1 ...7 8 9 11 12 13 ...18 Ihr nackter Körper schien ihn nicht zu irritieren. Strahlend schaute er ihr in die Augen und wartete auf ihre Frage.
»Eine versteckte Kamera?«, spekulierte sie.
»Besser. Komm mit, ich zeige es dir.«
Er ließ ihr keine Zeit, sich anzuziehen, zog sie mit sich ins Erdgeschoss hinunter, in eine Kammer, fast so groß wie das Wohnzimmer. Dort blieb er andächtig stehen.
»Und – was sagst du?«
»Ich hätte es mir denken können. Die Küche … Darf ich dich darauf aufmerksam machen, dass der Kühlschrank leer ist – falls du zu kochen gedenkst?«
Er schüttelte ungeduldig den Kopf. »Darum geht es nicht, sieh dich doch um! Fällt dir nichts auf?«
»Sieht alles ziemlich unbenutzt aus.«
»Das auch, aber die Ausstattung. Wer diese Küche eingerichtet hat, muss ein wahrer Meister sein. Mein Gott, das ist ein professioneller Dampf-Kombi-Backofen! Ein Wasserbad mit Thermostat für ›sous-vide‹ Kochen, ein Vakuumiergerät …«
»Fehlt nur noch der flüssige Stickstoff«, bemerkte sie trocken. »Eine tolle Küche hast du da, echt. Darf ich mich jetzt anziehen?«
Jamies Entdeckung diente auch als Einstieg in die Unterhaltung auf dem Sitzplatz der Preussens im Schatten der Pergola am Wasser. Chris fürchtete, ihr ›Verlobter‹ würde die zierliche, fast zerbrechliche Manon Preuss in ein abendfüllendes Fachgespräch über moderne Kochkunst verwickeln. Sie beruhigte sich auf der Stelle, als Mrs. Preuss misstrauisch fragte:
»Sind die Geräte auch angeschlossen?«
Jochen Preuss lachte ob dem verblüfften Gesicht des Gastes.
»Sie müssen wissen: Wir reiten eher auf der Mikrowelle«, erklärte er.
»Das wäre allerdings eine ganz neue Erfahrung für unsern Dr. Roberts«, lachte Chris.
Sie versuchte, das Gespräch unauffällig in die Richtung zu lenken, wo sie mehr über die Preussens und Staatsanwalt Richters Bekannten im BND erfuhr, ohne allzu viel über sich selbst preiszugeben. Sie war gut in dieser Übung und verfügte über reiche Erfahrung, aber bei Preuss biss sie auf Granit. Der Mann war auf der Hut, wehrte alle Versuche, in seine Geheimnisse einzudringen, elegant ab. Sie erfuhr lediglich, dass die beiden sich schon vor einer Ewigkeit in Port Grimaud niedergelassen hatten, zu einer Zeit, als man die Häuser hier noch nicht mit Gold aufwiegen musste.
»Heutige Preise können sich nur noch reiche Russen und Araber leisten«, meinte Manon Preuss dazu.
Jamie deutete auf die Luxusjachten an den Kais und sagte mit ironischem Lächeln:
»Hier gibt es wohl keine Rezession.«
Jochen Preuss nickte. »So ist es«, wir leben auf einem andern Planeten.«
»Außer montags und samstags«, schränkte seine Frau ein.
»Ja, am Samstag geht‘s normalerweise auf den Markt, da gibt’s gewöhnliche Menschen, und Montag ist unser freier Tag.«
»Sie sind doch in Rente«, warf Chris überrascht ein. »Ist da nicht jeder Tag ein freier Tag?«
Die beiden Gastgeber schmunzelten.
»Im Prinzip schon«, gab Jochen Preuss zu. »Unter frei verstehen wir allerdings etwas anderes.«
Manon brachte es auf den Punkt: »Frei vom Partner. Jeder tut, was er will, ohne dem andern Rechenschaft darüber abzulegen. Ich verbringe den Tag auf meine Art, und ich will nicht wissen, was Jochen am Montag in Marseille tut. So läuft es seit vierzig Jahren bei uns ohne Probleme.«
Interessanter Ansatz, dachte Chris. Im Grunde genommen verhielt es sich bei ihr und Jamie ähnlich, nur nicht beschränkt auf den Montag.
»Du weißt genau, womit ich mich in Marseille beschäftige«, korrigierte Jochen Preuss seine Gattin.
»Na ja – ich will aber nichts davon wissen.«
Ihr Mann wandte sich lächelnd an die Gäste. »Manon hat bloß Angst, dass mir eines Tages etwas zustößt in der Stadt des Verbrechens. Unnötige Angst, wie ich betonen möchte. Ich betreue dort ein wichtiges Projekt mit Jugendlichen aus der Unterschicht, das ist alles. Wissen Sie was? Ich nehme Sie beide einfach mit am Montag …«
»Bloß nicht!«, unterbrach Manon entsetzt.
