Für die Steuerberaterkanzlei „Tippe“ ergeben sich zusammengefasst folgende Unternehmenswerte:
Tabelle 12:Zusammenfassung der Ergebnisse des Multiplikatorverfahrens
(in €) |
Arithmetisches Mittel |
Median |
Umsatzmultiplikator |
809 687,37 |
395 098,04 |
EBIT-Multiplikator |
733 322,33 |
607 343,41 |
Der Streuungsbereich muss auf eine eindeutige Zahl verdichtet werden, indem der Bewerter die einzelnen Ergebnisse der Multiplikationen – mehr oder weniger willkürlich – durch Durchschnittsbildung oder subjektive Gewichtung und Auswahl zu einem einzigen Wert zusammenfasst.92 Entscheidet er sich dafür, alle vier Multiplikatoren für die Bewertung heranzuziehen, und mittelt er die Resultate, um zu einem eindeutigen Wert zu kommen, so ergibt sich der Unternehmenswert mit 636 362,80 Euro (= (809 687,37 Euro + 733 322,33 Euro + 395 098,04 Euro + 607 343,41 Euro) / 4).
II. Kritische Würdigung
1. Vorteile
Die Vorteile der Multiplikatormethode liegen auf der Hand. Wenn der Bewerter die Performancemaßstäbe (z.B. Umsatz oder Jahresüberschuss) unverändert aus den veröffentlichten Jahresabschlüssen der Unternehmen entnimmt, entfällt die komplizierte und vor allen Dingen subjektive Ermittlung der prognosefähigen Nettocashflows ebenso wie die Suche nach der besten alternativen Mittelanlage. Hat der Bewertende Zugang zu den objektivierten Jahresabschlusskennzahlen von Vergleichsunternehmen und kennt er deren aktuellen Marktpreis, so kann er bereits aus diesen wenigen rudimentären Informationen frühzeitig und vor allem schnell einen potenziellen Kaufpreis, zumindest aber eine Kaufpreisspanne, ermitteln.93 Multiplikatorverfahren sind nicht zuletzt wegen dieser einfachen Handhabung in der Praxis weit verbreitet. Insbesondere in den USA besitzen Vergleichsverfahren aufgrund der großen Anzahl von Unternehmenstransaktionen und zugänglichen Datenbanken einen hohen Stellenwert.94
Die Aussage des Gewinnmultiplikators ist darüber hinaus zumeist leicht verständlich. Er kann „als marktübliche Forderung an die Amortisationsdauer des in ein Unternehmen eingesetzten Kapitals“95 interpretiert werden. Ein Gewinnmultiplikator i.H.v. m = 4,5 besagt in diesem Sinne, dass die Rückflussdauer für das investierte Kapital maximal viereinhalb Jahre betragen darf. „Niedriges Prognoserisiko, geringe Risikoaversion und/oder niedrige Alternativrenditen führen zu höheren [individuellen] Multiplikatoren als hohes Risiko, starke Risikoaversion und/oder hohe Alternativrenditen“96, und der Kaufinteressent kann seine individuelle Risikopräferenz dadurch bekunden, dass er von dem vom Markt vorgegebenen Faktor abweicht.97
2. Nachteile
a) m = Black Box
Die Anwendung der Multiplikatormethode setzt voraus, dass der Bewerter die Marktpreise vergleichbarer Unternehmen kennt.98 Doch „der Unternehmensmarkt ist extrem intransparent: Die erzielten Preise und die Eigenschaften der gehandelten Ertragserwartungen werden nur einem kleinen [Personen-]Kreis bekannt.“99 Die öffentlich zugänglichen Vergleichsdaten von börsennotierten Unternehmen können die Datenbasis wegen der „geringe[n] Anzahl börsennotierter Vergleichsunternehmen am deutschen Kapitalmarkt“100 nur unwesentlich verbessern. So betrug die Zahl der am deutschen Kapitalmarkt notierten inländischen Unternehmen Anfang 2013 lediglich 660.101 Bedenkt man darüber hinaus, dass die meisten dieser Unternehmen Mischkonzerne sind, die sich nicht eindeutig einer Branche zurechnen lassen, und dass das zu bewertende Unternehmen sich möglicherweise auch einer eindeutigen Brancheneinordnung entzieht, verschärft sich das Datengewinnungsproblem erheblich ( m als „black box“102). Selbst wenn die einzelnen Konzernunternehmen Segmentberichterstattungen vorlegen, in denen die Umsätze und Gewinne nach Branchen aufgeteilt wurden, so bestehen doch innerhalb des einzelnen Konzerns mehr oder weniger ausgeprägte – und bilanzpolitisch nutzbare – Zurechnungs- und Aufteilungsschwierigkeiten für bestimmte Konzernumsätze und -aufwendungen auf die einzelne Branche.
