Das gilt besonders bei Online -Bewerbungen, um inhaltssichere Unterlagen zu erhalten; denn gerade bei dieser Form der Bewerbung sind Manipulationen aller Art zunächst nicht erkennbar.
3. Bedeutung für den Zeugnisaussteller
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Da das Zeugnis für die berufliche Entwicklung des Arbeitnehmers von hohem Wert ist, ergibt sich daraus die Verpflichtung für den Arbeitgeber (und den mit der Abfassung von Zeugnissen bestellten Personenkreis) zur großen Sorgfalt bei der Zeugnisausstellung. Werden aus Unvermögen oder Bequemlichkeit keine wahrheitsgemäßen und vollständigen Zeugnisse ausgestellt, kann dies dazu führen, dass der Zeugnisaussteller Schadensersatz leisten muss; denn das Zeugnis wird als
„ gesetzlich fixierte Nebenpflicht aus dem Dienstvertrag geschuldet, es stellt also weder eine reine Gefälligkeit noch eine im weiteren Sinne unentgeltliche, unverbindliche Leistung dar “.48
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Wird noch berücksichtigt, dass im Zeugnis verkehrsübliche Angaben und Formulierungen erwartet werden, so wird deutlich, welche Schwierigkeiten auf den Zeugnisaussteller zukommen. Und der Personal- und Zeitaufwand für die Zeugniserteilung kann beträchtlich sein, hängt aber im Einzelfall von dem Grad der Fluktuation, von der Größe der Belegschaft und auch von der hierarchischen Stellung im Betrieb ab (je höherrangig der Mitarbeiter ist, je aufwendiger wird in der Regel die Zeugnisfertigung sein).
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Für den ausstellenden Arbeitgeber hat das Zeugnis insofern noch Bedeutung, als er sich bei weiteren Rechtshandlungen nicht in Widerspruch zu der Beurteilung des Arbeitnehmers setzen darf, er vielmehr einer Selbstbindung unterliegt und sich festhalten lassen muss an das, was er im Zeugnis bescheinigt hat. Eine Partei verstößt
„ gegen Treu und Glauben, wenn sie mit ihrer Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung eine Haltung einnimmt, die mit ihren früheren Erklärungen oder mit ihrem früheren Verhalten im Widerspruch steht.... muss sich an seinem früheren Verhalten und an seine früheren Erklärungen festhalten lassen (Verbot des venire contra factum proprium) “.49
Diese Bindung betrifft die Beurteilung von Leistung und Verhalten, die Notengebung und die der Notenstufe zugrunde liegenden Wertungen; der Arbeitgeber muss bei der Arbeitnehmern zugänglichen Beurteilung beachten, dass er hieran gebunden ist, und zwar nicht nur bei seinen weiteren schriftlichen Äußerungen, sondern auch bei mündlichen Auskünften (siehe Rn. 872).
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Unerheblich ist dabei, ob die Beurteilung abgegeben wurde
• in einem Zwischenzeugnis = mit Bindung für das End-Zeugnis (siehe Rn. 540), oder
• bei internen Vorgängen wie innerdienstlichen Beurteilungen = mit Bindung für die Zeugniserteilung (siehe Rn. 419).
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Ausnahmen von der Bindung:
Es werden neue Sachverhalte bekannt, die nunmehr eine andere Bewertung zulassen (Rn. 549), oder die Beurteilung wurde rechtzeitig widerrufen (Rn. 548).
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Beispiele:
• Wurde ein System leistungsorientierter Bezahlung eingeführt, wobei eine systematische Leistungsbewertung erfolgt, nach der sich die Höhe der Vergütung richtet, dann darf der Arbeitgeber im Zeugnis bei der Leistungsbeurteilung nicht notenmäßig zum Nachteil des Arbeitnehmers von diesem betrieblich eingeführten Leistungsschema abweichen, diese Einstufung bindet.50
• Heißt es im Zeugnis„Sie erledigte die ihr übertragenen Aufgaben selbständig, sicher, termingerecht und zu unserer vollsten Zufriedenheit“,dann entspricht diese Leistungsbeurteilung der Note 1,5 (siehe Rn. 758), und dann können nicht anschließend im Kündigungsprozess Leistungsmängel als Grund der Beendigung vorgetragen werden51 – die Zeugnisangaben binden.
