Kindergarten/Primarschule
Eine Mutter aus einer ländlichen Gegend wünscht sich für ihre Kinder mehr Freizeitangebote wie z. B. ein Kindertheater, einen Matheclub oder einen Rezitationsclub. Dort könnten die Kinder dann vieles ausprobieren und das, was ihnen Spass mache, vielleicht auch irgendwann zum Beruf entwickeln.
Je nach Wohnumfeld stehen mehr oder weniger Freizeitangebote für Kinder zur Verfügung. Im Beispiel vermisst die Mutter vor allem niederschwellige Angebote. «niederschwellig» bedeutet in diesem Fall, dass Kinder eine bestimmte Zeit lang etwas ausprobieren dürfen, ohne sich nach einer Schnupperlektion bereits auf die definitive Teilnahme festlegen zu müssen. Denn oftmals stellt sich erst mit einer gewissen Regelmässigkeit heraus, ob ein auf den ersten Blick infrage kommendes Angebot einem Kind liegt. Einzelne Schnupperlektionen können dieses Ausprobieren nicht gänzlich ersetzen.
Viele zugewanderte Familien kennen aus ihrem Herkunftsland Freizeitangebote, die als Bestandteil von Tagesschulstrukturen integral ins Schulsystem eingebunden sind. Dies ist in der Schweiz explizit nicht vorgesehen, erschwert jedoch den Zugang für Familien, die all die Möglichkeiten nicht kennen. Andere Angebote wiederum setzen zusätzlich zeitliche und finanzielle Ressourcen vonseiten der Eltern voraus, beispielsweise für Fahrdienste oder Vereinsbeiträge, und werden deshalb nicht als niederschwellige Angebote wahrgenommen. Vor diesem Hintergrund könnten Schulen die Zusammenarbeit mit lokalen Vereinen suchen, um im Unterricht integrierte Projekte umzusetzen (z. B. mit dem Schachclub) oder ausserhalb der Schulzeiten Schnupperangebote zu ermöglichen (z. B. mit dem örtlichen Turnverein).
Sekundarschule
Rafaelas Mutter wünscht sich, dass die Lehrpersonen ihre 12-jährige Tochter auch ausserhalb des Unterrichts begleiten. Schliesslich seien sie den ganzen Tag mit ihrer Tochter zusammen und hätten einen grossen Anteil am Leben des Mädchens. Sie als Eltern sähen dagegen nur die Hausaufgaben und Prüfungen. Die Mutter fände es deshalb toll, wenn die Lehrpersonen an 1 bis 2 Tagen in der Woche nach der Schule mit den Kindern Aufgaben anschauen und bearbeiten würden, mit denen die Kinder noch Schwierigkeiten haben. Da die Lehrpersonen echte Vertrauenspersonen seien, sei dies auch besser als Nachhilfe ausserhalb der Schule, wo man sich wieder auf jemanden Neues einstellen müsse.
Die Mutter im Beispiel hat grosses Vertrauen in die Kompetenzen der Lehrpersonen und wünscht sich, dass ihre Tochter von diesen direkten Bezugspersonen niederschwellig und gezielt auch nach der Schule gefördert wird. Bei den von Schulen kostengünstig, teilweise auch kostenfrei zur Verfügung gestellten Angeboten für Hausaufgabenhilfe fehlt dieser Mutter im Gegensatz dazu eine Person, die ihr Kind sehr gut kennt und ihre Tochter dadurch kompetent unterstützen kann.
Dieses Bedürfnis zeigt sich bei vielen der von uns interviewten Familien, nämlich dass sowohl in Bezug auf zusätzliche Förderangebote für ihre Kinder als auch bei alltäglichen Erziehungsfragen am liebsten die Lehrperson als kompetentes Gegenüber gewählt würde. Die Lehrpersonen werden von den Familien als erfahrene, verlässliche und langfristige Partnerinnen und Partner wahrgenommen (→ Themenfeld «Begleitung und Alltagskontakte» ). Diesen Äusserungen ist entgegenzuhalten, dass in vielen Schulgemeinden bereits ein etabliertes Angebot für die Unterstützung der Schülerinnen und Schülern bei den Hausaufgaben besteht. Die betreuenden Fachpersonen sind im Schulalltag für die Eltern jedoch kaum sichtbar. Indem die Betreuenden beispielsweise an Elternabenden präsent sind und an wichtigen Elterngesprächen teilnehmen, kann eine Grundlage dafür geschaffen werden, dass sie stärker als Teil des Förderteams wahrgenommen werden und so seitens der Eltern auch Vertrauen aufgebaut werden kann.
