»Blöd gelaufen, was?«, sagte Hans zu Don Juan, als sie sich im Zelt begegneten. »Ganz blöd.«
»Ich weiß nicht, was du meinst, Arschloch«, entgegnete der Spanier finster. »Ich wollte nur schnell zu unserem Posten zurück, den wir wegen dir aufgegeben haben.«
»Und ich habe den Posten nur aufgegeben, wie alle wissen, weil ich dem ehrwürdigen Ölmez von Konya zu unserem Vater bringen musste. Nicht wahr?«
»Du schuldest mit trotzdem einen Dinar!«
Als Bayezid zum Angriff blasen ließ, hielten die Bürger Wort. Sie verteidigten weder die Mauern noch die Tore. Die Armee schwappte in die schmalen Gassen. Alaeddin Ali, völlig überrascht, ließ mobilmachen und ein kurzes, blutiges Gemetzel begann in Konya. Doch die Soldaten Alaeddins mussten feststellen, dass sie keinerlei Unterstützung von den Bürgern bekamen. Türen, Tore und Fenster waren fest verriegelt, es gab kein Haus, in das sie sich hätten flüchten können. Auch die steinernen Mauern des altehrwürdigen Mevlana-Klosters waren bald blutbesudelt. Die tanzenden Derwische hatten alle Klostertüren rings um das Grabmal des hochverehrten Mystikers und Erfinders des Tanzrituals, Dschelaleddin Rumi, verriegelt. Sie ließen die Trommeln spielen und drehten sich in Ekstase, um die Todesschreie nicht hören zu müssen.
Als Alaeddin Ali begriff, dass er verraten worden war, wollte er fliehen. Ein sinnloses Unterfangen. Er wurde überwältigt und zu Bayezid gebracht. Der hatte sich vor dem Eingang zur Alaeddin-Moschee auf dem Zitadellenberg installiert. Warum er, Alaeddin Ali, Herr von Karaman, ihm denn nicht untertan sein wolle, fragte er wütend seinen Schwager. Worauf Alaeddin trotzig antwortete, er sei ebenso ein König wie Bayezid. Darum!
Bayezid, innerlich wie äußerlich bebend, brüllte, man solle ihm diesen frechen Kerl endlich aus den Augen schaffen. Niemand traute sich, den Herrn anzufassen. Noch zweimal rief der Sultan wütend, dass man Alaeddin wegbringen solle. Schließlich trat der oberste Suppenkoch persönlich vor, packte Alaeddin und führte ihn ein Stück zur Seite. Dort zog er sein Schwert und enthauptete Alaeddin. Er reinigte sein Schwert und kehrte zu Bayezid zurück. Der wollte wissen, was mit Alaeddin Ali nun geschehen sei. Er habe ihn geköpft, erwiderte der Suppenkoch.
Der Wutausbruch Bayazids ließ die Mauern wackeln. Sofort, so befahl er, solle der Suppenkoch das Schicksal Alaeddins teilen. Sofort! Man führte den obersten Suppenkoch neben die Leiche Alaeddins und köpfte ihn. Das sollten sich alle eine Lehre sein lassen, rief Bayezid. Niemandem stünde es zu, einen mächtigen Herrn einfach so zu enthaupten. Egal, wie wütend er, Bayezid der Blitz, sei. Man habe zu warten, bis der Zorn Bayezids verraucht sei. Da aber nun mal der Herr Alaeddin Ali geköpft worden war und immer noch vereinzelte Gefechte in den Gassen stattfanden, ließ der Sultan Alaeddins Kopf auf einen Spieß stecken und durch die Stadt tragen. Alle sollten sehen, dass ihr Herr gefallen war und sich ergeben. Frieden kehrte in Konya ein und die Bewohner trauten sich langsam aus ihren Häusern.
Hans, Max und Yorick bummelten durch die Gassen. Von Gallipoli und Bursa hatten sie kaum etwas gesehen. Nun bestaunten sie die mehrstöckigen Gebäude, die Moscheen, die Zitadelle, die fremdartig gekleideten Menschen, die seltsam verzückt dreinblickenden Mönche der Mevlevi-Bruderschaft und als schließlich die ersten Marktstände wieder öffneten, auch die exotischen Auslagen. Wobei nur Hans und Yorick staunten, Max blieb teilnahmslos wie immer. Alles kam ihnen viel bunter vor als auf den heimischen Märkten in München oder Nazareth, wobei Yorick betonte, dass man ohnehin lieber den großen Markt im nahen Gent besucht habe als den mickrigen von Nazareth. Wegen der Belagerung waren Konyas Stände nicht übermäßig gefüllt. Vieles kannten sie schon von den Märkten ihrer Heimat, wie Pfeffer oder Zimt, die aber in München ein Zigfaches von dem kosteten, was man hier dafür verlangte. Hans entdeckte auch große Zitronatzitronen, eine äußerst exotische Frucht, die praktisch kein Fruchtfleisch enthielt und deren dickwandige Schale man kandierte. In München wurden sie wie Gold gehandelt. Anderes hatten sie durch ihren Speiseplan kennengelernt, wie die dunkelvioletten Auberginen. Hans fand ja, dass sie besser aussahen, als sie schmeckten. Es gab auch säckeweise Linsen in verschiedenen Farben und diese weißen länglichen Körner, die sie in gekochter Form gelegentlich mit der Suppe bekamen. Man nannte sie Reis. Hans mochte Reis, während Yorick Bulgur bevorzugte. Bei Max wusste man es nicht. Er aß einfach.
