Ich war mir keiner Schuld bewusst. Trotzdem hatte ich ein schlechtes Gewissen.
Schließlich kam die Antwort. Nicht vom Herrn Direktor. Nanu? Ich musste zweimal lesen, bis ich erfasste: »Der Herr Generaldirektor erwartet Sie am 2. Oktober um 15 Uhr zu einer Besprechung.« Das war ein schicksalsschwerer Brief: Sollte ich mich freuen? Oder würde mir von allerhöchster Stelle eine Strafpredigt gehalten werden? Mein Gewissen war infolge der langen Wartezeit immer schlechter geworden.
15.10 Uhr. »Der Herr Generaldirektor lässt bitten.« Wie furchtbar das klang!
Der Weg war endlos lang. Ich glaube, nach China ist er kürzer. Man hat von Diktatoren gelesen, dass sie über ein Arbeitszimmer verfügen, dessen Durchschreitung einem Canossagang gleichkommt. Mir ging es ähnlich. Ich wurde klein und immer kleiner. Ich dachte: Du hättest die Reisekosten nicht erhöhen sollen. Verringern hättest du sie sollen, du Tor!
Dann hörte ich wie aus weiter Ferne eine Stimme: »Die Ergebnisse Ihrer Indienreise haben uns recht befriedigt.«
Ich verbeugte mich stumm.
»Aber nun haben wir genug Werbung für unser Motorrad gehabt.« Der Herr Generaldirektor machte eine Kunstpause, (während der mir das Herz endgültig in die Hose rutschte) und dann fuhr er fort: »Muss es unbedingt ein Motorrad sein? Warum wollen Sie eigentlich keinen Wagen nehmen?«
Das »Eigentlich« des Generaldirektors half mir.
Ja, warum eigentlich nicht? Ich riss mich zusammen und sagte: »Das wäre ein großartiger Plan, kühner als ich ihn je geträumt habe.«
Der Generaldirektor lächelte. »Wir sehen das Problem aus einer größeren Perspektive. Unser neues Modell Steyr 100 liegt uns am Herzen. Es soll sich in der Welt bewähren. Trauen Sie sich zu, unser neues Modell durch China zu steuern?«
»Ja, Herr Generaldirektor.«
»Die von Ihnen genannten Kosten würden sich natürlich für den Wagen entsprechend erhöhen.«
»Ja, Herr Generaldirektor.« (Es war wie im Märchen.)
»Sagen wir das Doppelte des Vorschlages von Ihrem Exposé?«
»Ja, Herr Generaldirektor.« (So etwas kommt eigentlich nur im Kino vor.)
»Wir legen aber größten Wert auf Serienmäßigkeit. Nichts darf mechanisch verändert werden! ›Herr Jedermann‹ muss das Gefühl haben, auch er könne mit einem Steyr 100 nach China fahren.«
»Ja, Herr Generaldirektor.«
»Wann wollen Sie fahren?«
»Im Mai«, sagte ich aufs Geratewohl. Jetzt nur keine Unsicherheit zeigen.
»Gut. Bis dahin erhalten Sie eine Limousine unserer neuen Type, damit Sie sich mit dem Wagen vertraut machen können. Alles Weitere besprechen Sie mit Direktor X, Direktor Y und Ingenieur Z. Viel Glück!«
Die Unterredung hatte etwa zehn Minuten gedauert. Ich wankte aus dem Saal hinaus. Im Kopf schwirrte es: im Auto nach China, Reisekosten zuerst schon erhöht, dann nochmal verdoppelt, Limousine zum Privatgebrauch …
Im Auto vom Mittelmeer zum Gelben Meer!
Ist das leichter oder schwerer als mit dem Motorrad? Ich wusste es selbst nicht.
Die prächtige Limousine • Wer fährt mit? • Der richtige Partner • Helmuth
Hahmann, Chefingenieur und Kameramann • Karosserie nach eigenen Ideen •
Expeditionsgepäck in Hülle und Fülle • Aber die Erleuchtung kam zu spät
Ich war noch wie betäubt und wusste nicht, ob ich mich freuen sollte. Im Resselpark, hinter dem Verwaltungsgebäude der Steyr-Daimler-Puch AG, stürmten die Gedanken auf mich ein. Lach ein bissl, drängten sie. Jetzt wirst du dir nicht mehr die Knie zerschinden und die Waden verbrennen am heißen Auspuff und Gepäck kannst du mitnehmen, soviel du willst! Sogar den Tennisschläger! Du bist ein Schuft, mahnten sie dann gleich darauf; hat dich dein Motorrad nicht treu und brav bis nach Indien gebracht? War es nicht dein guter Freund? Und jetzt lässt du es im Stich! Dieser Gedanke war mir schmerzlich. Denn ich war verliebt in mein Motorrad, in die vielen gemeinsamen Erinnerungen und auch in seine kraftvolle Sprache. Ob dem Motor zu heiß war oder zu kalt, ob er freudig arbeitete oder widerwillig, ob das Benzin gut war oder schlecht, ob ihn ein geheimnisvolles Leiden zu quälen begann, das alles sagte mir sein Klang. Und nun sollte ich mein sprechendes Motorrad mit einem lautlosen Automobil vertauschen. Das war mir neu und fast unheimlich. Außerdem konnte ich nicht Autofahren.
