Zwei Jahre nach dem Tod des Ignatius fand die erste Generalkongregation der Jesuiten statt. Dabei wurden die Satzungen einmütig in Kraft gesetzt, und siehe da: auch mit der Stimme des inzwischen wieder besänftigten Bobadilla.
2. Ergebnis der Werkstattarbeit: Ja, aber …
Beim Verfassen der Konstitutionen wurden Vorlagen zu bestimmten Themenkreisen erarbeitet. Der wackere Sekretär Juan de Polanco hatte daran großen Anteil. Regeln der alten Orden wurden beigezogen. Teilentwürfe wurden in einzelnen Provinzen durch Vertraute, besonders durch Jeronimo Nadal und Pedro de Ribadeneira, vorgestellt. Die Erfahrungen vor Ort wurden rückgemeldet und eingearbeitet oder verworfen. Und immer wieder ging Ignatius betend die einzelnen Punkte der Satzungen durch. Ein erster Gesamtentwurf, der die Handschrift des Ignatius trägt, wurde den in Rom anwesenden Jesuiten 1550 vorgelegt. Ihre Anmerkungen wurden zum großen Teil berücksichtigt. Und das Ganze wurde immer wieder dem Urteil der Vernunft unterworfen. Denn Ignatius, der selber ein Mystiker war, misstraute bloßen Gefühlen und schwärmerischen Höhenflügen. Für ihn war ganz allgemein wichtiger, dass Leute, die von ihren eigenen, vermeintlich glanzvollen Ideen begeistert waren, nüchtern blieben, frei von ungeordneten Anhänglichkeiten. Denn sonst werden sie leicht zum Spielball ihrer Launen, die dann allerdings mit einem frommen Mäntelchen getarnt werden.
Was die Satzungen ausmacht, ist nicht mit einem Wort zu bezeichnen. Regel? Ja, aber auch Inspiration. Lehrhaft? Ja, aber auch geistlich. Normativ? Ja, aber auch motivierend. Für alle? Ja, aber auch Raum lassend für die Unterschiede vor Ort. Ein einigendes Band? Ja, aber auch berücksichtigend, dass die Persönlichkeiten unterschiedlich sind. Schwungvoll? Ja, aber auch geordnetes und nachvollziehbares Handeln. Klar? Ja, aber auch ausladend und mit vielen Wiederholungen. Große Ziele? Ja, aber auch Abstieg bis in Banalitäten. Asketische Vorschriften? Ja, aber auch Atem der Freiheit. Missionarisch? Ja, aber auch trockene Texte. Hochfliegend? Ja, aber auch maßvoll. Geschrieben, damit sie gehalten werden? Ja, aber auch unterscheidend und den Kontext berücksichtigend.
Candido de Dalmases, ein Ignatiuskenner, drückt es so aus: »Ein Gesetz, das kein Gesetz ist. Ein Recht, das kein Recht ist, weil die juridischen mit den geistlichen Elementen so weise verschmolzen sind.« Und André Ravier, ein anderer Experte, schreibt: »… wird man unausweichlich feststellen, dass sie (die Konstitutionen) mehr sind als ein Gesetzbuch, mehr als ein Plan für die apostolische Arbeit, mehr als eine Sammlung von Erfahrungen, mehr als ein Leitfaden für die Sendungen. Vielmehr sind sie die lebendige Frucht einer sehr hohen Gotteserfahrung; sie sind die in die menschliche Ebene übertragene Antwort auf ein ergreifendes Fragen nach den Plänen Gottes, des Schöpfers und Erlösers; sie sind das angestrengte Bemühen einer Gruppe von Gefährten, sich innerhalb der Kirche so zu organisieren, dass sie auf eine möglichst fruchtbare Weise am göttlichen Erlösungswerk für die Welt mitarbeiten kann.«
Daraus ergeben sich Hinweise, die auch heute zu bedenken wären, wenn man zu Werke geht. Was wir zustande bringen wollen, soll Frucht des Gebetes sein, Frucht aber auch von gediegenen Überlegungen und von Erfahrungen, die ihrerseits einer unterscheidenden Liebe und dem Urteil reifer Menschen unterworfen werden müssen. Und das Ganze ist immer auch in den aktuellen Kontext zu stellen. Er erweitert auch gültig bleibende Erkenntnisse, versieht sie mit neuen Akzenten und führt zu neuen Handlungsanweisungen.
