Hier ist also der erste Unterschied zu kirchlichen Loyalitätsobliegenheiten zu erblicken. Die Kirchen verpflichten den Arbeitnehmer auf das Leitbild einer kirchlichen Dienstgemeinschaft, 95was ausdrücklich außerdienstliches Verhalten mit einbezieht.
Bei der Festlegung von Loyalitätsobliegenheiten handelt es sich nicht um eine Inanspruchnahme der allgemeinen Vertragsfreiheit 96oder etwa gar um Tarifrecht 97, sondern vielmehr um religiöse Fragen und damit um eine Freiheit, die die Kirche als Religionsgemeinschaft wahrnimmt. 98Rechtsgrundlage der Loyalitätsobliegenheiten ist dennoch einzig der Arbeitsvertrag. 99Das Leitbild einer Dienstgemeinschaft wird also „mit den Mitteln des Vertragsrechts verwirklicht.“ 100
Zuletzt ist noch, der korrekten Begrifflichkeit halber, darauf hinzuweisen, dass es sich bei den Loyalitätsobliegenheiten eben um solche handelt: Obliegenheiten. Im Gegensatz zu Nebenpflichten, deren Erfüllung einklagbar ist, besteht hier kein eigenständiger Anspruch auf ihre Erfüllung; 101lediglich ihre Nichtbeachtung kann gegebenenfalls eine Kündigung seitens des Arbeitgebers rechtfertigen. 102
III. Abgrenzung der Loyalitätsobliegenheiten zum allgemeinen Tendenzschutz
Auch das weltliche Arbeitsrecht kennt Ausnahmen zum gerade dargestellten Grundsatz der Unberührbarkeit der Privatsphäre des Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber. Dennoch zeigen sich hier entscheidende Unterschiede, die im Folgenden dargestellt werden sollen. 103
1. Weltlich-säkularer Tendenzschutz
Auch ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung kann das Kündigungsschutzrecht durch den Tendenzschutz beeinflusst und konkretisiert werden. 104Der Begriff des Tendenzschutzes wird geprägt von § 118 BetrVG. Demnach sind Tendenzbetriebe Betriebe, die „politischen, koalitionspolitischen, konfessionellen, karitativen, erzieherischen, wissenschaftlichen oder künstlerischen Bestimmungen“ oder „Zwecken der Berichterstattung oder Meinungsäußerung“ dienen. Tendenzschutz ist also Grundrechtsschutz. 105Unabhängig davon, ob eine wirtschaftliche oder nichtwirtschaftliche Betätigung des Betriebes im Vordergrund steht, 106soll die freie Entfaltung der einschlägigen Grundrechte, die den genannten Zwecken zugrunde liegen, gesichert werden. 107
In personeller Hinsicht betrifft dies vorrangig sog. Tendenzträger. Diese sind, da ihre Arbeit einen Tendenzbezug aufweist, auch im privaten Bereich dazu angehalten, die Tendenz des Unternehmens nicht zu gefährden oder ihr zuwiderzuhandeln. 108Tendenzwidriges Verhalten des Arbeitnehmers soll den Arbeitgeber dagegen abhängig von den Umständen des Einzelfalls zur ordentlichen oder außerordentlichen Kündigung berechtigen. 109Anderenfalls wäre die Glaubwürdigkeit des Tendenzbetriebes gefährdet. Konkret handelt es sich hierbei um gestufte Pflichten, bei denen die Nähe der Funktion des Arbeitnehmers zum Tendenzzweck zum einen über seine Tendenzträgereigenschaft per se sowie zum anderen über die Intensität möglicher Verhaltensanforderungen entscheidet. 110
2. Strukturelle Unterschiede zur kirchlichen Dienstgemeinschaft
Man mag versucht sein, große Gemeinsamkeiten oder sogar eine Übereinstimmung von weltlichem Tendenzschutz und kirchlichem Selbstverwaltungsrecht zu bejahen, nicht zuletzt, da bei beiden der Begriff der schützenswerten Glaubwürdigkeit im Mittelpunkt steht. 111Gleichwohl bestehen zwischen beiden materiell wie formell weit reichende Unterschiede. Die kirchliche Autonomie „beruht auf grundlegend anderen Fundamenten.“ 112Handelt es sich beim Tendenzschutz um Grundrechtsschutz, so kann dieser nach der althergebrachten Grundrechtsdogmatik im Lichte der Verhältnismäßigkeit bewertet, gegebenenfalls eingeschränkt und mit den Grundrechten anderer in praktische Konkordanz gebracht werden. 113Bei der Selbstverwaltungsgarantie freilich handelt es sich gemäß Art. 140 GG i.V.m. 137 III 1 WRV um die Eröffnung eines Freiraumes, der den Kirchen „innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes“ zusteht und innerhalb dessen eben gerade keine Abwägung stattfinden kann. Vielmehr stehen sich die Rechtspositionen zweier Institutionen gegenüber, von denen keine gegenüber der anderen in Abhängigkeit geraten soll, was einer Abwägung widerspricht. 114Sowohl Grundlage als auch Ausprägung sind demnach grundverschieden. Das BVerfG urteilte daher folgerichtig in der Bremer Pastorenentscheidung, dass
