Impressum:
Copyright © Juli 2017
Text und Gestaltung: Ines Mandeau
Kontakt: imandeau@mailbox.org
Alle Rechte vorbehalten
Bildnachweis:
pixabay.com/Creative Commons
Verlag: epubli GmbH, Berlin
www.epubli.de
ISBN: siehe Verlagsangabe
Dieser Titel erscheint auch als Printbuch.
Die Geschichte und ihre Figuren verdanken sich der Fantasie des Autors. Die genannten Orte sind großteils real, ihre Beschreibung hingegen ist fiktiv.
Das sind die Lieblingsorte, wo ich träumte,
Die Wiesen, deren Blumen ich besang.
Amable Tastu
1. Marillenbäumchen
2. Tour Odéon
3. Die Wiese und das Mädchen
4. Töchter des Lichts
5. „Was wünschst du dir?“
6. Das blaue Heldenglied
7. Mama Else ohne Enkel
8. Die Wanderin
9. Schälen und schaben
10. Zwischen Herd und Tisch
11. Brotlose Kunst
12. Ich will nicht hängen an der Wand
13. Abgespült und aufgeschminkt
14. Verknotet
15. Servi Muti
16. „Glaubst du, es wird Früchte tragen?“
17. Auflösung
Unerbittlich naht Vitus’ Geburtstag. Was kann ich einem Mann schenken, der augenscheinlich alles hat und auf Nachfrage hin stets beteuert, er brauche nichts? Mit Dingen wie Krawatten und Parfums, Büchern, iPods und generell mit Apparaten jeglicher Art, ist er kaum zu beglücken und auch Urlaubsreisen, Restaurantbesuche und derlei öffentliche Veranstaltungen sind ihm eher Pein als Vergnügen. Und sonst? Was wäre denn ein akzeptables Präsent anlässlich eines Ehrfurcht gebietenden, siebenundsechzigsten Geburtstages?
Mir will partout nichts einfallen und das ist ein jämmerlicher Befund, ein blamables Zeugnis meiner Kompetenz, weil ich nach über drei Jahrzehnten Lebensgemeinschaft eigentlich wissen sollte, was mein getreuer Gefährte sich insgeheim wünscht. Seit Wochen streife ich durch die Stadt und studiere die Schaufensterauslagen im Hinblick auf eine gelungene Überraschung für Vitus, aber ich mühe mich vergebens, nicht eine Sache in den mit Sachen reich bestückten Vitrinen spricht mich an. Je näher der Feiertermin rückt, desto nervöser werde ich angesichts meines offenkundigen Versagens, etwas Hübsches zu beschaffen, du liebe Güte, was ist daran schon kompliziert!
Am ersten Samstag im März, vier Tage vor der Party, stehe ich immer noch mit leeren Händen da. Während ich eilig die morgendliche Hausarbeit erledige, beschließe ich, die unbestimmte Sucherei nach einem passenden Geschenk an ein Ende zu bringen. Jawohl, heute schreite ich zur Tat und kaufe etwas, irgendetwas für den Jubilar, um in dieser leidigen Geschichte zu einem Schlusspunkt zu gelangen und meine innere Ruhe zu finden. Gleich vormittags breche ich auf, die Füße eingepackt in Wollsocken und ausgetretenen Turnschuhen für den Fall, dass die Shoppingmission einen längeren Marsch durch die Stadt erfordert, und beflügelt von dem entschiedenen Vorhaben, nicht ohne Beute in die Wohnung zurückzukehren.
Das nächstgelegene Geschäft, in dem ich fündig werden könnte, ist Carrefour, ein Supermarkt in Fontvieille, wo wir unsere Güter des täglichen Bedarfs besorgen, im Wirtschaftsbuch kurz GTB genannt. GTB klingt ziemlich unspektakulär für meinen feierlichen Vorsatz, aber Carrefour ist das Lieblingsgeschäft von Vitus, der hier mit Hingabe und Begeisterung jene Zutaten auswählt, die er zum Kochen benötigt. Schlimmstenfalls, so das Kalkül, kann ich ein paar käuflich erwerbbare Spezereien und Gustostückerl zu einem gefälligen Paket zusammenstellen. Das ist zwar nicht besonders originell, erhielte jedoch sicheren Zuspruch, da Vitus einen jeden Gaumenschmaus zu schätzen weiß.
An den Samstagen ist der Laden noch verstopfter als gewöhnlich mit Menschen und den stählern blitzenden Einkaufswägen, deren Körbe so großzügig bemessen sind, dass nebst den Bergen von Produkten je ein oder zwei Kinder darin Platz haben. In einem solchen Kampfrollator sind die Sprösslinge gut aufgehoben und gehen nicht verloren in dem Gewimmel und Getümmel, das zwischen den Regalreihen und Verkaufstruhen aufgeführt wird wie ein furioser Bühnenakt in Endlosschleife. Die beengten Verhältnisse in diesem Tempel der Genüsse wirken auf empfindsame Gemüter schnell beklemmend und können leicht den Fluchtreflex auslösen, was ich an Touristen des Öfteren beobachte, die mit entsetzten Mienen auf der Schwelle kehrtmachen und lieber mit hungrigen Mägen das Weite suchen, als sich vorzuwühlen zur Theke mit dem begehrten pan bagnat, dem mediterranen Mega-Sandwich.
