Als „Dienstgemeinschaft“ 205wird im kirchlichen Arbeitsrecht die besondere Beziehung zwischen der Kirche und den Personen, die sich zur Erfüllung des kirchlichen Sendungsauftrages arbeitsteilig zusammenschließen, bezeichnet. 206Sie bildet eine „Brücke“ zwischen weltlichem (Arbeits-)Recht und theologischem Glaubensauftrag. 207Der Begriff der „Dienstgemeinschaft“ als solcher ist mit Blick auf seine erstmalige Verwendung im „Gesetz zur Ordnung der Arbeit in öffentlichen Verwaltungen und Betrieben “ vom 23. März 1934 208von seinem theologischen Fundament zu unterscheiden. Die Begrifflichkeit wurde von der Kirche 1936 unter Bezugnahme auf die NS-Regelung erstmalig aufgegriffen 209und in den 50er Jahren in kirchenrechtlichen Regelungen beider Kirchen normativ verankert 210. Der historisch problematische Hintergrund des Wortes „Dienstgemeinschaft“ ist Quelle beständiger Kritik an dessen Verwendung. 211Es kann dahingestellt bleiben, inwiefern eine alternative Begriffsform wünschenswert wäre. Das hinter dem Begriff der „Dienstgemeinschaft“ liegende Konzept der „Gemeinschaft des Dienstes“ (siehe 2 Kor 8, 4) weist nach kirchlichem Verständnis jedenfalls keinerlei Bezug zum nationalsozialistischen Gefolgschaftssystem auf. 212
In c. 211 CIC heißt es: „Alle Gläubigen haben die Pflicht und das Recht, dazu beizutragen, dass die göttliche Heilsbotschaft immer mehr zu allen Menschen aller Zeiten auf der ganzen Welt gelangt.“ Sowohl die katholische als auch die evangelische Kirche gehen von einem gemeinsamen Priestertum aller Gläubigen aus. 213Anders als die evangelische Kirche 214unterscheidet die katholische Kirche allerdings hinsichtlich der Stellung im kirchlichen Dienst zwischen Laien und Klerikern. 215Letztere übernehmen nehmen eine herausragende Rolle im kirchlichen Dienst ein (vgl. cc. 273 ff. CIC) 216, wobei der Zweite Vatikanische Konzil die Differenzierung dahingehende relativierte, dass zwar „[…] in der Kirche eine Verschiedenheit des Dienstes, aber eine Einheit der Sendung […]“ bestehe 217. Unerheblich ist jedenfalls die Rechtsform des Anstellungsverhältnisses für die Zugehörigkeit zur Dienstgemeinschaft. 218Obgleich die „Dienstgemeinschaft“ inzwischen als maßgebliche Argumentationsbasis für die Eigenart des kirchlichen Dienstes fungiert, verkompliziert die Überblendung des theologischen Fundaments mit der wirtschaftlichen Praxis die Bestimmung einer genauen Definition. 219Vor dem Hintergrund der Beschäftigung konfessionsverschiedener und konfessionsloser Mitarbeiter durch die Kirche kann die Dienstgemeinschaft schwerlich ausschließlich an das Selbstverständnis der Christen als zum Sendungsdient berufene Kinder Gottes i.S.d. cc. 204 ff. CIC anknüpfen. 220Eine Verengung des Begriffs auf einen Dienst, der ungeachtet der internen Motive faktisch der Erfüllung des Sendungsauftrages dient, wird zwar wiederum möglicherweise dem Prinzip des gemeinsamen Priesteramtes der Gläubigen nicht zur Gänze gerecht. 221Da die Dienstgemeinschaft jedoch selbst nicht als Form einer „soziologische[n] Gemeinschaft“ zu verstehen ist oder als Rechtsgrundlage für die erbrachten Leistungen dienen kann 222, kann die Dienstgemeinschaft nur dasjenige sein, was die Kirche nach eigenem Selbstverständnis unter kirchlichem Dienst versteht. Die katholische Kirche hat nach ihrem allein maßgeblichen Selbstverständnis in Art. 1 S. 1 der „Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse“ von 1993 223eine Legaldefinition für den Rechtsbegriff der „Dienstgemeinschaft“ normiert, wonach diese durch den gemeinsamen Beitrag zur Erfüllung des Sendungsauftrags der Kirche gekennzeichnet sei.