Chris reagierte sofort.
»Das würde mich brennend interessieren«, versicherte sie, ohne sich um Jamies betroffenes Gesicht zu kümmern.
Es wäre die Gelegenheit, mehr über den redseligen und doch so verschlossenen Jochen Preuss zu erfahren.
Bethioua, Algerien
Mitternacht war vorbei. In den Häusern der kleinen Gemeinde Bethioua an der algerischen Küste brannten keine Lichter. Nur die riesige Industrieanlage im Westen war taghell erleuchtet, als die zwei vermummten Männer das Paket, schwer wie ein Koffer voller Steine, vorsichtig über die Rampe ins Schlauchboot rollten. Sie mussten möglichst jede Erschütterung vermeiden. So hatte man sie instruiert und daran hielten sie sich, ohne zu wissen, was sie transportierten. Sie sahen sich wortlos um, bevor sie die Leine lösten. Niemand hatte sie bemerkt. Der Jüngere der beiden startete den Motor. Er ließ die Maschine nur auf niedriger Stufe laufen, um möglichst wenig Lärm zu verursachen. Sie waren nicht in Eile. Die wenigen Kilometer schafften sie auch im Schneckentempo bis zum vereinbarten Zeitpunkt.
Ein Windstoß schleuderte das ›RIB‹ so heftig gegen die Holzpfähle des alten Docks, dass der Behälter hart an die Hülle des Boots prallte. Der Mann am Steuer ließ vor Schreck das Ruder fahren.
»Merde, der verfluchte Scirocco!«, rief er dem Pelikan hinterher, dessen Nachtruhe sie gestört hatten.
Der Wind sorgte für ungewöhnlich hohe Wellen. Unter normalen Umständen wären sie niemals bei diesem Wetter ausgelaufen, aber das Paket musste heute Nacht aufs Schiff, und die Bezahlung war besser als sonst.
»Halt das verdammte Ding fest!«, schrie er seinen Partner an, der tatenlos zusah, wie das Paket gefährlich hin und her rutschte.
In weitem Bogen kämpften sie sich durch die raue See dem Dock 3 des Flüssiggas-Terminals entgegen. Der Steuermann achtete darauf, nicht in den Lichtkegel der Scheinwerfer zu geraten. Die letzten Meter entschieden über Erfolg oder Misserfolg des Transports. Im schlimmsten Fall würden sie die Ladung ins Meer kippen, falls die Küstenwache unerwartet auftauchte. Das war bisher nur einmal mit einer Lieferung Koks geschehen. Ein Jahr lang mussten sie danach umsonst arbeiten, aber immerhin lebten sie noch.
Die Betankung der blauen ›Baleine‹ mit den leuchtend weißen Buchstaben ›LNG‹ am Rumpf war noch im Gang. Der Umstand erleichterte ihr Vorhaben, da die Aufmerksamkeit der Crew dem Terminal, der Pipeline und den Schläuchen und Ventilen für das Flüssiggas galt. Nur der Empfänger der Ware würde sich für sie interessieren.
Wie erwartet, öffnete sich backbords eine Luke, kurz bevor sie anlegten. Der Ladebaum schwenkte aus. Sie befestigten das Paket am Geschirr des Flaschenzugs, sahen zu, wie die Fracht im Bauch der ›Baleine‹ verschwand. Ohne ein Wort zu wechseln, legten sie wieder ab, erleichtert, das unheimliche Zeug los zu sein.
Kapitel 4
Marseille
Die ›Bonne Mère‹, Marseilles ›Gute Mutter‹, grüßte vom Kirchturm von Notre-Dame de la Garde, als Jochen Preuss den Mercedes am Zaun der Brache am Boulevard de la Méditerranée parkte.
»Manon würde uns jetzt beschwören, auf keinen Fall auszusteigen«, sagte er schmunzelnd zu seiner Begleiterin. »Sie bekäme einen Herzanfall, wenn sie wüsste, dass ich hier im Ghetto überhaupt anhalte.«
Sein Kommentar beruhigte Chris nicht sonderlich. Mit gemischten Gefühlen trat sie auf das Haus zu, das eher wie eine Garage wirkte. Der Kalk an den Wänden bröckelte überall dort, wo ihn nicht Plakate zusammenhielten. Zwei Teenager beobachteten sie aus einem düsteren Hauseingang. Jochen Preuss nickte ihnen mit einem Handzeichen freundlich zu, worauf einer ebenso freundlich auf den Boden spuckte.
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