Zur Ermittlung von Multiplikatoren sind die Marktpreise in Relation zum Umsatz oder Gewinn zu setzen. Diese Relationen sind häufig nicht über die Zeit konstant. Sie schwanken zudem für die gleiche Betrachtungsperiode häufig von Unternehmen zu Unternehmen. „In der gleichen Branche, bei ungefähr gleicher Unternehmensgröße und zu ungefähr gleichem Zeitpunkt sind z.B. Umsatzmultiplikatoren von 5, aber auch von 20 feststellbar.“103 Aussagefähige Multiplikatoren lassen sich damit aber nur in engen Grenzen ermitteln. Problematisch ist darüber hinaus, dass die beobachteten Marktpreise das subjektive Risiko des Käufers des jeweiligen Unternehmens oder bestenfalls, wenn zahlreiche Marktpreise bekannt sind, das markttypische Risiko der Transaktionsbeteiligten widerspiegeln. Ist der Käufer oder Verkäufer bei der zu beurteilenden konkreten Unternehmenstransaktion aber risikoscheuer oder risikofreudiger als der Markt, so ist völlig offen, wie die subjektive Risikogewichtung des Unternehmenskäufers respektive -verkäufers, sollte sie feststellbar und quantifizierbar sein, fundiert in m berücksichtigt werden kann.104
b) m = branchenspezifische Kennzahl
Der Rückgriff auf einen branchensignifikanten Durchschnittsmultiplikator ist insofern sinnvoll, als sich eine Relation zwischen der finanziellen Kennzahl, die nicht der Einzahlungsüberschuss ist, und dem Unternehmenswert nur bei vergleichbaren Produktionsstrukturen und den daraus entstehenden Ausgaben herstellen lässt; denn ein Unternehmen, das einen hohen Kapital- und Materialeinsatz erfordert (wie z.B. ein Supermarkt), wird nach Abzug der Ausgaben pro Euro Umsatz eine geringere Umsatzrentabilität aufweisen als ein im Vergleich relativ kostenarmes Unternehmen (wie z.B. ein Architekturbüro). Dafür wird es aber häufig einen deutlich höheren Jahresumsatz erwirtschaften. Der Multiplikator muss diesen branchenspezifischen Besonderheiten gerecht werden, damit er zu aussagekräftigen Unternehmenswerten gelangt.
Die Fokussierung auf die Chancen- und Risikostruktur der Branche hat entscheidende Nachteile. Gesucht ist als Referenzmaßstab nicht eine andere Mittelanlage in der gleichen Branche, sondern die bestmögliche Alternativanlage des Käufers oder Verkäufers. Diese kann – und wird – aber regelmäßig außerhalb der Branche zu suchen sein, denn die Entscheidungsalternative besteht in den seltensten Fällen darin, entweder das eine oder das andere Branchenunternehmen zu kaufen bzw. den für das Unternehmen erzielten Verkaufspreis in der Branche zu reinvestieren.
Eine Gleichsetzung der in der Branche vorzufindenden Kennzahlenrelation unterdrückt zudem die betriebsindividuellen Besonderheiten des zu bewertenden Unternehmens. Kostete das Vergleichsunternehmen bei einem Jahresumsatz von 1 Mio. Euro das Zehnfache, nämlich 10 Mio. Euro, so ist bei dem zu bewertenden Unternehmen, das einen Umsatz von 500 000 Euro erwirtschaftet, nur bzw. allenfalls dann ein zehnfacher Unternehmenswert zu erwarten, wenn sämtliche Produktionsfaktoren (wie z.B. Maschinen, Mitarbeiter, Management) weitgehend identische Ertragspotenziale versprechen und gleichermaßen leistungsfähig sind. Der Branchenindikator vernachlässigt aber die individuelle Struktur des zu bewertenden Unternehmens sowie die Abhängigkeit des zukünftigen Erfolgs von der Geschäftsleitung.105 Unabhängig von der Problematik, dass für den deutschen Wirtschaftsraum eine allgemein akzeptierte Klassifikation der Unternehmen nicht vorhanden ist106 und die eindeutige Zuweisung eines Unternehmens zu einer Branche diffizil erscheint, ist daher zu bezweifeln, ob gerade das zu bewertende Unternehmen eng mit dem Branchendurchschnitt korreliert.107
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