Koster wendet sich dann dem dritten ekklesiologischen Paradigma, der Kirche als Kultgemeinschaft zu. Das Grundproblem des Dualismus von sichtbarer (Gesellschaft) und unsichtbarer Heilsgemeinschaft wird auch mit diesem Verständnis noch nicht überwunden (67). Gleichzeitig weist das Verständnis des Kultes als gemeinschaftlichem Werk der Kirche bereits in die richtige Richtung (68f). Kritisch merkt Koster jedoch an, dass mit dem meist liturgisch verstandenen Kult immer nur ein Teil des Lebens der Kirche beschrieben wird. Wie lassen sich liturgischer und außerliturgischer Kult zusammendenken (69)? Hierbei ist besonders der sakramentale „Charakter“ der Laien, etwa als Gefirmte oder Eheleute zu bedenken. Es geht um ein tätiges christliches Handeln, das nicht auf seine liturgische Dimension verkürzt werden darf (70). Aber auch in Bezug auf die Liturgie ist das richtige Verhältnis zwischen dem Tun der Priester und dem der Laien nicht eindeutig zu bestimmen. Wenn, wie Koster mit Verweis auf Odo Casel darstellt, Priester und Laien gemeinsam am sakramentalen Handeln in der Feier der Heiligen Messe teilhaben sollen, ist diese Äußerung lehramtlich nicht gedeckt (71). Koster weist darauf hin, dass die Konsekration den Priestern vorbehalten bleibt, die damit als Glieder des ganzen Leibes eine spezifische Aufgabe für das Kollektiv übernehmen. Zugleich weist Koster die Vorstellung zurück, nach der eine Handlung der Kirche, in diesem Fall der Konsekration der Gaben in der Heiligen Messe, als gleichzeitige Tätigkeit aller Glieder zu verstehen ist (74). In der Vorstellung von „Kultgemeinschaft“ wirkt für ihn die alte, auch von der Liturgischen Bewegung kritisierte Sichtweise der subjektivistischen Heilszugehörigkeit nach (73, 76). Bei Casel und anderen Vertretern dieser Richtung sieht Koster statt einer wirklichen Gemeinschaft einen „liturgischen Solidarismus“ entstehen (81). In ihm ist der Einzelne als Eigen-, nicht aber als „Gliedperson“ des gesamten Leibes der Kirche bedacht. Damit steht diese theologische Richtung der Liturgischen Bewegung der „Leib-Christi“-Ekklesiologie nahe (81). 80Koster dagegen unterscheidet die sakramental eingeprägten Charaktere (Gefirmte, Diakone, Priester, Bischöfe) in ihrer jeweiligen Rolle für das Gesamt der Kirche (75). Sie stellen in gestufter und geteilter Form das ganze Priestertum Christi dar (79). Das Priestertum ist also als „gemeinschaftsmäßiges“ in der Kirche ausgeprägt. Die einzelnen gehören als „Gliedpersonen“ und nicht als Einzelpersonen der Gemeinschaft der Kirche an (79, 81).
Von dieser Analyse der zeitgenössischen theologischen Strömungen aus entwickelt Koster seinen Ansatz, der dem Gesamt der kirchlichen Lehrverkündigung besser entsprechen soll (82, 99). Dabei vergewissert er sich, gegen eine allzu sehr vom seelsorglichen Impetus getragene Darlegung mancher seiner Zeitgenossen (98f), zunächst seiner eigenen Rolle als Theologe, der mit dem eigenen Glaubenssinn nach größtmöglicher Objektivität und Übereinstimmung mit dem Lehramt zu suchen hat (88f). Ihm geht es um die Systematisierung und wissenschaftliche Durchdringung seines Stoffes. Im Lebensgefühl der zeitgenössischen Christen, so Koster, liegt es nicht, in einem entpersonalisierten Ganzen aufzugehen, wie die überschwängliche Rede vom „Leib Christi“ zuweilen vorgibt. Vielmehr sucht der Gläubige nach seinem Platz in der Kirche, in die er als Glied- und Eigenperson aufgenommen ist (92f). Koster möchte dabei zum einen der aus der Kanonistik entlehnten Einsicht folgen, die Mitgliedschaft in der Kirche nicht von der Gnade, sondern vom sakramentalen Charakter der Einzelnen her zu definieren (92f). Zum anderen sucht er nach Wegen, die gestufte Zugehörigkeit auch der Nichtkatholiken zur Kirche in seine Gesamtsicht zu integrieren. Koster unterscheidet zwischen der Gliedschaft Christi und der Gliedschaft der Kirche, die durch die Taufe konstituiert wird (93). Unter den Mitgliedern der Kirche führt er eine Unterscheidung in Voll- und Teilglieder ein. Erstere sind diejenigen, die ihr persönliches Heil im „Heilskollektiv“ der Kirche erreichen (93). Teilglieder sind entweder als „Verwendungsglieder“ solche, die im Sinne der Gesamtheit der Kirche tätig sind, ohne ihr anzugehören, oder als „Konstitutionsglieder“ solche, die die Taufe empfangen haben, von deren derzeitigem Gnadenstand aber abgesehen wird. Sie sind entweder „volltätig“ in dem Sinne, dass sie unter der Weisung des Papstes Aufgaben und Handlungen ausführen, die ihrem sakramentalen Charakter entsprechen oder „teiltätig“, indem sie dies ohne Weisung oder gegen die Weisung des Papstes tun. Hierzu gehören auch die Nichtkatholiken (94). Kirchenglieder sind also dort zu finden, wo im Sinne der Kirche gehandelt wird. Koster führt seine Systematik der Stufung der unterschiedlichen Gliedschaften nicht weiter aus, weist aber darauf hin, dass sie nur unter dem Leitverständnis der Kirche als „Volk Gottes“ verständlich ist, da der „Leib Christi“ nur Vollglieder kennen kann (95). Der „Volk Gottes“- Begriff weist somit eine größere Offenheit in der Frage der Mitgliedschaft der Kirche auf.
