirchen und Schulen sowie Plaketten, Auszeichnungen und Schärpen speziell für Vereine angepriesen. Die Kirchenfenster importierte die Firma von der Mayer’schen Hofkunstanstalt in Wien, später von der Königlichen Bayerischen Hofglasmalerei F. X. Zettler in München. Die von Benziger vertriebenen Kirchenfenster zierten, wenn man der Verlagswerbung Glauben schenkt, Kirchen in den ganzen USA, von Boston bis Texas. 271Die religiösen Statuen stammten zunächst auch von Mayer, später von der Pariser Firma Froc, Robert & Co., mit der die Firma Benziger 1885 einen Exklusivvertrag für die USA abschloss. 272Die Textilien für die Paramente importierte man zumeist aus Frankreich, häufig von Handelsunternehmen in Lyon. Die weitere Verarbeitung erfolgte in den USA, zunächst in Heimarbeit und später in fabrikmässigem Betrieb. Die Kirchenornamente, welche die Firma Benziger in den USA im Angebot hatten, stammten teilweise ebenfalls aus Europa. 1864 übernahm die Firma in New York ein kleines Fabrikationsgeschäft für Monstranzen, Messkelche und Ziborien und betrieb ein eigenes Atelier. Später stellte das Atelier auch religiöse Medaillen und ab etwa 1890 auch Kruzifixe, Kandelaber, Lampen, Kronleuchter und ähnliche Artikel in Metall für Kirchen her. 1894 bezog die Firma in Brooklyn ein eigenes Fabrikgebäude mit einer eigenen Giesserei, wo die verschiedenen technischen Betriebe – die Fabrikation von Kirchenornamenten, die Buchbinderei, die Paramentenstickerei – zusammengeführt wurden. Mit ihren Fabrikaten erhielten sie mehrere Auszeichnungen, so etwa das Ehrendiplom und die goldene Medaille für ihre Kirchenornamente an der Vatikanischen Ausstellung 1888 in Rom oder das Diplom für die «beste Arbeit im Produziren von Kirchenornamenten in Gold, Silber und platinirt und strengem Festhalten an correctem kirchlichem Styl». Im selben Jahr folgte der Ehrentitel «Päpstliches Institut für christliche Kunst». 273
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