1 ...8 9 10 12 13 14 ...18 »Ist das eine Art Geheimsprache?«, fragte sie irritiert.
Preuss lachte. »Könnte man sagen. Keine Sorge, die beiden sind harmlos. Sie passen auf mein Auto auf.«
»Ihr Vertrauen möchte ich haben.«
Er stieß die Tür auf. Lebhaftes Geplauder empfing sie.
»Schade, dass Ihr Verlobter nicht mitkommen konnte«, sagte Preuss.
Sie zuckte die Achseln. »Ich weiß nicht … Er hat es nicht so mit dem Sozialen, und er muss wirklich an seinem Referat für Algier arbeiten. Ich frage mich, wieso die den Ärztekongress ausgerechnet in Algerien durchführen müssen.«
»Die Veranstaltung hat Symbolcharakter. Nach dem arabischen Frühling will sich Algerien als stolze, fortschrittliche Nation präsentieren. So ein hochdotierter Ärztekongress bringt willkommenes Prestige – und Devisen.«
Eine Frau um die fünfundzwanzig mit weißem Kopftuch und auffallend großen, schwarzen Augen kam ihnen entgegen. Preuss stellte sie vor:
»Das ist Amira Saidi. Sie ist Lehrerin und die gute Seele dieser Einrichtung. Amira, das ist Dr. Chris Hegel. Sie ist zu Besuch und interessiert sich für unsere Arbeit hier.«
Amira schüttelte ihr lächelnd die Hand und hieß sie willkommen.
»Es herrscht gerade ein ziemlicher Betrieb«, entschuldigte sie die lautstarke Unterhaltung im Hintergrund. »Die Schüler haben die Ergebnisse der Vorprüfung bekommen.«
»Das ist also eine Schule?«, fragte Chris mit einem Blick auf Jochen Preuss. Ihr Französisch klang etwas eingerostet, aber doch verständlich.
»So etwas Ähnliches«, antwortete er. »Amira und ihre Kollegen bemühen sich, jungen Leuten eine zweite Chance zu geben. Es sind Schulaussteiger und Kinder, die wegen ihres Immigrationshintergrundes besondere Schwierigkeiten haben. Diesen jungen Leuten geben Amira und die andern zwei Lehrer gratis Nachhilfeunterricht.«
»Sie werden vom Staat unterstützt, nehme ich an«, fragte Chris die gute Seele.
Amira lächelte säuerlich. »Ein wenig, und es wird immer weniger. Schulen, vor allem diese Art Einrichtungen für Benachteiligte, sind immer das erste Ziel von Sparübungen. Wir hätten längst aufgeben müssen ohne Monsieur Preuss.«
»Ach, Sie sind der Sponsor?«
Jochen Preuss schüttelte den Kopf. »Das würde meine finanziellen Möglichkeiten bei Weitem übersteigen. Ich – koordiniere lediglich.«
»Sie sind zu bescheiden, Monsieur«, widersprach Amira. Zu Chris gewandt, sagte sie: »Monsieur Preuss hat sehr gute Verbindungen in den Süden, wo die Reichen von Marseille wohnen. Er sorgt dafür, dass Sponsorgelder fließen.«
»Man tut, was man kann«, wehrte Preuss bescheiden ab. »Erst habe ich versucht, den jungen Leuten selbst etwas Kunstverständnis beizubringen. Damit bin ich aber kläglich gescheitert. Es ist wichtiger, dass die Kinder erst mal richtig Französisch lernen. Schöne Künste sind dann die nächste Kulturstufe.«
Chris war sprachlos. Jochen Preuss wandelte sich gerade vom etwas redseligen, geruhsamen Rentner zum seriösen Sozialarbeiter, der nicht nur Kinder unterstützte, die sonst auf der Straße landen würden, sondern auch Amira und ihren Kollegen bezahlte Arbeit verschaffte. Sie verstand immer weniger, weshalb seine Frau Manon nichts davon wissen wollte.
»Ich müsste kurz etwas mit Amira besprechen«, sagte er, »dauert nicht lang. Sehen Sie sich in der Zwischenzeit ruhig um.«
Die beiden zogen sich in die Nische mit dem antiken Computer zurück, die als Büro diente. Neugierig schlenderte sie in die Richtung, aus der das Stimmengewirr kam. Eine Gruppe Jungs hatte sich um ein Tischfußballspiel versammelt. Erst beachtete sie niemand, doch plötzlich stockte das Spiel. Grinsende Gesichter drehten sich ihr zu. Ein anzüglicher Pfiff provozierte Gelächter, als hätte sie ein Eigentor versenkt.
»Hallo Jungs«, grüßte sie salopp, bemüht, ihre Überraschung zu verbergen.
