a) Katholische Kirche
aa) Grundlagen
Das Grundprinzip des kirchlichen Dienstes liegt gem. Art. 1 GrOkathK in dem Zusammenschluss von Kirche und Mitarbeitern zu einer Dienstgemeinschaft 243, die zum Zweck der Erfüllung des Sendungsauftrags 244der Kirche gemeinschaftlich Beiträge leistet. Mitglieder der Dienstgemeinschaft können damit gegebenenfalls auch Nichtchristen sein, solange diese in Gemeinschaft mit der Kirche und unter Beachtung ihrer Besonderheiten an deren Sendungsauftrag mitwirken. 245
Die Grundordnung ist nach Art. 2 Abs. 3 GrOkathK nicht auf Mitarbeiter anzuwenden, die auf der Grundlage eines Klerikerdienstverhältnisses oder ihrer Ordenszugehörigkeit tätig werden, da für diese besondere Regeln gelten, die über die Loyalitätsobliegenheiten für die übrige Dienstgemeinschaft hinausgehen. 246Der geistliche Dienst muss indes nicht zwingend durch Kleriker ausgeübt werden 247, weshalb die Grundordnung trotz Art. 2 Abs. 3 GrOkathK teilweise Sonderregeln für Mitarbeiter, die einen solchen Dienst ausüben, postuliert. Im Übrigen findet die Grundordnung nach Art. 2 Abs. 1 und Abs. 2 GrOkathK auf alle Arbeitsverhältnisse in kirchlichen Dienststellen und Einrichtungen – ungeachtet ihrer Rechtsform oder der Selbstständigkeit ihrer Leitung – Anwendung. 248
bb) Verstöße gegen Loyalitätsobliegenheiten, die zu einer Kündigung berechtigen
Soweit sich die Kirchen der arbeitsvertraglichen Gestaltung von Dienstverhältnissen bedienen, unterliegen ihre Dienstverhältnisse kraft Rechtswahl dem staatlichen Arbeitsrecht. 249Demnach muss eine außerordentliche Kündigung den Anforderungen des § 626 BGB genügen und bei einer ordentliche Kündigung sind die Bestimmungen des KSchG zur sozialen Rechtfertigung einer Kündigung zu beachten. 250Einfallstore für die Berücksichtigung des verfassungsrechtlich garantierten Selbstbestimmungsrechts sind der unbestimmte Rechtsbegriff des „wichtigen Grundes“ i.S.v. § 626 Abs. 1 BGB und die Kriterien der sozialen Rechtfertigung einer typischerweise personenbedingten 251Kündigung gem. § 1 Abs. 2 KSchG einschließlich der damit verbundene Gewichtung des Fehlverhaltens im Rahmen der Interessenabwägung. 252
Die vereinheitlichende Gewichtung möglicher Pflichtenverstöße hat die katholische Kirche durch die Kodifizierung in Art. 5 GrOkathK vorgenommen. 253Art. 5 GrOkathK differenziert dabei hinsichtlich der Rechtsfolgen, die die einzelnen als schwerwiegend eingestuften Loyalitätsverstöße nach sich ziehen. Eine Kündigung ist auch nach der Novellierung gem. Art. 5 Abs. 1 S. 3 GrOkathK nur als ultima ratio auszusprechen. Gem. Art. 5 Abs. 1 S. 2 GrOkathK ist zunächst zu prüfen, ob nicht durch mildere Maßnahmen, wie etwa eine Abmahnung oder Versetzung, auf den Loyalitätsverstoß reagiert werden kann. Zu beachten ist, dass Art. 5 Abs. 1 S. 1 GrOkathK den kirchlichen Dienstgeber grundsätzlich verpflichtet, vor der Erhebung einer Maßnahme zunächst mit dem Mitarbeiter ein klärendes Gespräch zu führen. Es handelt sich insoweit um eine bindende Verfahrensnorm, da eine Kündigung, die der Arbeitgeber ausspricht, ohne zuvor ein solches Gespräch geführt zu haben, „regelmäßig“ den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt. 254
Katalogverstöße gem. Art. 5 Abs. 2 GrOkathK a.F. schlossen, abgesehen von Härtefällen, eine Weiterbeschäftigung aus, wenn diese durch pastoral oder katechetisch tätige Mitarbeiter begangen wurden oder durch Mitarbeiter in leitender Funktion oder solche, die für eine Missio canonica tätig waren. Im Übrigen war eine Interessenabwägung mit Blick auf die Gefährdung der Glaubwürdigkeit der Kirche vorzunehmen (Art. 5 Abs. 4 GrOkathK a.F). Gem. Art. 5 Abs. 5 S. 1 GrOkathK a.F. schied eine Weiterbeschäftigung allerdings im Falle eines Austritts aus der katholischen Kirche stets aus. Bei der Eingehung einer nach katholischem Selbstverständnis ungültigen Ehe galt dies jedenfalls dann, wenn die Umstände, unter denen eine solche Ehe geschlossen wurde, ein öffentliches Ärgernis darstellten oder die Glaubwürdigkeit der Kirche beeinträchtigten (z.B. böswilliges Verlassen von Ehepartner und Kindern), Art. 5 Abs. 5 S. 2 GrOkathK a.F.
