Darüber hinaus liegt ein Tathandlungserfolg des öffentlichen Zugänglichmachens nur dann im Inland vor, wenn die rechtswidrige Information gezielt auf einen Server im Inland übermittelt und auf diesem gespeichert wird.220 Für den ausländischen Diensteanbieter eines sozialen Netzwerks bedeutet dies, dass dessen im Ausland handelnder Nutzer in der Regel keinen Tathandlungserfolg im Inland begründet, da sich die Server des sozialen Netzwerks regelmäßig nicht im Inland befinden.221
(d) Rechtsprechung des BGH
Auch nach Auffassung des BGH besitzen abstrakte Gefährdungsdelikte keinen zum Tatbestand gehörenden Erfolg i.S.d. § 9 Abs. 1 Var. 3 StGB.222
Dies widerspricht auch nicht dem Sinn und Zweck abstrakter Gefährdungsdelikte.223 Mit diesen Delikten wird die Strafbarkeit eines bestimmten Verhaltens vorverlagert, da bereits das Verhalten selbst besonders gefährlich ist.224 Der Schutz bestimmter Rechtsgüter soll erhöht werden.225 Die deshalb vom Gesetzgeber vorgenommene Ausweitung der Strafbarkeit nach vorne, kann nach Auffassung des BGH aber dazu führen, dass aus völkerrechtlicher Sicht eine Beschränkung bei „Sachverhalte[n] mit internationalem Bezug“ sogar geboten ist.226 Denn anderenfalls könnte zwischen der Anwendbarkeit des deutschen Strafrechts und dem Schutzbereich der Norm nicht mehr unterschieden werden.227
Die damit bestehende Gesetzeslücke, die eine gezielte Grenzüberquerung zur Begehung abstrakter Gefährdungsdelikte über das Internet ermöglicht, müsste der Gesetzgeber selbst schließen, „falls er dies für erforderlich erachtet“.228 Insoweit ist der Gesetzgeber mit dem 60. Gesetz zur Änderung des StGB vom 30.11.2020229 und Blick auf die Strafbarkeit nach den §§ 86, 86a, 111 und 130 StGB bei Handlungen im Ausland tätig geworden, indem er § 5 StGB angepasst hat.
Im Ergebnis ist daher festzuhalten, dass abstrakte Gefährdungsdelikte keinen zum Tatbestand gehörenden Erfolg i.S.d. § 9 Abs. 1 Var. 3 StGB besitzen. Handelt der Haupttäter im Ausland, kann eine Anwendung des deutschen Strafrechts bei Vorliegen eines abstrakten Gefährdungsdelikts deshalb nicht über den Erfolgsort begründet werden.
(3) Abstrakt-konkrete Gefährdungsdelikte
Ob dies auch für abstrakt-konkrete Gefährdungsdelikte (sog. Eignungsdelikte) gilt, ist im Folgenden zu Untersuchen. Diese setzen – ebenso wie abstrakte Gefährdungsdelikte – in ihrem Tatbestand nicht den Eintritt einer konkreten Gefahr voraus. Aus dem Tatbestand ergibt sich aber, dass die Handlung bei Betrachtung der konkreten Tatumstände gefahrengeeignet sein muss.230 Es gehört daher zwar nicht der Eintritt einer konkreten Gefahr zum Tatbestand, aber die generelle Gefährlichkeit der Handlung oder des Tatmittels.231
(a) Alte Rechtsprechung des BGH
Hieraus hatte der 1. Strafsenat des BGH mit Urteil vom 12.12.2000 (1 StR 184/00) jedenfalls für § 130 Abs. 1 und 3 StGB gefolgert, dass das abstrakt-konkrete Gefährdungsdelikt der Volksverhetzung aufgrund seiner Eignungsformel einen zum Tatbestand gehörenden Erfolg beinhaltet.232 Auch wenn eine konkrete Gefahr zur Erfüllung des Tatbestandes nicht erforderlich sei, müsse doch geprüft werden, „ob die jeweilige Handlung bei genereller Betrachtung gefahrengeeignet ist“.233 Dies setze im Rahmen von § 130 Abs. 1 und 3 StGB „eine konkrete Eignung zur Friedensstörung“ voraus, welche „nicht nur abstrakt bestehen“ dürfe, sondern „konkret festgestellt“ werden müsse.234 Für abstrakt-konkrete Gefährdungsdelikte, die zwischen den abstrakten und den konkreten Gefährdungsdelikten angesiedelt sind, bedeute dies, dass sie unter dem „Gesichtspunkt des Erfolgsorts mit konkreten Gefährdungsdelikten vergleichbar“ seien, „weil der Gesetzgeber auch hier eine zu vermeidende Gefährdung – den Erfolg – im Tatbestand der Norm ausdrücklich bezeichnet“, sodass bei diesen Delikten „ein Erfolg im Sinne des § 9 StGB dort eingetreten“ ist, „wo die konkrete Tat ihre Gefährlichkeit im Hinblick auf das im Tatbestand umschriebene Rechtsgut entfalten kann“.235
