Zwei kurz gefasste Geschichten über die fragwürdige Kunst, familiäre Beziehungskonflikte unter den Tisch zu kehren.
Impressum:
Copyright © Juli 2017
Text und Buchgestaltung: Ines Mandeau
Kontakt: imandeau@mailbox.org
Alle Rechte vorbehalten
Bildnachweis:
hoanggiapearl/commons.wikimedia.com
Verlag: epubli GmbH, Berlin
www.epubli.de
ISBN: siehe Verlagsangabe
1 Bald bin ich in Mandalay 1 Bald bin ich in Mandalay
Schwimmen
Im Zug nach Kreuzegg
Es ist finster
Kobolde
„Iss doch was!“
Laktatschlacht
Perlenkette, Wespennest
Siesta mit Soraya
Die Party steigt
Back on the road again
2 Zwei Bären und ein Partygirl
Waldesruh in Fontvieille
Diverse Einladungen
Schokotorte, Rosenkleid
Klimt oder Carmen?
Der Witwer und ...
… die Waisenfrau
Zwei Bären in Monaco
Geburtstagsgespenst zur Mitternachtsstunde
Im Rascasse war die Hölle los
Milchkaffee, ganz harmlos
Schwesternspiele
Beziehungsspektakel
Und noch ein Brief
1 Bald bin ich in Mandalay
Jeder erlebt schließlich nur einen Konflikt im Leben,
der sich immer nur anders vermummt
und anderswo heraustritt.
Rainer Maria Rilke
Fertig.
Ich schließe alle offenen Dateien und melde mich vom Firmennetzwerk ab. Da vibriert mein Handy, das griffbereit neben der Computertastatur liegt, und zeigt auf dem Display an: Emmerich calling – na bravo! Dieser Feigling! Ich atme langsam ein, bis meine Bauchdecke spannt, und lasse dann die Luft zwischen den gespitzten Lippen ausströmen, ebenso langsam, damit jene paar Sekunden gewonnen sind, die meine Stimme braucht, um zweifelsohne sachlich zu klingen: „Planck.“
„Hey du, hey, ich bin’s. Wie geht es dir?“
Sehr originell. Fällt ihm nach der komischen Funkstille nichts Besseres ein als diese ausgelutschte Allerweltsansage?
„Gut, bestens. Heute ist mein letzter Arbeitstag. Ab Montag bin ich im Urlaub. Vielleicht erinnerst du dich ja an mein Reiseprogramm.“
„Klar. Ich vergesse nie was. Du fährst weg und deshalb rufe ich an. Sag, können wir uns vor deinem Abflug sehen? Morgen ab sechs, okay? Ich habe dienstfrei im Betrieb und auch sonst ist alles im grünen Bereich“ – er redet hastig und verhaspelt sich beinahe, keine Sorge Richi, ich lege schon nicht auf – „und ich dachte, wir zwei zusammen sollten mal wieder eine Trainingseinheit hinblättern? Wie wär’s mit einer knackigen Nummer draußen im Mallsee?“
„Why not?“, entgegne ich cool und überschlage in Gedanken meinen Zeitplan. Um fünf Uhr muss ich am Bahnhof sein, das ist in knapp drei Stunden und demnach ginge sich eine Runde Schwimmen problemlos aus, allerdings müsste ich jetzt gleich losziehen. Genau, das mache ich. Wozu soll ich den Nachmittag hier im Büro absitzen? Die laufenden Projekte sind abgearbeitet und die Vertretung für die kommenden zwei Wochen meiner Abwesenheit ist eingewiesen. Ich kann meinen Urlaub reinen Gewissens ein bisschen verfrüht antreten und, falls sich jemand aufregt, auf meine flexiblen Arbeitszeiten pochen.
Well then, Ma’am Planck, you officer soon-to-be: Abmarsch zum Mallsee und Schwimmtraining mit Richi, einem meiner Kollegen aus dem Sportverein. Damit der Knabe sich nicht allzu glücklich schätzt, sein Date mit mir ohne Hürde und Hemmnis auf Anhieb ergattert zu haben, stelle ich ihn vor eine ultimative Alternative: „Aber es geht nur jetzt sofort, oder gar nicht.“ Kriegt er das hin?