• Wer einem Mitarbeiter bescheinigt, er habe ihn als„fleißigen, ehrlichen und gewissenhaften Mitarbeiter kennen gelernt“,kann, sofern das Gegenteil dieses Verhaltens dem Arbeitgeber bekannt war, wegen der Bindungswirkung weder kündigen52 noch einen zuvor festgestellten Fehlbetrag geltend machen, die Mankohaftung des Arbeitnehmers entfällt.53
• Im Kündigungsschutzprozess werden die Kündigungsgründe unbeachtlich, die im (zuvor erteilten) Zeugnis nicht zumindest andeutungsweise vermerkt sind; so ist die fristlose Kündigung wenige Tage nach Ausstellung eines ausnahmslos positiven Zeugnisses wegen Rechtsmissbrauchs unwirksam.54 Es nützt nichts, wenn der Arbeitgeber einwendet, er habe ein vor allem wohlwollendes Zeugnis ausstellen wollen. Wer aus falsch verstandener Fürsorge ein zu wohlwollendes Zeugnis erteilt und dann anschließend zum „schärfsten Mittel“ greift (zur Kündigung bzw. zur finanziellen Regressnahme), kann mit der Kündigung bzw. Haftung nicht durchkommen.Die Kündigungs- bzw. Haftungsgründe entfallen auch dann, wenn der Arbeitgeber zuerst zum „schärfsten Mittel“ greift und danach eine lobende Beurteilung im Zeugnis vornimmt.55
• Die Beurteilung in einem Ausbildungszeugnis ist jedoch nicht bindend für ein Arbeitszeugnis; denn die erbrachten Leistungen in der Ausbildung sind von anderer Qualität und Leistungsart als die in dem anschließenden Arbeitsverhältnis.56
b) Zeugnis und Diskriminierung?
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Arbeits- oder Dienstzeugnisse sind vom Anwendungsbereich des AGG nicht ausgeschlossen (siehe § 2 Abs. 1 Nr. 2 AGG); aber wenn sie die wesentlichen Bestandteile eines solchen Dokuments enthalten und das Wahrheitsgebot beachtet wird, dann sind Benachteiligungen nicht aktuell.
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Zum notwendigen Inhalt gehören Personalien wie Vor- und Zuname, um das Zeugnis dem Antragsteller zuordnen zu können (auf Wunsch wird das Geburtsdatum weggelassen, um das Alter nicht herleiten zu können – siehe im Detail zu den Personalien des Beschäftigten unter Rn. 472). Aus der Namensnennung sind zwar Geschlecht und eventuell auch die ethnische Herkunft ablesbar; aber das lässt sich beim Zeugnis nicht vermeiden.
Einige Arbeitgeber verzichten – animiert von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes – im Bewerbungsverfahren zunächst auf das Zeugnis, sondern verwenden eigene Bewerbungsbogen, in denen alle Personalien anonymisiert sind, um die erste Stufe des Bewerbungsverfahrens ohne Hinweise auf Geschlecht, Alter und Herkunft zu überwinden. Allerdings werden dann die anonymisierten Daten spätestens im Vorstellungsgespräch „enttarnt“.
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Beispiele :
• Wurde das Arbeitsverhältnis aus verständlichen und nicht nachteiligen Gründen unterbrochen und werden diese Gründe im Zeugnis erwähnt (z.B. Mutterschutz, Elternzeit), so kann daraus keine Diskriminierung im Sinne des AGG konstruiert werden; denn es ist für den Arbeitnehmer sogar vorteilhaft, solche Begründungen im Zeugnis zu lesen, da sonst andere Arbeitgeber über den Grund der Ausfallzeit nachteilige Mutmaßungen anstellen könnten – jedenfalls liegt in der Erwähnung dieser Gründe der Unterbrechung keine Benachteiligung vor, die etwa eine Entschädigung gemäß § 15 AGG rechtfertigen würde,57 und stellt auch keine ungerechtfertigte Erschwerung des beruflichen Fortkommens oder Benachteiligung im Sinne von § 612a BGB dar.58
• Wenn mehrjährige krankheitsbedingte Ausfallzeiten außer Verhältnis zur tatsächlich geleisteten Arbeitszeit stehen, und es bei der ausgeübten Tätigkeit auf das Vorhandensein eines aktuellen Fachwissens und entsprechende Berufserfahrung ankommt (siehe dazu auch Rn. 288), dann liegt ein sachlicher Grund gemäß § 8 AGG vor, diese Ausfallzeiten im Zeugnis zu vermerken, ohne diskriminierend zu sein.59
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Anders kann es sein, falls weitere Handlungen des Arbeitgebers nicht mit dem Zeugnisinhalt übereinstimmen:
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