Denkanstösse und Anregungen für die Praxis
Die folgenden Anregungen können Ihnen dabei helfen, den Alltag in Ihrer Einrichtung sowohl als pädagogische Fachperson als auch als Leitungsperson zu reflektieren. Auf der Basis der Interviews wurden Fragen entwickelt, welche für die Konzeption und die Durchführung neuer und bestehender Angebote hilfreich sein können. Diesbezüglich soll jedoch nicht ausgeblendet werden, dass für eine einzelne pädagogische Fachperson in vielen Fällen wenig Handlungsspielraum besteht und diese die Entscheidungsverantwortung für spezifische Angebote zu Bildung und sozialer Integration ausserhalb ihres Kernauftrags nur selten (allein) trägt. Dennoch ist es wichtig, dass pädagogische Teams inklusive der Leitungspersonen offen für Anliegen und Bedürfnisse der Eltern sind, diese aufnehmen und solche Hinweise, wenn möglich, an entscheidende Stellen weiterleiten. Denn es braucht in der Regel Anstösse von Einzelnen, damit sich etwas bewegen kann.
Erreichbarkeit der Eltern und Kinder
• Wie erreichen wir Eltern, die bisher kaum Angebote für Bildung und soziale Integration kennen und wenig Erfahrung mit Elternbildung haben?
• Wissen wir, welche Tage/Zeiten für eine Veranstaltung erwünscht wären?
• Welche Wege gehen wir, damit auch schwerer erreichbare Familien die Angebote kennenlernen und zur Teilnahme motiviert werden können?
Umsetzungsideen
• Eltern werden gezielt angefragt, welche Tage und Zeiten für eine Veranstaltung für sie günstig wären. Generell sollten Angebote mit der Erwerbstätigkeit zeitlich vereinbar sein.
• Termine werden möglichst früh angekündigt, damit Eltern dies bei der individuellen Arbeitsplanung berücksichtigen können (z. B. Schichtabtausch).
• Nach Einladungen wird bei den Eltern mehrmals nachgehakt, indem beispielsweise kurz vor der Veranstaltung angerufen und nochmals explizit auf die Veranstaltung hingewiesen wird. Für Informationen zu vorschulischen Angeboten gehen pädagogische Fachpersonen gezielt auf Eltern zu, z. B. auf dem Spielplatz, im Park, im Quartierrestaurant.
• Schulen ermöglichen es Vereinen, in ihren Räumlichkeiten regelmässig Schnupperangebote für Kinder und Jugendliche anzubieten, um einen ersten niederschwelligen Kontakt mit dem Angebot herzustellen.
• Bei der Entwicklung von neuen Angeboten können Schlüsselpersonen der Migrationsgruppen oder interkulturell Vermittelnde wichtige Hinweise zur Erreichbarkeit der Eltern geben und sollten daher bereits bei der Konzeptentwicklung einbezogen werden.
Niederschwelligkeit der Angebote
• Schaffen wir an unserer pädagogischen Institution Angebote, die für alle Familien finanziell tragbar sind?
• Welche Möglichkeiten bieten wir bei Elternveranstaltungen an, wenn Schwierigkeiten mit der Betreuung von Kindern eine Teilnahme verhindert?
• Wie ermöglichen wir Eltern, deren Deutschkompetenz noch gering ist, eine Teilnahme an Veranstaltungen?
Umsetzungsideen
• Zur finanziellen Förderung wird die Zusammenarbeit mit Stiftungen oder lokalen Behörden gesucht. Die bürokratischen Hürden für die Familien werden möglichst tief gehalten.
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