Sie kauften an einem Stand mit Backwaren köstliches, vor Honig triefendes Baklava mit grünen Pistazien, Letztere hatten sie noch nie irgendwo gesehen. Yorick schwor, nie wieder eine andere Nuss zu essen, denn Pistazien seien wohl das Göttlichste, was es an Nüssen gäbe. Da könnten Mandeln nicht mithalten.
Weil sich herumsprach, dass die mysteriösen Mönche des Mevlana-Klosters wieder ihren Drehtanz begonnen hatten, drängten sich die Soldaten ins Kloster, um dem Schauspiel beizuwohnen. Vor allem die Christen wie Hans und Yorick wollten sehen, wie sich die Männer in Ekstase brachten. Verrückte Tanzwut und Veitstänze kannte Hans auch aus seiner Heimat. Doch das waren entweder einzelne Personen, die Fallsucht hatten, oder fanatische Reigentänzer, die sich in Gruppen bis zur völligen Erschöpfung verausgabten und den heiligen Veit anriefen. Die Mönche hier drehten sich jedoch auf der Stelle im Kreis, jeder für sich mit seitlich ausgestreckten Armen. Der Andrang an Gaffern war so groß, dass der Sultan das Kloster räumen ließ und den Mönchen das Tanzen untersagte, solange die Truppen in der Stadt seien.
Am Abend fanden sie eine kleine Weinschenke, die noch nicht mit lärmenden Soldaten überfüllt war. Zwar gab es schon Gegenden, in denen die Auslegung des Koran allen Alkohol verboten hatte, doch Bayezids Reich gehörte zum Glück nicht dazu. Auf den Weinbergen, an denen sie auf ihrem Marsch nach Konya vorbeigekommen waren, rankten sich bereits die Triebe an den Stäben hoch. Der Wirt bewarb seinen angeblich vorzüglichen Wein, den er exklusiv aus einer Stadt namens Shiraz aus dem fernen Persien beziehen würde. »Nur Wein allein kann mich retten, kann vertreiben alle Angst und Herzenspein!«, rezitierte der Wirt eine Zeile des berühmten Dichters Hafez. Den Burschen, die von einem berühmten Dichter namens Hafez noch nie gehört hatten, war klar, dass er damit nur den Preis in die Höhe treiben wollte. Wein kannte Hans von Kindesbeinen an. Jeder in München trank Wein, denn was im Wasser war, wusste man nie genau. Man wusste zwar auch nie genau, was im Wein war, aber von verseuchtem Wein hatte Hans noch nie gehört, und es hatte in München noch nie eine Epidemie mit vielen Toten vom Wein gegeben – vom Wasser schon. Wenn kein Wein verfügbar war, braute der Vater gelegentlich ein Hausbier. Der Wein, den Hans aus München kannte, war in der Regel mit diversen Gewürzen versetzt. Dieser hier dagegen schmeckte nur nach Wein, was die Burschen ziemlich gewöhnungsbedürftig fanden. Aber Hauptsache, endlich einmal wieder Alkohol. Später kamen Musiker dazu, spielten fröhliche Lieder auf Zither, Spießgeige und Flöte. Man sang, tanzte und lachte. Da geschah ein kleines Wunder, denn Max, der wandelnde Tote, seufzte. Yorick hatte es nicht mitbekommen, wohl aber Hans, dem plötzlich ein Kloß im Hals saß. Dann begann Max die Finger seiner rechten Hand in der Luft zu bewegen, nur ein bisschen. Die Finger zuckten sanft, als würden sie Saiten zupfen. Hans begriff, dass Max Luftlaute spielte. Er musste sich wegdrehen.
Am nächsten Tag blieben etliche Ortas, darunter auch die von Hans Schiltberger, in Konya als Ordnungsmacht zurück. Den Rest des Heeres führte Bayezid nach Karaman, Alaeddin Alis Hauptstadt. Bayezid ließ den abgeschlagenen Kopf Alaeddins mitführen und vor dem Haupttor der Stadt aufstellen. Der Sultan forderte sofortige Unterwerfung. Nach einigen Stunden kam eine Delegation von vier vornehmen Bürgern aus der Stadt. Dass der Herr Alaeddin tot sei, sei äußerst bedauerlich, jedoch habe Alaeddin zwei Söhne in der Stadt, Mehmet und Bengi Ali. Man würde daher vorschlagen, einen der Söhne als Herrn von Karaman einzusetzen. Im Gegenzug würde man Bayezid als obersten König anerkennen und ihn in die Stadt lassen. Natürlich vorausgesetzt, der Sultan würde sie an Leib und Gut schonen.
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