Einige der ›Kinder‹ waren bereits junge Erwachsene, deren Blicke ihr ungeniert zu verstehen gaben, dass sie perfekt in ihr Beuteschema passte.
»Darf ich mitspielen?«, fragte sie mit gezwungenem Lächeln.
Die Frage löste eine kurze, heftige Kontroverse aus. Halb französisch, halb arabisch stritten sich die beiden Teams darum, wer den Platz für sie räumen musste, angestachelt von Buhrufen und dem Gelächter der Zuschauer. Schließlich setzte sich der junge Mann durch, der gut pfeifen konnte.
»Enttäusch mich nicht!«, warnte er zwischen den Zähnen, bevor das Spiel weiterging.
Kaum rollte der Ball das erste Mal zwischen ihren Spielern durch, erstarrten die jungen Leute mit einem Schlag. Niemand bewegte sich und eisiges Schweigen herrschte wie in Dornröschens Schloss nach dem Stich der giftigen Spindel. Ein Mann mit Wollkappe und dichtem schwarzem Bart trat auf ihren Spielpartner zu, ohne sie zu beachten. Er fixierte ihn mit stechendem Blick aus dunklen Augen und packte ihn am Kragen, als wäre er ein bockiger Welpe. Er schleuderte ihm ein paar zornige Wörter auf Arabisch an den Kopf und zerrte ihn hinaus, ohne dass der Teenager sich wehrte. Auch sonst rührte sich niemand. Keiner wagte, den Mund zu öffnen, bis die beiden im Korridor verschwanden. Verdutzt ließ sie die Griffe am Spieltisch los und setzte ihnen nach. Der Bärtige redete verärgert auf den Jungen ein, der ihm zahm folgte. Wenigstens wandte der Ältere keine Gewalt an. Trotzdem wollte sie wissen, was vor sich ging. Sie kam nicht dazu, ihn zu fragen. Jochen Preuss stand plötzlich im Flur, gab ihr ein beruhigendes Zeichen und stoppte den Bärtigen mit dem Ruf:
»Mohammed!«
Die Männer kannten sich. Mohammed machte seinem Ärger mit einem arabischen Redeschwall Luft, gestikulierte dabei und zeigte mehrfach auf sie mit einem Gesicht, als hätte er ein faules Ei verschluckt. Preuss beschwichtigte ihn freundlich, aber bestimmt. Dabei sprach er fließend arabisch wie der Bärtige. Nach eingehender Diskussion beruhigte sich der Mann. Der Junge durfte gesenkten Hauptes zu seinen Kameraden zurückkehren, während der Bärtige das Haus verließ.
»Wer war das?«, fragte sie Preuss später im Auto.
Er fuhr nachdenklich ein Stück weiter, bevor er antwortete:
»Mohammed Hamidi, ein streng gläubiger Moslem. Er sorgt sich um die moralische Integrität seines jüngsten Bruders. Wahrscheinlich hat ihn die Wache alarmiert.«
»Alarmiert? Weshalb denn? Welche Wache?«
Er schmunzelte. »Die Teenager, die auf das Auto aufpassen. Wie alle haben sie größten Respekt vor Mohammed Hamidi.«
Sie hätte sich anders ausgedrückt. Was sie gesehen hatte, drückte weniger Respekt als pure Angst aus. Der Bärtige schien so etwas wie der Herrscher des Viertels zu sein. Sie behielt den beunruhigenden Gedanken für sich, sagte stattdessen:
»Monsieur Hamidi schien nicht gerade angetan zu sein von meiner Anwesenheit.«
»Na ja – wie gesagt, er ist streng gläubiger Moslem. Er war etwas schockiert, seinen Bruder neben einer Frau im Trägerleibchen mit sommerlichem Ausschnitt zu sehen.«
Sie konnte nicht glauben, was sie hörte. »Ich dachte, wir sind in Marseille, nicht in Saudi-Arabien«, murmelte sie betroffen.
»Marseille hat viele Facetten, wie alle Großstädte. Wie auch immer, es ist ja nichts passiert. Er hat sich beruhigt, nachdem ich ihm erzählt habe, wie wichtig Sie als Sponsorin für uns sind.«
Sie lachte laut auf, kramte einen Zwanzig-Euro-Schein aus der Tasche und legte ihn aufs Armaturenbrett.
»Damit Ihr Schwindel nicht so schnell auffliegt«, erklärte sie dazu. »Wie kommt es, dass Sie so gut Arabisch sprechen?«
»Ich habe es gelernt«, grinste er, »in Paris an der Sorbonne. Dort habe ich vor hundert Jahren Orientalistik studiert. Ich war immer fasziniert von der Sprache und Kultur der arabischen Welt, was mir auch den Spitznamen ›l’arabe‹ eingetragen hat. An der Uni in Paris habe ich übrigens Manon kennengelernt.«
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