»Wann hast du Zeit?«
»Du willst mich mitnehmen?«
»Aber hör mal, nur wegen dir würde ich das auf mich nehmen. Ein bisschen Meditation wird dir sicher guttun. Und denk an deinen Bauch. Er scheint langsam außer Kontrolle zu geraten.«
Als Steinböck am Morgen aus dem Bett stieg, fühlte er sich endlich mal wieder ausgeschlafen. Im Gegensatz zu Frau Merkel, die noch zusammengerollt am Fußende lag, war er früh zu Bett gegangen. Die Katze war besessen von der Idee, mit ihm zusammen den Jakobsweg zu gehen. Er hatte sich vehement dagegen gewehrt, Hape Kerkelings »Ich bin dann mal weg« als E-Book zu bestellen. Dafür hatte sie sich den ganzen Abend Youtube-Filmchen über das Thema reingezogen. Genervt hatte er sich ins Bett verkrochen und lobte sich jetzt selbst für diesen weisen Entschluss.
Als er aus dem Bad zurückkam, schlief Frau Merkel immer noch. Er warf seinen Schlafanzug nach ihr.
»Auf geht’s, Saukatz, geh den Emil wecken und frag ihn, ob er einen Kaffee will. Ab morgen ist er für fünf Tage weg.«
Frau Merkel schlüpfte missmutig und überraschenderweise schweigend durch die Katzenklappe nach draußen. Seitdem Mayer vorübergehend in der Nachbarwohnung wohnte, war es üblich, dass die Katze ihn am Morgen zum ersten Kaffee abholte. Steinböck verschwand in der Küche und bereitete zwei Tassen vor. Da der Kühlschrank wieder mal leer war, blieben nur ein paar Scheiben Knäckebrot. Die hatte er dummerweise in einer Plastiktüte aufbewahrt. Dadurch waren sie alles anders als »knäcke«, und so entschloss er sich, sie gleich zu entsorgen, bevor er sich wieder den blöden Kommentaren der Katze aussetzen musste. Zudem war er sich sicher, dass seine junge Kollegin Ilona Hasleitner im Büro frische Butterbrezen vorbereitet hatte.
Er brachte den Kaffee in den Wintergarten und stellte ihn dort auf dem Korbtisch ab. Während er sich eine Zigarette drehte, gönnte er der Marihuanapflanze einen Blick. Er war stolz darauf, dass er es immer wieder schaffte, aus ein paar Samen ein solch imposantes Gewächs zu ziehen. Natürlich tat er dies nicht zum Eigengebrauch, sondern aus Reminiszenz an seine Vormieterin Maxi Müller, die er unglücklicherweise des Mordes überführt hatte und die nun für mehrere Jahre in der JVA wohnte.
»Morgen, Chef«, begrüßte ihn sein Kollege Emil Mayer junior und steuerte den Rollstuhl geschickt durch die Wintergartentür. Auf seinen Oberschenkeln hatte er einen Basketball liegen. Mayer, Mitte 30, war Nachfahre eines sogenannten Besatzerkindes. Sein Großvater, ein dunkelhäutiger amerikanischer GI, der in Landsberg stationiert gewesen war, hatte Emils Großmutter Ende der 50er-Jahre seinen Vater Mayer senior hinterlassen und war dann unauffindbar über den Großen Teich verschwunden. Zumindest nicht die schlechtesten Gene. Emil war ein hervorragender Ermittler und Rollstuhlbasketballer. Seitdem ihm ein Unbekannter bei einem Einsatz in den Rücken geschossen hatte, saß er im Rollstuhl.
»Emil Mayer junior, mittelmäßig pigmentierter Afrobayer, der aufgrund einer körperlichen Verletzung auf ein Fahrzeug angewiesen und 60er-Fan ist, meldet sich für eine Woche ab.«
»Wie du dich früher vorg’stellt hast, hat mir besser g’fallen«, brummte Steinböck.
»Mir auch, aber du weißt ja: politisch völlig unkorrekt.« Emil verzog sein Gesicht zu einem spöttischen Grinsen. Er griff nach seinem Kaffee, nahm einen Schluck und sagte: »Was ist mit der Katz? Die ist a bisserl komisch. Sie wollt heut nicht mit mir Rolli fahren.«
»Seit gestern spinnt sie. Ich glaub, sie will den Jakobsweg gehen.«
Mayer junior sah seinen Chef mitleidig an. »Du redst also tatsächlich mit der Katz?«
»Ach Schmarrn, ich hab dir schon oft genug g’sagt, dass ich ned mit dem Viech reden kann. Des ist bloß a Spaß mit dem Jakobsweg, weil mir gestern die Husup mit so einer mysteriösen Geschichte gekommen ist.«
»Der Harry Potter war gestern da?«
Steinböck nickte, nahm einen Schluck Kaffee und erzählte Emil, was am Tag zuvor passiert war.