Grundlegend für die evangelische Dienstgemeinschaft ist das Verständnis des gemeinsamen Priestertums aller Gläubigen. 224Das Amt der Kirche wurzelt dabei im Amt der Apostel und stellt ein einzigartiges, auf die Repräsentation Christi gerichtetes Amt dar, das im Wege der Ordination verliehen wird. 225Der Amtsträger steht dabei allerdings „in der Gemeinde“ 226, da die Dienstgemeinschaft trotz unterschiedlicher Aufträge durch die „[…] gemeinsame […] Verantwortung vor der allen geltenden Aufgabe […]“ 227geprägt ist. Diese dienstliche Ordnung hat ihre theologische Grundlage im dreifachen Amt Christi, als Priester, Lehrer und Hirte. 228
III. Überblick über Grundlagen und Ausformungen kündigungsrelevanter Loyalitätsobliegenheiten
1. Hintergrund der kirchlichen Loyalitätsobliegenheiten
Die Kirchen unterliegen unter Berücksichtigung ihrer verfassungsrechtlichen Sonderstellung bei der Ausgestaltung von kirchlichen Dienstverhältnissen geringeren Restriktionen als ein weltlicher Arbeitgeber. 229Neben den hier auszuklammernden Besonderheiten des kollektiven Arbeitsrechts 230betrifft dies insbesondere die Möglichkeiten kirchlicher Arbeitgeber, den Bestand von Arbeitsverhältnissen in besonderer Abhängigkeit von der außerdienstlichen Lebensführung des Mitarbeiters zu gestalten.
Für die Kirche stellt die Ausgestaltung eines Ethos-orientierten Anforderungsprofils für Ihre Mitarbeiter mit Blick auf den ersten Brief des heiligen Paulus an seinen Weggefährten Timotheus 4,12 eine ihrer Selbstbestimmung unterliegende, ureigene Angelegenheit dar. 231In Satz 12 heißt es in Bezug auf die Voraussetzungen für das Lehren des Wortes Gottes: „Niemand verachte dich wegen deiner Jugend; du aber sei den Gläubigen ein Vorbild im Wort, im Wandel, in der Liebe, im Glauben, in der Reinheit“. Die hiermit gemeinten Verhaltens- und Persönlichkeitsanforderungen gehen erkennbar über die rechtsgeschäftlichen Leistungspflichten im eigentlichen Sinne hinaus. Sie betreffen weder die Form noch die Güte der zu erbringenden Arbeit. Vielmehr wird der Wert der Arbeitsleistung für den kirchlichen Sendungsauftrag an der Einstellung und dem Lebenswandel der Person, die sie erbringt, gemessen. Es handelt sich dabei allerdings nicht um einklagbare Nebenpflichten i.S.v. §§ 241 Abs. 2, 242 BGB, sondern um Obliegenheiten, deren Nichtbeachtung für den Arbeitnehmer nachteilige Folgen in Form von Sanktionen zeitigen kann. 232
Sowohl die katholische als auch die evangelische Kirche haben die sich aus ihrem Selbstbestimmungsrecht ergebenen Freiheiten in Bezug auf die Erstellung eines Anforderungsprofils an ihre Mitarbeiter kodifiziert. 233Während die katholische Kirche bereits 1993 eine „Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse“ 234(im Folgenden: GrOkathK ) beschlossen hatte, folgte die evangelische Kirche mit einer einheitlichen „Richtlinie über die Anforderungen der privatrechtlichen beruflichen Mitarbeit in der Evangelischen Kirche in Deutschland und ihres Diakonischen Werkes“ 235(im Folgenden: EKD-RL ) erst im Jahr 2005. 236
Vor dem Hintergrund der EuGH-Verfahren Egenberger 237und IR 238entschloss sich die deutsche katholische Kirche im Jahr 2015 zu einer grundlegenden Novellierung ihrer GrOkathK. 239Die GrOkathK vom 27. April 2015 ist mit Wirkung vom 1. August 2015 zunächst in 23 von 27 Diözesen umgesetzt worden und gilt seit dem 1. Januar 2016 bundesweit in allen Diözesen. 240Der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland reformierte knapp ein Jahr später am 9. Dezember 2016 aufgrund der Ermächtigung des Art. 9 der Grundordnung der Evangelischen Kirche in Deutschland mit Zustimmung der Kirchenkonferenz vom 8. Dezember 2016 die EKD-RL vom 1. Juli 2005. 241Die Regelung trat mit Wirkung zum 1. Januar 2017 in Kraft. 242
2. Überblick über den Regelungsgehalt kündigungsrelevanter Loyalitätsobliegenheiten
Im Folgenden wird ein Überblick über die Grundlagen der Loyalitätsanforderungen der katholischen und Evangelischen Kirche gegeben. Hinsichtlich der Tatbestände der GrOkathK und der EKD-RL, deren Erfüllung die kirchlichen Arbeitgeber zu einer Kündigung berechtigen. Dabei wird die Rechtslage vor und nach der Reform jeweils gegenübergestellt.
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