„Klar, sofort. Ready to go. Kanone bereit für den Startschuss.“
Hoppla, das war ja tatsächlich ein Anflug von Originalität. Trotzdem, doofer Spruch. Mein Sportsfreund ist ein wenig befangen, wie mir scheint. Ich gebe die Geschäftige und sage an: „Ich hole mein Schwimmzeug aus der Wohnung und bin spätestens um drei Uhr am See. Wir treffen uns vor dem Holzsteg bei der Trauerweide, alles roger?“ Ich bin es, die hier die Pistole ansetzt; die Kanone, die Knarre, die Puffn, you name it. Mein Buddy soll sich nach mir richten und nicht immer bloß seiner Familie nachspringen. Der gute Mann ist verheiratet, miserabel verheiratet, wie er mir gegenüber beteuert, und er hat zwei kleine Kinder, Schreihälse, meint er, und er nennt diese häuslichen Verhältnisse „mein Hobby“, was ich nicht verstehe: Meine Familie ist mein Hobby? Etwa ungefähr wie: Triathlon ist mein Hobby? Woran misst mein Kumpel das, etwa am Zeiteinsatz? Er und manch anderer Athlet aus unserem Verein absolvieren ein Training von wöchentlich mindestens zehn, teils mehrstündigen Einheiten neben einem Fulltime-Job und zwischen den Kind und Kegel-Kisten. Dennoch ist keiner von denen ein Profiwettkämpfer. Wir sporteln zum Vergnügen und jobben für Moneten, oder? Ziemlich verzwickte Konstellationen, aber wie dem auch sei, heute läuft die gewöhnlich komplizierte Terminkoordination mit meiner Zuckerschnute Richi so glatt wie Honig aufs Butterbrot schmieren.
„Drei Uhr, okay, alles roger!“, sagt er und fügt mit schmelzendem Timbre hinzu: „Ich liebe es, wie flott du bist!“ Nun ist der alte Süßholzraspler hörbar in Form.
„Na dann, raff dich hurtig, and see you soon, Rocket!“
Irgendwie bin ich erleichtert. Nicht, dass es mir etwas ausgemacht hätte, ohne Nachricht von Richi in die Ferien abzurauschen, doch unser merkwürdiges Auseinandergehen neulich und das anschließende Schweigen im Walde hängen mir nach, obwohl ich die Angelegenheit mit dem Etikett forget it versehen und in eine unzugängliche hintere Ecke meines Oberstübchens abgeschoben habe. Ich behaupte, es lohnt sich nicht, Beziehungsproblematiken breitzuwalzen und wiederzukäuen oder gar, Schreck aller Schrecken, auszudiskutieren. Davon konnte ich nie profitieren und ich habe auch heute nicht die Absicht, Richi darauf anzusprechen, warum er, ohne mir ein Wort davon zu sagen, am Triathlonbewerb in Monte-Carlo teilgenommen hat. Normalerweise nämlich informieren wir uns gegenseitig über die jeweiligen Anmeldungen zu den Wettkämpfen.
Eigentlich hätte ich ihn vorhin „wie du mir, so ich dir“ im Regen stehen lassen können – „Sorry Richi, ich muss los, ruf mich in zwei Wochen an“ –, doch ich will nicht nachtragend sein und beschränke mich darauf, Revanchegelüste auf dem sportlichen Feld auszufechten und besser gegen Richis Kampfzeiten anzutreten als an seinen Charakterschwächen herumzudoktern. Leider sind meine athletischen Leistungen nicht so stark wie seine, was indessen keine Schande ist, denn Rocket, wie sein clubinterner Name lautet, zündet in den Spitzenrängen der Klasse Elite 2 , zu der ich nicht gehöre; und selbst wenn ich in dieser Liga mitmischte, ich käme wegen meines Geschlechtes nie an Richis Bestzeiten heran. Männer sind schneller als Frauen. Unfair, aber wahr.
Freundinnen flüsterten mir ungefragt, unser siegverwöhnter Strahleheld sei bei seinem Tri-Abenteuer in Monaco formidabel eingeknickt, er habe elend versagt und schäme sich derartig, dass er seither den Vereinsaktivitäten ferngeblieben sei. Vermutlich trainiere er geheim und im Alleingang; Sicheres wisse man nicht.
Es ist nicht das erste Mal, dass Richi, der King unter uns Adrenalinjunkies, eine Zeitlang abtaucht, ohne seine Gründe dafür preiszugeben; eine halbseidene Aktion, finde ich, die wilde Spekulationen schürt über Motive und Konflikte und dergleichen Psychohaarespaltereien. Man munkelt und mutmaßt und kommt zu keinem Ergebnis, warum jemand so und nicht anders handelt. Ich halte mich raus und habe Richi nach seinem Verschwinden auch nicht angerufen. Und nun ist er wieder da, ausgerechnet vor meinem Abflug in die metropolitane Fremde. Na, herrlich.
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