(1) Der Abschluss einer nach dem Glaubensverständnis und der Rechtsordnung der Kirche ungültigen Ehe, Art. 5 Abs. 2 GrOkathK a.F.
Da die streitgegenständliche Kündigung im IR -Verfahren des EuGH 255aufgrund der Wiederheirat des gekündigten Dienstnehmers ausgesprochen wurde, soll dieser Kündigungsgrund vorliegend näher betrachtet werden.
(aa) Die Ehe als „res sacra“
„Das christliche Eheverständnis geht von der Schöpfung aus“ 256, denn nach dem biblischen Schöpfungsbericht ist die Ehe selbst gottgemacht. Der göttliche Schöpfer hat hiernach bestimmt, dass der Mensch die Gemeinschaft aus Mann und Frau bildet und „ein Leib“ werde (Gen. 2,24), denn es sei „nicht gut, dass der Mensch allein ist“ (Gen. 2,18).
Gem. c. 1055 § 1 CIC liegt der Zweck der Ehe aufgrund ihrer natürlichen Eigenart in dem Wohl der Ehegatten, der Zeugung der Nachkommenschaft sowie deren Erziehung. Der Umstand, dass die Ehe im Besonderen der Weitergabe von Leben dient, bewirkt ihre Ungültigkeit, wenn sie von vornherein bewusst nicht auf die Zeugung von Nachkommen ausgerichtet ist. 257Gem. c. 1055 § 1 CIC ist die Ehe unter Getauften stets zugleich ein Sakrament, da sie nach der katholischen Glaubenslehre die Teilnahme an dem Geheimnis der Einheit zwischen Christus und Kirche bewirkt. 258
(bb) Gründe für die Ungültigkeit einer Ehe nach der kirchlichen Rechtsordnung
Das kanonische Recht differenziert hinsichtlich sog. „Trennender Hindernisse“ (cc. 1083 – 1094 CIC), des „Gültigen Ehekonsenses“ (cc. 1095 – 1107 CIC) sowie der gültigen „Eheschließungsform“ (cc. 1108 – 1123 CIC) mit Sonderregelungen zur Gültigkeit sog. „Mischehen“ (cc. 1124 – 1129 CIC), also Eheschließungen zwischen Katholiken und Angehörigen einer anderen Konfession oder konfessionslosen Personen ( matrimonium mixtum 259).
Die Vorschriften über den für die Eheschließung notwendigen Ehekonsens schließen die Gültigkeit der Ehe beim Vorliegen bestimmter Erkenntnismängel (z.B. mangelnde Urteilsfähigkeit, Irrtum, arglistige Täuschung) oder Willensmängel (wie z.B. innere Vorbehalte) aus. 260Die Vorschriften über die Eheschließungsform wiederum geben vor, wo, wie und durch wen der Ehekonsens der Brautleute entgegengenommen wird. 261
Die „Trennenden Hindernisse“ sind Umstände, die zur Ungültigkeit der Ehe führen können, soweit nicht in Ausnahmefällen ein Dispens erteilt werden kann. Die Erteilung eines Dispenses schließt konsequenterweise das Vorliegen eines Kündigungsgrundes aus. 262Als grundsätzlich nicht dispensable Hindernisse werden die fehlende Zeugungsfähigkeit, die Blutsverwandtschaft sowie das einem neuen Eheschluss entgegenstehende, bereits geschlossene Eheband gewertet. 263
Das der erneuten Eheschließung entgegenstehende „Eheband“, das insbesondere den Chefarzt -Fall 264des BVerfG bzw. die EuGH-Rechtssache IR 265auslöste, wird besonders weit ausgelegt, was der Unauflöslichkeit des Ehebandes nach dem katholischen Glauben geschuldet ist. 266Zwar kann eine Ehe sogar nach kirchlichem Recht geschieden werden, allerdings müssen die Betroffenen den schmalen Pfad des Ehenichtigkeitsverfahrens beschreiten, der den Nachweis der anfänglichen Nichtigkeit der zuvor geschlossenen Ehe erfordert.
(cc) Kirchliche Bewertung einer ungültigen Ehe
Die Eingehung einer ungültige Ehe wird von der katholischen Glaubenslehre als schwerer Sündenfall erkannt. Sie bewirkt insbesondere die Verweigerung der Eucharistiegemeinschaft gem. c. 915 CIC, sodass den „[…] hartnäckig in offenkundiger Sünde verharrenden […]“ Betroffenen die Spende der Kommunion zu verweigern ist. 267
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