Sie ging zu einer Stelle, wo ein Stück Wellblech die morschen Dielen bedeckte.
»Sehen Sie, was ich gefunden habe«, sagte sie, während sie das Blech etwas anhob.
Das fahle Licht genügte, um auf Anhieb zu erkennen, was sich in der großen Vertiefung darunter befand. Die Plastiksäcke mit bunten Tabletten, braunem und weißem Pulver waren kaum zu verwechseln.
»Rauschgift«, murmelte er überrascht.
Rauschgift war tägliches Brot in den Banlieues, aber er hatte etwas anderes erwartet.
»Heroin, Crack, und wie das Dreckszeug noch heißen mag«, ereiferte sie sich. »Das macht mir Angst.«
Dazu hatte sie allen Grund, doch diesen Gedanken behielt er für sich. Schweigend betrachtete er das Drogenlager und fragte sich, wie viel Geld hier wohl liegen mochte. Das Gramm Heroin war auf der Straße für etwa dreißig Euros zu haben, falls er sich richtig erinnerte. Hier lagen mindestens zwanzig Kilogramm.
»Basem ist doch ein anständiger Mensch«, klagte Amira. »Was soll ich jetzt tun?«
Die Millionenfrage blieb unbeantwortet. Stimmen näherten sich dem Schuppen. Starr vor Schreck blickten sie sich an. Zwei Männer unterhielten sich an der Tür.
»Basem«, flüsterte Amira entsetzt. »Er kontrolliert das Lager. Verstecken Sie sich!«
Hastig schob sie das Blech an den ursprünglichen Platz und rannte zum Bretterstapel. Ihm blieb nur noch Zeit, unter den Tisch zu kriechen, bevor die Tür aufflog.
»Amira!«, rief einer der Männer.
»Was hat die hier zu suchen?«, fragte eine tiefere Stimme.
Jochen Preuss atmete auf unter dem Tisch. Keine der Stimmen gehörte dem unerbittlichen Mohammed Hamidi.
»Müsst ihr mich so erschrecken?«, fragte Amira scheinbar ruhig.
Preuss beobachtete, wie einer der Männer auf sie zutrat.
»Was tust du hier?«
Seine Stimme klang eher besorgt als misstrauisch.
»Das siehst du doch, Basem. Ich suche Material für eine Arbeit.«
Jochen Preuss konnte die Frau nur bewundern für ihren Mut und kühlen Verstand. Seine Erleichterung währte jedoch nicht lange. Die Beine des zweiten Mannes schritten schnell auf ihn zu. Neben den Beinen baumelte eine Hand. Sie umklammerte eine kompakte Maschinenpistole, als wäre sie angewachsen. Preuss hielt den Atem an. Der Mann stand keinen Meter entfernt, als er ausrief:
»Verfluchte Ratte!«
Auf Arabisch hörte sich der Fluch wie Peitschenhiebe an. Mit einem Satz sprang der Unbekannte weg und stampfte auf das Blech, dass die Dielen krachten.
»Lass das, wir räuchern sie aus«, rief Basem lachend.
Schimpfend trottete sein Kumpan zurück und verschwand zur Tür hinaus. Von diesem Tag an liebte Jochen Preuss die Ratten. Kaum war der Mann fürs Grobe außer Sichtweite, umschlangen sich Basem und Amira wie zwei ausgehungerte Teenager. Da ist guter Rat teuer , dachte er, auf ein schnelles Ende der Zärtlichkeiten hoffend. Sein Rücken rebellierte gegen die verkrampfte Haltung, und die Muskeln in den Beinen wollten endlich gestreckt werden.
Ein Ruf von draußen trieb die beiden auseinander.
»Geh nur, ich schließe dann zu«, sagte Amira.
Preuss wartete mit angehaltenem Atem, bis sich die Stimmen entfernten, bevor er sich aus dem Versteck wagte. Ächzend streckte er die Glieder, beglückwünschte Amira zu ihrer Geistesgegenwart und meinte mit schiefem Grinsen:
»Ich bin eindeutig zu alt für solche Späße.«
Sie sah ihn an, als hätte er den Verstand verloren.
»Wenn Mohammed dabei gewesen wäre, hätten wir beide es nicht überlebt«, sagte sie mit bebender Stimme.
Er schüttelte lächelnd den Kopf. »Wir wollen mal nicht übertreiben«, versuchte er zu beruhigen, obwohl er ahnte, dass sie nicht übertrieb.
Wie zwei Kinder mit schlechtem Gewissen in Nachbars Garten schlichen sie ins Haus zurück. Bevor er sich verabschiedete, erinnerte er sich an ihre Frage. Er drückte ihre Hand länger als üblich und sagte mit ernstem Gesicht:
»Sie müssen sich entscheiden, Amira. Basem ist in eine schlimme Sache geraten. Reden Sie ihm ins Gewissen. Versuchen Sie, ihn dem schlechten Einfluss Mohammed Hamidis zu entziehen, sonst reißt er sie eines Tages mit in den Abgrund.«
Sie senkte die Lider und flüsterte tonlos: »Ich weiß.«
»Keine Angst, ich werde schweigen wie ein Grab, wie versprochen«, versicherte er beim Verlassen des Hauses.
Er durfte den Kontakt zu Amira und den Jugendlichen in ihrer Einrichtung nicht aufs Spiel setzen, indem er die Drogenfahnder auf sie hetzte. Auch nicht bei zwanzig Kilo Heroin.
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