3. Ein Fanfarenstoß – so beginnt es
»Wer immer in unserer Gesellschaft, von der wir wünschen, dass sie mit dem Namen Jesu bezeichnet werde, unter dem Banner des Kreuzes für Gott Kriegsdienst leisten und allein dem Herrn und der Kirche, seiner Braut, unter dem Papst, dem Stellvertreter Christi auf Erden, dienen will, der soll sich nach dem feierlichen Gelübde immerwährender Keuschheit, Armut und Gehorsams dessen bewusst sein, dass er Teil einer Gesellschaft ist, die vornehmlich dazu errichtet worden ist, um besonders auf die Verteidigung und Verbreitung des Glaubens und den Fortschritt der Seelen … abzuzielen … und er soll sich bemühen, zuerst Gott, dann die Art und Weise dieses seines Instituts, die ja ein Weg zu ihm ist, vor Augen zu haben und dieses ihm von Gott gesetzte Ziel mit allen Kräften zu erreichen; ein jeder jedoch nach der ihm vom Heiligen Geist gewährten Gnade und der eigenen Stufe der Berufung« (Formula Instituti 1 von 1550).
Wie ein Fanfarenstoß tönt dieser erste Satz der so genannten Formula Instituti, der Formel des Instituts, der Magna Charta des Ordens (auch wenn die äußere Gestalt des Satzes etwas schwerfällig scheinen mag). Dieses Grundgesetz, das durch die Satzungen erläutert und ausgelegt wird, wurde in einer ersten Fassung 1540 von Papst Paul III. genehmigt und in einer zweiten Fassung 1550 von Papst Julius III. bestätigt. Auf der Grundlage dieser Formula entfaltet sich also das Gesamtwerk der Konstitutionen, wie die Satzungen in der den Jesuiten geläufigen Bezeichnung genannt werden.
Wie die Formula Instituti ist auch das Credo, unser Glaubensbekenntnis, eine Art Kurzformel, und zwar unseres Glaubens. Es ist hilfreich, solche prägnanten Zusammenfassungen zu probieren. Auch auf der persönlichen Ebene. Was ist mir wichtig? Was spricht mich besonders an in meinem Glauben? Was ist erprobt in meinen Gebeten, meinen Erfahrungen, meinen Überlegungen? Trägt es dazu bei, meinen Nächsten in aufbauender Weise mit einzubeziehen? Ist es offen für Korrekturen, für Fortschreibungen? Sind die Kriterien meiner Kurzformel ausgerichtet an Jesus Christus? Solche Kurzformeln müssen nicht unbedingt schreckliche Vereinfachungen sein. Sie sind geeignet, Entscheidendes immer wieder ohne große Anstrengung in Erinnerung zu rufen. In schwierigen Situationen können sie Wichtiges auf den Punkt bringen. Im Alltag können sie die Schönheit unseres Glaubens aufblitzen lassen.
4. Von der Ouvertüre zum Finale – ein Lebensskript
Nach der Formula Instituti, der Zusammenfassung dessen, wie der Orden sich versteht und was er will, folgen die Konstitutionen. Sie werden eingeleitet mit einer Art Präludium, dem so genannten Examen , einer Prüfung, die den Interessenten vor Augen geführt wird. Ein Kandidat soll wissen, auf was er sich einlässt und dass dies kein Zuckerschlecken werden wird. Und der Orden will die Neigung und Eignung des Eintrittswilligen prüfen.
Dann folgen die zehn Teile der Satzungen.
Im I. Teil wird die Zulassung behandelt. Wer glaubt, berufen zu sein, muss bestimmte Bedingungen erfüllen und sich verschiedenen Prüfungen unterwerfen, »um bei dem zu helfen, was die Gesellschaft (Jesu) in Bezug auf den göttlichen Dienst erstrebt« (147).
Der II. Teil handelt von der Entlassung derjenigen, die sich nicht bewähren oder die erkennen, dass ihr Weg ein anderer sein soll. Auffallend ist, dass sehr betont wird, mit wie viel Liebe und Taktgefühl die Trennung geschehen soll.
Der III. Teil hat die Bewahrung, Förderung und Vertiefung der Berufung zum Thema. Besonderer Wert ist darauf zu legen, dass das Gemeinschaftsgefühl eingeübt wird, der Korpsgeist, der die Gemeinschaft prägen soll. Eine besondere Betonung liegt auf dem Gehorsam. Er besteht nicht nur in einer äußeren Durchführung des Befohlenen, sondern in einem inneren Bemühen um Übereinstimmung mit dem Willen dessen, der befiehlt (284).
Der IV. Teil handelt von der Ausbildung der Ordensstudenten in den Wissenschaften.
Im V. Teil werden die unterschiedlichen Formen und Stufen der Eingliederung in den Orden vorgestellt.
Im VI. Teil kommt das persönliche Leben seiner Mitglieder zur Sprache.
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