Hier im Ladeninneren ist es nun mal so bestellt wie allerorts im kleinen Fürstentum: Eine Unmenge an Menschen hat sich mit äußerst begrenztem Territorium zu begnügen. Als mehrjährige Residentin bin ich mit den Maßstäben im Zwergenstaat vertraut und nehme den Wirbel ohne Wimpernzucken hin gleich den meisten Einheimischen. Wenn das Gedränge im Carrefour dennoch beginnt, meine Nerven zu strapazieren, dann drossle ich das Tempo, halte mich an den Rändern der Trampelpfade und lasse sie vorbeirauschen, die hetzenden Leute mit dem Tunnelröhrenblick.
Momentan bewege ich mich denn auch im Modus einer Landschildkröte durch das überlaufene Konsumparadies. Ich tripple hautnah an den mannshohen Regalaufbauten entlang, wobei meine Augen das Warenangebot von oben nach unten, von links nach rechts abscannen, als würden sie den Inhalt einer Exceltabelle von Zelle zu Zelle und Spalte zu Spalte kontrollieren; dabei den einen oder anderen interessanten Artikel vormerken und ihn im Geiste abspeichern für einen möglichen Kauf. Ernstlich zugreifen werde ich erst, wenn sämtliche Alternativen erwogen sind und ich somit für eine optimale Entscheidung gerüstet bin.
Als ich im Exotensegment bei den produits du monde fündig zu werden hoffe und konzentriert einen nächsten Schritt zur Seite setze, stößt mein Fußknöchel hart an eine Holzpalette, auf der eine Charge Zimmerpflanzen in Kunststoffkübeln angeliefert worden ist. Ich gerate ins Schlingern und wäre fast in den grünen Wald hineingekippt, doch mit knapper Not balanciere ich meinen taumelnden Körper ins Lot, fasse mich und bin erleichtert, dass die Unachtsamkeit keine bösen Folgen hat, und außerdem ein bisschen stolz, trotz meines Alters so reaktionsflink zu sein, einen halben Sturz abfangen zu können.
Während ich den verrutschten Riemen des Schulterbeutels zurechtrücke und am zerknautschten Blazerärmel zupfe, fällt mein Blick auf ein buntes Schildchen, das aus dem dichten Blätterwerk herausleuchtet. Nanu, was ist denn da im Busche? Ich beuge mich vor und lese: apricotier nain – Marillenbaum, genauer: ein Zwergmarillenbaum. Tatsächlich, zwischen den Yuccalanzen und Palmenwedel, den gummigen Fici und fleischigen Philodendren, lugen dürre Zweige hervor, die einem kaum kniehohen Stamm entwachsen und von winzigen schwellenden Knospen übersät sind. Ein paar wenige davon sind bereits „aufgegangen“, wie mein Vater, der zahlreiche Obstbäume um seinen Bauernhof gepflanzt hat und auf diesem Feld bewandert ist, zu sagen pflegt, wenn sich die Knospen zu Blüten öffnen.
Ich gehe in die Hocke, um die delikate Entdeckung unter die Lupe zu nehmen. Die weißen, rosa angehauchten Kronblätter schimmern samtig und scheinen so weich und verletzlich, dass ich mich frage, wie sich aus diesem dünnen zarten Nichts des gros fruits entwickeln sollen, fette Früchte, und das schon im Juli, in fünf Monaten? Schwer zu glauben, aber auf dem Plastikkärtchen, das dem Stamm umgehängt ist, steht es versprochen, Ernte im Juli, heißt es da.
Und plötzlich fällt mir unser Marillenbaum ein. Ächzend richte ich mich auf und knicke dabei wieder halb um, als ein vorbeistürmender Einkaufspanzer mit einem quiekenden Knirps im Ausguck mein Hinterteil streift und mein krummes Gestell in bedrohliche Schieflage versetzt. Erschrocken stammle ich eine Entschuldigung für die Karambolage, doch der energische Shopper steuert seinem anvisierten Ziel, einer Gefriertruhe mit Sonderangeboten, ungerührt entgegen, als hätte er die Frauengestalt, die sich aus dem botanischen Dickicht schälte, gar nicht bemerkt. Dem Mann sei vergeben, er ist gestraft genug, samstags einsam seinen Einkaufswagen zu schieben statt mit den Kumpels Fußbälle auf dem Sportplatz zu kicken.
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