Nach diesen grundsätzlichen Erwägungen zu den Voraussetzungen einer neuen Ekklesiologie beobachtet Koster im dritten Teil seiner Schrift Bewegungen, die zu einer in seinem Sinne theologischen Neubestimmung der Kirche führen können. Dabei erkennt er in der zeitgenössischen Forschung drei wesentliche „Erscheinungen“.
Die erste Erscheinung ist das Vorhandensein verschiedener Ansätze zur theologischen Wesensbestimmung der Kirche (100), die sich in der theologischen Debatte der Zeit in vier Grundformen finden: Eine erste, radikale Position besteht dabei in der Ablehnung eines solchen Unterfangens aufgrund der prinzipiellen Unmöglichkeit, ein Mysterium in einem formalen Begriff zu fassen (101). Koster weist eine solche Position unter Eingeständnis der analogen Sprechweise für alle theologischen Aussagen zurück. Die hier geäußerte Sichtweise der Kirche als reinem Mysterium entspricht nicht ihrem Wesen. Nach Kosters Meinung wird an dieser Stelle die eben auch konkrete Kirche in ihrer Geheimnishaftigkeit mit Christus bzw. dem göttlichen Geheimnis gleichgesetzt (103ff). Eine zweite Position wird von Koster als „theologischer Agnostizismus“ bezeichnet. Hier wird die Kirche ebenfalls als so geheimnishaft angesehen, dass die biblische, bildliche Sprache nicht an das eigentliche Mysterium heranreicht (105). Die Bestimmung der Kirche bleibt somit bei Bildern oder „Analogaten“ und damit in einem vortheologischen Stadium stehen (106). Höchster Ausdruck der Analogie ist dann der „Leib Christi“-Begriff, der als Ersatz für eine fehlende Wesensdefinition genommen wird (107). Koster wendet sich gegen die Beschränkung auf eine reine Begriffssammlung, die sich aus der Bibel und der Vätertheologie speist (107). Abgesehen davon, dass Kirchenväterzitate nicht wie in einem Parlament versammelt werden können, um in ihren Aussagen mehr Gewicht zu geben, gilt auch für diese frühen Theologen der Maßstab der lehramtlichen Verkündigung (108f). Auch die Väter müssen nach ihrer theologischen Argumentation beurteilt werden, nicht nach ihrer persönlichen Autorität oder Heiligkeit (109ff). Ebenso wendet sich Koster gegen eine Lesart, die verschiedene Begriffe dialektisch miteinander in Beziehung setzt, ohne jedoch eine Entscheidung zur Auffindung eines umfassenden Verständnisses der Kirche zu treffen (112). Eine weitere Fehlform besteht in der schnellen Synthetisierung der verschiedenen Metaphern zur Beschreibung der Kirche unter den Begriff „Leib Christi“ (113).
Der dritte Ansatz besteht in einer Festlegung auf den Begriff des „Leibes Christi“ als umfassende Wesensbestimmung der Kirche (114). Gegen diese Sichtweise hatte Koster im ersten Teil seiner Streitschrift bereits zahlreiche Gründe angeführt. Er betont noch einmal die Einseitigkeit und die schwierige Geschichte des Begriffs (117) und verweist auf die Häufigkeit des „Volk Gottes“- Begriffs im biblischen, lehramtlichen und liturgischen Zeugnis der Kirche (115). Gegen das Theologenschema zur Kirchenkonstitution des I. Vatikanischen Konzils weist Koster darauf hin, dass es sich bei „Leib Christi“ keineswegs um die häufigste und genaueste Bezeichnung für die Kirche handelt (114f). Aus einer ursprünglichen Beschreibung der Kirche sei, so Koster, mittlerweile ihre Wesensbestimmung geworden (116, 122). Zahlreiche Bischöfe hätten daher noch auf dem Konzil gegen eine solche Verwendung des Begriffes eingewandt, dass in ihm die sichtbare Seite der Kirche zugunsten der mystischen Seite nahezu verschwinden würde (116). Koster weist zudem auf die Wandlungen hin, die der Begriff im Laufe der Kirchengschichte genommen hat, und dessen genaue Bedeutung wieder in die Diskussion geraten ist (117f). „Leib Christi“ nimmt in der aktuelle Verwendung eher ein emotionales Verständnis der Kirche auf. Koster beobachtet zudem, dass der Begriff in seiner Unschärfe zu allen möglichen Zwecken für oder gegen die Kirche verwendet wird. Er verkommt zu einem Schlagwort, das sowohl den Verteidigern der Kirche als auch ihren Kritikern dient (118f). 81Auch aus diesem Grund erweist sich „Leib Christi“ zur Wesensbestimmung der Kirche als untauglich (119) und erscheint weniger als Frucht nüchterner theologischer Überlegung denn als reine „Festsetzung“ (121f).
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