„die Kirchen zum Staat ein qualitativ anderes Verhältnis besitzen als irgend eine andere gesellschaftliche Großgruppe (Verband, Institution); das folgt nicht nur aus der Verschiedenheit, dass jene gesellschaftlichen Verbände partielle Interessen vertreten, während die Kirche ähnlich wie der Staat den Menschen als Ganzes in allen Feldern seiner Bestätigung und seines Verhaltens anspricht und (rechtliche oder sittlich-religiöse) Forderungen an ihn stellt, sondern insbesondere auch aus dem Spezifikum des geistig-religiösen Auftrags der Kirchen.“ 115
Die Kirchen sind daher nicht nur aufgrund ihrer verfassungsrechtlich normierten Sonderstellung aus Art. 140 GG i.V.m. 137 III 1 WRV qualitativ anders zu bewerten als Tendenzbetriebe, sondern auch, da ihr Auftrag sich auf sämtliche Bereiche des Lebens erstreckt. 116Dem wird der partiell orientierte Tendenzschutz nicht gerecht. „Der Anspruch auf Verbindlichkeit der gelehrten Glaubenssätze in der Kirche ist etwas völlig anderes“. 117Reiner Tendenzschutz bliebe hinter diesem Anspruch zurück.
Das letzte Argument liefert schließlich der Gesetzgeber selbst. § 118 II BetrVG stellt ausdrücklich klar, dass das BetrVG auf Religionsgemeinschaften sowie die ihnen zugehörigen karitativen oder erzieherischen Einrichtungen unbeschadet ihrer Rechtsform gerade nicht anwendbar ist. Dies zeigt zweierlei: Zum einen besteht zwischen Tendenzschutz und kirchlichem Selbstverwaltungsrecht ein qualitativer Unterschied, denn Ersteres wäre ja bereits in § 118 I BetrVG geregelt. 118Zum anderen besteht ein quantitativer Unterschied: Der Schutz der kirchlichen Selbstverwaltungsgarantie ist intensiver. 119
Ebenfalls nicht verwechselt werden dürfen kirchliche Loyalitätsobliegenheiten schließlich mit bestehenden Loyalitätspflichten im öffentlichen Dienst. Das BAG verlangt hier ein positives Verhältnis zu den Grundwerten der Verfassung, was insbesondere in Bezug auf die Mitgliedschaft in verfassungsfeindlichen Organisationen relevant werden kann. 120Derartig begrenzt ist das – zudem auf anderen Fundamenten ruhende – kirchliche Selbstverwaltungsrecht nicht.
IV. Inhalt der Loyalitätsobliegenheiten
Der Bedarf der Kirchen, kündigungswesentliche Verhaltensrichtlinien auch für den privaten, außerdienstlichen Bereich bindend festzuschreiben, war hinlänglich bekannt. Bestätigt wurde die kircheneigene Kompetenz durch das BVerfG, das festschrieb, dass diese – mit gewissen Beschränkungen 121– unter das verfassungsrechtlich garantierte Selbstbestimmungsrecht falle. 122Die Kirchen, am Beispiel der beiden großen Kirchen in Deutschland, 123reagierten auf diese Entwicklung unterschiedlich: mal schnell und detalliert, 124mal weniger schnell und weniger detailliert. 125
Eine erste Niederlegung von Loyalitätsobliegenheiten innerhalb der katholischen Kirche war die „Erklärung zum kirchlichen Dienst“, vom ständigen Rat der Deutschen Bischofskonferenz im Jahr 1983 erlassen. 126Nachdem diese weder hinreichend detailliert noch mit rechtsverbindlichem Charakter ausgestaltet war, ist ihre rechtliche Bedeutung eher gering einzuschätzen. 127Somit genügte sie nach der Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts, die den Kirchen das Recht zugestand, ihre Loyalitätsobliegenheiten verbindlich festzuschreiben, 128nicht, um das ansonsten auftretende rechtliche Vakuum – denn den Fachgerichten war es ja gerade untersagt, ihre Wertung an die Stelle der Kirchen zu setzen 129– hinreichend auszufüllen. 130Folgerichtig 131verabschiedeten die deutschen Bischöfe auf der Herbstkonferenz 1993 eine neue „Erklärung der deutschen Bischöfe zum kirchlichen Dienst“, bei deren normativer Umsetzung 132es sich dann um die heute gültige Grundordnung der katholischen Kirche (GrO) handelt. 133
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