Bei dieser Entscheidung handelte es sich um eine der wohl umstrittensten Entscheidungen des Internetstrafrechts.236 Einer der Hauptkritikpunkte besteht darin, dass die Eignung zur Gefährdung keinen eigenständigen tatbestandlichen Erfolg, sondern vielmehr eine Anforderung an die Handlung stellt bzw. eine Eigenschaft dieser darstellt.237
(b) Neue Rechtsprechung des BGH
Der Auffassung des 1. Strafsenats ist der 3. Strafsenat des BGH mit Beschluss vom 3.5.2016 (3 StR 449/15) entgegengetreten.238 Dieser führt aus, dass jedenfalls „das Merkmal der Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens im Sinne von § 130 Abs. 3 StGB [...] keinen zum Tatbestand gehörenden Erfolg“ umschreibt.239 Im Ergebnis stellt das Gericht damit fest, dass abstrakt-konkrete Gefährdungsdelikte ebenso wie abstrakte Gefährdungsdelikte keinen zum Tatbestand gehörenden Erfolg besitzen.240 Denn nach den Ausführungen des 3. Strafsenats erfordert eine potentielle Gefahr, wie sie ein abstrakt-konkretes Gefährdungsdelikt voraussetzt, keine „von der tatbestandsmäßigen Handlung räumlich und/oder zeitlich abtrennbare Außenweltsveränderung“ im Sinne eines zum Tatbestand gehörenden Erfolgs.241
Der Beschluss des 3. Strafsenats führt insofern zu einer Änderung der umstrittenen BGH -Rechtsprechung aus dem Jahr 2000, was dem Senat auch bewusst war.242 Denn der 3. Strafsenat führt aus, dass er ein Anfrageverfahren nach § 132 Abs. 3 GVG nicht durchführen muss, da er nunmehr alleine „für Entscheidungen über Revisionen in Strafsachen gegen die Urteile der Strafkammern zuständig“ ist, „sofern sie – unter anderem – Fälle der Volksverhetzung (§ 130 StGB) betreffen“.243 Zudem waren die Ausführungen des BGH für den zu entscheidenden Sachverhalt überflüssig, da das Gericht die Anwendbarkeit deutschen Strafrechts im konkreten Fall bereits aus § 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB hergeleitet hat.244
Bei abstrakt-konkreten Gefährdungsdelikten ist deshalb im Ergebnis ebenfalls und übereinstimmend mit der neuen Rechtsprechung des BGH davon auszugehen, dass sie keinen zum Tatbestand gehörenden Erfolg i.S.d. § 9 Abs. 1 Var. 3 StGB besitzen.
cc. Ergebnis zum Erfolgsort
Einen zum Tatbestand gehörenden Erfolg i.S.d. § 9 Abs. 1 Var. 3 StGB setzen lediglich Verletzungsdelikte und konkrete Gefährdungsdelikte voraus. Keinen solchen Erfolg besitzen hingegen abstrakte und abstrakt-konkrete Gefährdungsdelikte. Die Anwendbarkeit deutschen Strafrechts über den Erfolgsort im Inland kann daher nach überzeugender Auffassung nur bei Verletzungsdelikten und konkreten Gefährdungsdelikten begründet werden.
c. Begrenzung der Anwendung deutschen Strafrechts
Trotz dieses bereits restriktiven Ergebnisses durch den Ausschluss abstrakter und abstrakt-konkreter Gefährdungsdelikte stellt sich die Frage, ob auch im Hinblick auf Erfolgsdelikte in Form der Verletzungsdelikte und konkrete Gefährdungsdelikte eine Einschränkung der Anwendbarkeit deutschen Strafrechts geboten ist, wenn der Täter im Ausland gehandelt hat und ein zum Tatbestand gehörender Erfolg im Inland eintritt; dies deshalb, da es Sachverhalte gibt, die bis auf einen tatbestandlichen Erfolg, der zufällig im Inland eintritt, keinerlei weiteren Bezug zum Inland beinhalten. Hierbei handelt es sich vor allem um Fälle, in denen sowohl Täter als auch Opfer, aber auch die sonstigen Tatumstände keinen Inlandsbezug haben und das erfüllte Delikt dem Schutz des Opfers selbst dient.
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