ROBERT A. HEINLEIN
WELTRAUMMOLLUSKEN EROBERN DIE ERDE
Besaßen sie wirklich Verstand? Einen eigenen - meine ich!
Ich weiß es nicht, und ich habe auch keine Ahnung, wie wir das je ergründen könnten.
Wenn sie keinen eigenen Verstand hatten, dann hoffe ich nur, daß wir es nie mit solchen ihrer Art zu tun bekommen, die einen haben. Wer dann verliert, ist mir klar: Ich - du - ja, das ganze sogenannte Menschengeschlecht.
Für mich begann die Geschichte am 12. Juli, 0.07 Uhr, als mein Telefon mitten in der Nacht so schrill und pausenlos surrte, daß ich wahrhaftig meinte, mir werde die Haut vom Schädel gezogen. Denn man muß wissen, daß das Funkgerät, das in meiner Abteilung Verwendung findet, von der üblichen Form abweicht, insofern nämlich, als ein Chirurg den Empfänger hinter meinem rechten Ohr unter die Haut eingebettet hat, wobei der Schall vom Knochen weitergeleitet wird. Ich tastete zunächst an mir herum, dann fiel mir ein, daß ich den Sprechapparat in meiner Jacke am anderen Ende des Zimmers gelassen hatte. »Schon gut«, brummte ich. »Schaltet bloß den verdammten Radau ab, ich höre euch ja!«
»Alarmstufe eins!« rief eine Stimme in meinem Ohr. »Sofort zur persönlichen Meldung!«
Versteht sich, daß ich dem Sprecher unverblümt erklärte, was ich von seiner Dringlichkeit hielt.
»Mecker nicht!« fuhr die Stimme fort, »und melde dich beim Alten!«
Das war etwas anderes. »Bin schon unterwegs«, erwiderte ich diensteifrig. Dann eilte ich ins Bad, jagte mir ein Gran >Gyro< in den Arm und ließ mich vom Vibro durcheinanderschütteln, während die Spritze dafür sorgte, daß alles wieder richtig zusammenkam. Als neuer Mensch oder zumindest als eine täuschend gute Nachahmung kam ich wieder heraus und griff nach meiner Jacke. Ich betrat das Büro unserer Abteilung durch die Kabine eines Waschraums der McArthur-Station. Man suche unsere Büros nicht im Telefonbuch. Sie sind amtlich nicht vorhanden. Alles ist getarnt.
Wie gut die Spionageabwehr arbeitet, kann kein Regierungschef eines Landes genau wissen. Er merkt es erst, wenn die Organisation versagt hat. Daher unsere Abteilung, denn doppelt hält besser. Weder die Vereinten Nationen wußten von uns, noch der Staatliche Geheimdienst; ich nehme es wenigstens an. Im übrigen beschränkten sich auch meine Kenntnisse ausschließlich auf das, was ich während der Ausbildung gelernt hatte, und auf die Aufträge, für die mich der Alte einsetzte.
Als ich eintrat, hinkte er auf mich zu und verzog das Gesicht zu einem boshaften Lächeln. Mit seinem kahlen Schädel und der kräftigen Römernase sah er aus wie eine Kreuzung zwischen Satan und Kasperle.
»Willkommen, Sam«, sagte er. »Tut mir leid, daß ich dich aus dem Bett geholt habe.«
Der Teufel hol mich, wenn's dem leid tut, dachte ich. So entgegnete ich nur kurz: »Ich hatte Urlaub.«
»Ach! Aber den hast du immer noch. Wir machen Ferien.«
Was er Ferien nannte, war mir nie geheuer, darum biß ich auch auf den Köder gar nicht erst an. »>Sam< heiße ich also jetzt«, antwortete ich. »Und wie noch?«
»Cavanaugh. Und ich bin dein Onkel Charlie -Charles M. Cavanaugh im Ruhestand. Hier ist deine Schwester Mary.«
Ich hatte schon bemerkt, daß noch jemand im Zimmer war, aber wo auch immer der Alte auftrat, nahm er stets nach Belieben die ganze Aufmerksamkeit gefangen. Immerhin beguckte ich mir jetzt meine >Schwester<. Es lohnte sich.
Mary war groß und schlank, dabei jedoch nicht ohne weibliche Formen. Sie hatte ausgesprochen schöne Beine und für eine Frau auffallend breite Schultern. Das Haar war flammend rot und gewellt, der Schädel, nach Art eines echten Rotschopfes, stark aus geprägt. Ihr Gesicht war eher hübsch als schön zu nennen; sie musterte mich, als ob ich nichts anderes als eine Hammelkeule wäre.
