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SCHNYDER/ MURER nehmen KAUFMANNs Auslegung auf und führen diese aus: Mangelnde Handlungsfähigkeit kann sich immer nur auf die Vermögens- oder die Personensorge beziehen. Man könne zwar von drei Schwächezuständen sprechen (mangelnde Handlungsfähigkeit, Schwächezustand in der Vermögensverwaltung, Schwächezustand in der Person); geschützte Rechtsgüter seien aber immer die Person oder das Vermögen. Man könne auch von drei Aufgaben des Vormundschaftsrechts sprechen, nämlich Vertretung, Personensorge und Vermögenssorge. Diese würden sich aber immer nur auf den Personen- oder Vermögensbereich beziehen. Strenggenommen gäbe es auch nicht zwei geschützte Rechtsgüter, sondern nur eines: die Person.[180]
65
Im Bereich der Personensorge unterscheiden sie wie KAUFMANN in Vertretungshandeln und sog. «reine persönliche Fürsorge».[181]
6.2.7 CHRISTOPH CAVIEZEL (1988)
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CAVIEZEL geht wie SCHNYDER/ MURER von einer Wechselbeziehung zwischen Vermögens- und Personensorge aus, wo jeweils wie bei KAUFMANN auch Vertretung möglich ist. Unter Bezugnahme auf ein Bundesgerichtsurteil[182] kommt er aber zum Schluss, dass «überall dort, wo durch vormundschaftliche Massnahmen jemandem Hilfe gewährt werden soll, die Vermögenssorge in den Dienst der persönlichen Fürsorge gestellt werden muss.»[183] Daraus könnte abgeleitet werden, dass es eine persönliche Fürsorge im weiteren Sinne gibt, welche den Schutzbedarf aufzeigt und sich unterteilt in persönlicher Fürsorge im engeren Sinne und Vermögenssorge.
6.2.8 BARBARA CAVIEZEL- JOST (1988)
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CAVIEZEL- JOST betrachtet die persönliche Fürsorge aus der Perspektive der fürsorgerischen Freiheitsentziehung. Persönliche Fürsorge bestehe in der «Für-Sorge» für einen Menschen, weil dieser eine Schwäche habe, die sich im persönlichen Bereich seines Lebens so auswirke, dass er nicht mehr für sich selber sorgen könne, sondern eben auf Fürsorge anwiesen sei.[184] Die Fürsorge gehe weiter als ein blosser «Bei-Stand», «bei dem noch mit einer grösseren Selbsthilfe-Fähigkeit des Betroffenen gerechnet werden kann.»[185] Bei dieser Definition werden die bisherigen Überlegungen zum Zusammenhang von Massnahmegrund und –zweck sowie Selbstbestimmung mit der Personensorge hergestellt.
6.2.9 STEFAN MÜLLER (1996)
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STEFAN MÜLLER knüpft an die am Wortsinn orientierte Definition von CAVIEZEL- JOST implizit an, weist aber auf ein zusätzliches Kriterium hin. «Persönlich» im Rahmen der persönlichen Fürsorge meine nicht nur die Sichtweise im Hinblick auf den Schutzbedarf und Schutzzweck, sondern weise auch auf die persönliche Verantwortung des Mandatsträgers hin. Es gehe «um das Bemühen einer Person um das Wohlergehen einer anderen Person.»[186] Damit wird herausgehoben, dass es sich um eine unmittelbare, direkt von Menschen veranlasste Intervention handeln muss. Personensorge kann nach diesem Verständnis bspw. nicht einem Computer überlassen werden.