Das Motorrad beherrschte ich, das Auto war ein großes Fragezeichen und in ein paar Monaten sollte ich damit nach China fahren …
Der Generaldirektor musste ein beachtliches Vertrauen haben. Er dachte sich wohl: Auto oder Motorrad ist im Grunde dasselbe. Viele Leser dieses Buches werden ähnlicher Auffassung sein.
Ich war es von allem Anfang nicht und versuchte mich umzustellen. Trotzdem beging ich einige prinzipielle Fehler, die mir auf der Reise zu schaffen machten. Das wird sich im Näheren noch zeigen.
Während ich so durch den herbstlichen Resselpark wanderte und der Zweifel an mir nagte, sah ich die Vision des Expeditionswagens in der Wüste, im Dschungel, in China und schließlich eine glückliche Heimkehr. Hatte ich nicht immer einen guten Stern gehabt? Meine Mutter behauptete es. Und war es nicht mehr als ein Zufall, dass ich gerade heute, am 2. Oktober, zum Generaldirektor bestellt worden war? An meinem Geburtstag!
In den folgenden Monaten hatte ich reichlich zu tun. Wie durch ein Wunder war mir der »Knopf zum Studium« aufgegangen und ich legte eine Prüfung nach der anderen ab. Ich machte schnell den Führerschein und übte fleißig. Urkomisch eigentlich: Jemand wird mit einer Auto-Expedition betraut und kann nicht Autofahren …
Die Limousine, die der Herr Generaldirektor »zum Üben« bereitstellen ließ, war der letzte Schrei der Automobil-Technik: ein robuster Motor, Vier-Zylinder, 1360 ccm, 32 PS, in einem sehr soliden Rahmen mit Schwingachsen an allen Rädern, Öldruck-Bremsen und Zentralschmierung. Der Druck auf ein Pedal genügte und alle Gelenke wurden gleichzeitig mit Öl versorgt. Die Karosserie war die erste serienmäßige Stromlinien-Karosserie der Welt und die beiden Türen auf jeder Seite wurden durch keinen Mittelpfosten eingeengt. Der »Hunderter Steyr« war genial. Konstruktion des Porsche-Schülers Ing. Jentschke in den Steyr-Werken.
Für die Expedition hatte ich mir vom Werk nur das Chassis erbeten. Bezüglich des Aufbaues wollte ich meine eigenen Ideen verwirklichen: Auf die damals üblichen Trittbretter, die den Fahrgastraum in seiner Breite einschränken, verzichtete ich und nützte die ganze Breite, um drei Sitze nebeneinander unterzubringen. Fast nebeneinander, muss ich verbessern, denn der mittlere Sitz war um etwa einen Viertel Meter zurückgesetzt. Das gab für alle drei mehr Schulterraum und außerdem war trotz Schalt- und Bremshebel in der Mitte genügend Platz für die Beine des Mittelsitzers. Diese Anordnung ergab ferner, dass hinter den beiden Außensitzenden zwei sehr praktische Kästen für Kleinkram angeordnet werden konnten. – Auf Türen verzichtete ich zur Gänze. Zwei, wie mir schien, sehr elegante Ausnehmungen in den Seitenwänden, an deren »Schwung« ich lange und mit Liebe gezeichnet hatte, ermöglichten einen erträglich bequemen Einstieg. Das Ganze sah, wie später festgestellt wurde, einem Jeep recht ähnlich. Freilich, der Jeep ist erst 5 Jahre später erfunden worden.
Warum drei Sitze: um dann und wann einen Begleiter oder Dolmetscher mitnehmen zu können. Eine Zeit lang fuhr sogar ein amerikanischer Arzt mit uns.
Im hinteren Teil des Wagens war viel Platz für Wassertanks, Benzinkanister, Ersatzteile und persönliches Gepäck. Es war sogar zu viel Platz vorhanden! Dadurch wurde ich verleitet, nach der Kargheit auf den beiden Motorradreisen, nun den Maßstab zu verlieren und manchen Luxus an Bord zu nehmen, den ich jetzt glaubte, mir leisten zu können. Das gab Schwierigkeiten! Der Wagen war nun mit Ersatzteilen und persönlichem Kram schwer überladen. Dieser entscheidende Fehler hätte die Expedition fast zum Scheitern gebracht.
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