»Und was willst du jetzt machen? Wirst du dich mit den spanischen Kollegen in Verbindung setzen? Des ist ja eigentlich nicht unser Fall«, resümierte Mayer junior.
»Ich wart noch auf die Vergrößerung von der Huong, und dann nehm ich mir die Husup noch mal zur Brust. Die weiß mehr, als sie gesagt hat«, erklärte Steinböck. »Aber nun zu dir. Was ist des für ein Turnier, wegen dem du dir die nächsten fünf Tage freig’nommen hast?«
»Olympia-Vorbereitung. Ein Sechsländerturnier.«
»Wann habts ihr euer erstes Spiel?«
»Heut um 17.30 Uhr. Hier sind fünf Eintrittskarten. Ich erwarte dich und vier Kollegen zum Anfeuern. Da ist die Katz nicht mitgerechnet.«
»Ehrensache, wir sind da. Hab ich alles schon organisiert«, beteuerte Steinböck.
Emil blickte ihn skeptisch an und murmelte: »Da bin ich aber g’spannt.«
*
»Guten Morgen, Frau Kommissarin«, begrüßte Steinböck Ilona Hasleitner schmunzelnd, als er das gemeinsame Büro betrat.
»Geh, Chef, sei ned so a Kindskopf, sonst musst dir in Zukunft deine Butterbrezen selber machen«, schimpfte sie.
»Na, lieber ned, dann bleiben wir bei Frau Sklavin.«
»Mei, bist du heut deppert.« Ilona versuchte ernst zu sein, konnte sich aber ein Lächeln nicht verkneifen. Vor zwei Wochen hatte Ilona Hasleitner ihre Ausbildung mit Auszeichnung abgeschlossen und war jetzt Kommissarin. Steinböck und Mayer junior waren mächtig stolz auf sie, und den Abwerbungsversuch von der Sitte haben sich beide entschieden verbeten.
»Apropos Butterbrezen – mein Kühlschrank ist schmutzleer, und der Emil hat auch nichts g’habt.«
»Steht schon auf deinem Schreibtisch. Übrigens, was ist des für ein Laptop?«, fragte Hasleitner neugierig.
»Schau’s dir mal an«, forderte er sie auf. »Passwort: 1,2,3,4.«
»Aha, war die Huong wieder da.« Ilona lächelte verschmitzt und klappte das Gerät auf.
Nach kurzer Zeit rief sie erstaunt: »Des ist doch die Husup! Und die andere hab ich auch schon mal gesehen. Da passiert irgendetwas im Hintergrund.«
»Du bist halt die G’scheidste von uns. Auf dem zweiten Film ist der Hintergrund vergrößert.«
»Sappralott, der springt aber nicht von selbst.«
Während Steinböck sich einen Latte macchiato machte, erklärte er ihr kurz, was gestern Abend vorgefallen war.
»Dann können wir nur hoffen, dass Huong vor der Husup kommt, sonst geht uns Harry Potter gehörig auf den Senkel«, kommentierte Hasleitner die Ausführungen ihres Chefs.
»Können wir nicht beide aussperren?«
»Du, Ilona, auf meinem Tisch liegt die Handynummer von Husups Freundin. Lass eine Ortung durchführen. Gefahr im Verzug. Die Kollegen sollen Gas geben.«
»Jawohl, mein General«, antwortete sie zackig.
»Passt schon, Eure Hoheit hätt auch gereicht. Du denkst dran, heut Nachmittag spielt unser Kollege. Ich hab hier vier Karten übrig, die verteilt werden müssen.«
»Da musst dich selbst drum kümmern, der Emil hat die Karten schließlich dir gegeben«, stellte sie fest und verschwand mit der Handynummer aus dem Büro.
»Von wegen ›mein General‹. Wenn man sie braucht, dann desertieren sie«, schimpfte er.
»Wie wär’s mit Peter Obstler?«, überlegte die Katze.
»An den hab ich auch schon gedacht«, erwiderte Steinböck und kramte sein Handy heraus. »Mist, er geht nicht hin«, stellte er nach einer Weile fest.
»Versuch’s bei Horsti. Wenn er seinen Köter mitbringt, wären’s schon zwei.«
»Tiere zählen nicht, hat der Emil gesagt. Und außerdem, wie sollen wir den Dackel in die Halle kriegen?«
»So wie immer, Drogenhund et cetera.«
»Sag mal, wieso kümmert dich des überhaupt?«
»Na, entschuldige mal. Es geht um meinen schwarzen Bruder. Das bin ich ihm schuldig«, schnurrte Frau Merkel entrüstet.
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