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MÜLLER verweist zudem auf die Wechselbeziehung zwischen Personen- und Vermögenssorge und weist auch in der Tradition KAUFMANNs darauf hin, dass Personensorge auch durch Vertretungshandeln erfolgen kann.[187]
6.2.10 HANS MICHAEL RIEMER (1997)
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RIEMER nimmt die Aufgabenteilung von MURER/ SCHNYDER auf und spricht von drei Kreisen von Aufgaben des Mandatsträgers: der persönlichen Fürsorge, der Vertretung in allen Rechtsgeschäften und der Verwaltung des Mündelvermögens.[188] Er geht davon aus, dass im Rahmen der Personensorge auch Vertretung zulässig ist, womit er sich wohl an die Unterscheidung von KAUFMANN anlehnt.[189] Zur persönlichen Fürsorge zählt RIEMER alle für die Person wesentlichen Belang, so Ausbildung, Beruf, Unterkunft, psychische und physische Gesundheit bzw. entsprechende Behandlung etc.[190] Der Umfang der Personensorge ergebe sich nach dem Alter, dem Massnahmegrund und dem Grad der Hilfsbedürftigkeit.[191]
6.2.11 KURT AFFOLTER (1998)/ CHRISTOPH HÄFELI (2005)
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AFFOLTER definiert Personensorge in der Tradition von HEFTI als «behördlich angeordnete persönliche Fürsorge für Menschen, welche nicht in der Lage sind, ihre eigenen Angelegenheiten selbst zu besorgen und schutzbedürftig sind».[192] HÄFELI knüpft vorab an die Definition von MURER/ SCHNYDER an.[193] Beide fokussieren die Personensorge im Rahmen der Mandatsführung und betonen deutlich den Vorrang der Selbstbestimmung und der persönlichen Ressourcenstärkung (Empowerment).[194] AFFOLTER setzt hier neben den Schutz des Betroffenen ein zweites Ziel: Das Ziel der Personensorge in der Mandatsführung sei, dass auch die persönliche Entfaltung und Förderung von Hilfsbedürftigen ermöglicht werde.[195] Es gehe um Hilfe zur Selbsthilfe, also mitunter darum, schutzbedürftige Menschen soweit wie möglich zu befähigen, wiederum soweit wie möglich eigenständig ihr Leben zu gestalten.
6.3Die doppelte Personensorge im revidierten Recht
6.3.1Auslegung der massgebenden Bestimmungen
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Die Ausgestaltung der Möglichkeiten und Grenzen der Personensorge im alten Vormundschaftsrecht ergab sich nicht zuletzt aufgrund der Auslegung der entsprechenden Gesetzesartikel, namentlich von Art. 367 Abs. 1 und Art. 406 aZGB. Dementsprechend ist analog das revidierte Erwachsenenschutzrecht relevant für die aktuelle bzw. aktualisierte Definition der Personensorge. So ergibt sich aufgrund der Pflicht zur persönlichen Mandatsführung gemäss Art. 405 Abs. 1 ZGB sowie der Pflicht zur Herstellung eines Vertrauensverhältnisses gemäss Art. 406 Abs. 2 ZGB, dass der Hinweis von MÜLLER[196] auf die persönliche Verantwortung des Mandatsträgers klargestellt und durch die revidierten Bestimmungen obsolet wird. Mandatsführung muss unabhängig von Vermögenssorge oder Personensorge persönlich sein.
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Aus der Zwecksetzung des Erwachsenenschutzes wie auch aus der Begriffsgeschichte der Personensorge ergibt sich ferner allgemein, dass Personensorge individualisiert und unter Berücksichtigung des Schutzzweckes, der Selbstbestimmung bzw. der Subsidiarität und des Schutzbedarfes zu erfolgen hat. Sie soll zudem persönliche Entfaltung und Förderung ermöglichen.
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Betrachtet man das revidierte Recht, so ist Art. 391 Abs. 2 ZGB massgebend, der die Aufgabenbereiche im Erwachsenenschutzrecht beleuchtet. Er besagt, dass die Aufgabenbereiche die Personensorge, die Vermögenssorge oder den Rechtsverkehr betreffen. Daraus ist zunächst ersichtlich, dass die Begrifflichkeiten an das alte Vormundschaftsrecht anknüpfen. Vertretung wird durch Rechtsverkehr ersetzt, inhaltlich aber wie Vertretung definiert, indem man darauf verweist, dass es um rechtsgeschäftliche oder rechtsgeschäftsähnliche Handlungen geht, die den Bereich der Vermögens- und Personensorge betreffen können.[197]
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Das vorrevidierte Recht hat zudem nicht zwischen der Personensorge in Bezug auf die Aufgabenbereiche oder in Bezug auf die Rechtsmacht unterschieden. Das rührt insbesondere daher, dass es für die Personensorge im Sinne der Rechtsmacht gar keine eigenständige Massnahme gab, sondern der Fokus auf Vertretungs- und Mitwirkungshandeln beruhte. Mit der Begleitbeistandschaft hat sich dies grundlegend verändert, da sie begleitende Unterstützung als Rechtsmacht vorsieht.[198] Für die Begrifflichkeiten erscheint es daher angezeigt, zwischen Anforderungen im Rahmen der Aufgabenbereiche und der Rechtsmacht zu unterscheiden.[199]
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