Am liebsten hätte ich einen Flügel eingezogen und wäre vor Wut im Kreis herumgelaufen. Der Alte merkte das offenbar, denn gleich darauf sagte er begütigend: »Aber schau, Sammy. Deine Schwester liebt dich zärtlich, und du bist ihr herzlich zugetan, wenn auch auf eine natürliche, eindeutige und zum Verzweifeln ritterliche Weise, wie es sich für einen Amerikaner geziemt.«
»So schlimm sieht's aus?« fragte ich, kein Auge von meiner >Schwester< wendend.
»Noch viel schlimmer.«
»Na schön denn! Grüß dich >Schwesterlein<. Ich freue mich, deine Bekanntschaft zu machen.«
Sie streckte mir eine Hand entgegen. »Hallo, Junge«, sagte sie mit tiefer Altstimme. Auch das noch! Hatte mir gerade noch gefehlt. Zum Teufel mit dem Alten!
Der aber fuhr fort: »Ich möchte noch hinzufügen, daß du deiner Schwester so treu ergeben bist, daß du mit Freuden sterben würdest, um sie zu beschützen. Ich sage dir das zwar nicht gern, Sammy, aber deine Schwester ist, zumindest im gegenwärtigen Augenblick, für die Organisation von weit größerem Wert als du.«
»Ich verstehe«, bemerkte ich. »Also gut. Wann geht’s los?«
»Geh lieber erst einmal in den Schönheitssalon; dort haben sie ein neues Gesicht für dich.«
»Warum nicht gleich einen neuen Kopf? Auf Wiedersehen, Schwesterlein!«
Ganz so schlimm wurde es nicht, aber sie bauten mir einen neuen Funkapparat ein und klebten Haare darüber. Dann gaben sie meinem Schopf dieselbe Farbe wie die meiner neuen Schwester, bleichten mir die Haut und bastelten an meinen Backenknochen herum. Als ich in den Spiegel schaute, glaubte ich fast, meine Schwester vor mir zu haben. Vor allem hatte es mir das Haar angetan, dessen ursprüngliche Farbe ich mir überhaupt nicht mehr vorzustellen vermochte. Sah Mary tatsächlich so aus wie ich jetzt? Ich hoffte es.
Nachdem ich noch die entsprechenden Kleider angezogen hatte, reichte mir irgendwer ein bereits gepacktes Köfferchen. Auch der Alte hatte sich offensichtlich zurechtmachen lassen. Seine Glatze war nun mit krausen rötlich-weiß schimmernden Locken bedeckt. Das Gesicht war ebenfalls verändert. Wir sahen eindeutig blutsverwandt aus und gehörten alle drei dem merkwürdigen Schlag der Rothaarigen an.
»Komm jetzt, Sammy«, sagte er. »Im Flugwagen erzähle ich euch mehr.«
Ich saß am Steuer, während der Alte redete. Als wir außerhalb des örtlichen Kontrollbereichs waren, befahl er mir, die Maschine auf automatischen Kurs einzustellen. Dann gesellte ich mich zu Mary und, > Onkel Charlie<, die in der Reisekabine Platz genommen hatten. Dort erfuhren wir von dem Alten unseren neuen Lebenslauf. »Wir sind also eine glückliche Familie auf Reisen«, schloß er, »und wenn uns zufällig etwas Ungewöhnliches begegnet, müssen wir uns dementsprechend verhalten - wie neugierige, unzurechnungsfähige Touristen.«
»Aber worum geht es eigentlich?« fragte ich. »Oder sind wir nur ein Spähtrupp?«
»Hmmm - möglich.«
»Na schön. Aber falls man stirbt, wäre es ganz nett zu wissen, wofür.«
Der Alte musterte mich; plötzlich meinte er: »Sam, hast du schon von fliegenden Untertassen gehört?«
»Den Ufoblödsinn, an den man vor dem Umsturz glaubte? Das waren damals doch nur Massenhalluzinationen.«
»Wirklich?«
»Nun, die Statistik anomaler Seelenzustände ist zwar nicht mein Steckenpferd, aber ich erinnere mich dunkel an eine Gleichung. Die ganze Zeit war damals seelisch zerrüttet; ein Mensch, der noch alle fünf Sinne beisammen hatte, wäre hinter Schloß und Riegel gesetzt worden.«
»Und jetzt sind die Menschen normal, wie?«
»Das möchte ich nicht unbedingt behaupten«, erwiderte ich, weiter in meinem Gedächtnis kramend, um die Gleichung zu finden. Und da war sie auch plötzlich. »Jetzt erinnere ich mich genau - es war Digbys Integral zur Errechnung von Daten zweiter und höherer Ordnung. Nachdem man die Fälle ausgeschieden hatte, die sich natürlich erklären ließen, ergab sich mit einer Gewißheit von 93,7 Prozent, daß die Mär von den fliegenden Untertassen eine Wahnvorstellung war. Diese Zahl ist mir darum im Gedächtnis haften geblieben, weil es der erste Fall seiner Art war, bei dem man die Angaben planmäßig gesammelt und ausgewertet hatte. Auf Befehl der Regierung - Gott weiß warum.«
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