»Wie man’s nimmt.«
»Was meinst du damit?«
»Schau genauer hin.«
Mütze hob die Tüte höher.
»Mensch, das gibt es doch nicht!«, rief Karl-Dieter aus.
»Eben!«, sagte Mütze, und in seiner Stimme lag ein leiser Triumph.
Als sie die Pension erreichten, kam schwanzwedelnd der Spitz um die Ecke gelaufen. Hinter ihm hergeschossen aber kam die Witwe, packte ihn bei der Leine und zog das widerstrebende Tier hinter sich her in den Garten, um ihn an dem Apfelbaum festzubinden.
Dieses Miststück! Keine Minute lässt sie einen aus den Augen. Manchmal wünschte ich, ich wäre wieder eine Krähe. Als Vogel hat man andere Möglichkeiten, andere Freiheiten. Allein der Flug nach Dortmund-Dorstfeld zu Tante Dörte, was für ein Abenteuer ist das gewesen. Von der Mark Brandenburg quer über Deutschland bis in den Pott, wo die Sonne verstaubt, wie Herbert Grönemeyer so schön gesungen hat. Stolz wie Oskar bin ich auf mich gewesen, in nicht einmal sechs Stunden hatte ich den Langstreckenflug hinter mich gebracht und war in ihrem Garten gelandet. Wie hätte ich das als Hund schaffen sollen? Aber auch bei dem, was nun zu erledigen war, kam mir meine neue Identität sehr zugute, denn jetzt kam es auf die Feinmotorik an. Die Feinmotorik einer Krähe ist eindeutig besser als die eines Hundes. Dennoch, mit Schnabel und Krallen die wichtige Botschaft in den Sand zu scharren, ist kein Kinderspiel gewesen. Aber Tante Dörte hat’s erkannt! Ich wusste es, die Stelle war gut gewählt. Den Sandweg zu den Beeten harkt sie stets mit Sorgfalt, er war wie eine blank geputzte Tafel. Sie hat meine Botschaft entdeckt und hat mir Karl-Dieter und seinen Freund Mütze geschickt. Mit Hilfe der beiden Freunde werde ich die Saubande ins Kittchen bringen. Nicht eher will ich ruhen.
So eine Seelenwanderung hat durchaus auch ihre gute Seite. Wenngleich der Grund, warum ich meinen menschlichen Körper verlassen musste, natürlich ein abscheulicher gewesen ist. Selbst als Krähe hat es mich noch geschüttelt, wenn ich an die Szene in dem Schneiderhaus dachte, an das wüste, schwitzende Durcheinander, das Gewühl der nackten Leiber, brrr … Niemals hätte ich gedacht, so gemein betrogen zu werden. Mein Verdacht, wie bitter hat er sich bewahrheitet. Nur auf mein Geld hat es Klothilde abgesehen, ich selbst bin ihr völlig egal gewesen. Die schönen Augen, die sie mir gemacht hat, all ihre Sprüche vom Traummann, von meinen ausdrucksstarken Händen, Lügen, nichts als Lügen. Von Anfang an hat sie mich betrogen. Um ihren dunklen Trieben nachzugeben, hat sie mir regelmäßig was ins Bier gekippt, damit ich schlafe wie ein Stein. Doch ich bin dahintergekommen – oja! –, an jenem Abend, der mein letzter als Zweibeiner sein sollte. Hab nur so getan, als würde ich das Bier trinken, hab es heimlich weggeschüttet, hab mich schlafend gestellt, habe vor mich hingeschnarcht, um Klothilde in Sicherheit zu wiegen. Selbst, als sie mir noch gemein ins Ohr gekniffen hat, um die Tiefe der Narkose zu überprüfen, habe ich nur einen schwachen Schnaufer von mir gegeben. So ist sie fröhlich davon und ich in hübschem Anstand heimlich hinterher, bis wir beim Haus des Schneiders ankamen. Oh, diese furchtbare Orgie, nie wieder werde ich die Szenen aus meinem Hirn bekommen! Irgendetwas muss mich verraten haben, vielleicht bin ich doch zu nah an die Scheibe geraten. Normalerweise sieht man nicht, was draußen passiert, wenn es stockdunkel ist, denn dann wird eine Scheibe zum Spiegel. Plötzlich aber merkte ich, wie sie mich anstarrt, wie hypnotisiert blickte sie in meine Richtung und bekam die Panik. Ihr ganzer schöner Plan, mit einem Schlag war er dahin. Zumindest, solange das Testament fehlte. Und so beschloss das Biest, mich kurzerhand abzumurksen. Ich könnte ihr die Nase abbeißen!
»Was hattest du für einen Eindruck von der Witwe? Ich meine, während ich im Garten recherchiert hab, hast du dich doch mit ihr unterhalten.«
»Nervös, würde ich sagen. Nervös und fahrig zugleich. Erst hat sie mich angeblafft, war stinksauer. Wie ich es nur wagen könnte, ihre privaten Räume zu betreten! Erst als ich sie stotternd gefragt habe, wo ich ein Trinkgeld hinterlassen könnte, wurde sie etwas freundlicher und hat mir das Plaste-Sparschwein an der Rezeption gezeigt.«
»Du hast ihr allen Ernstes ein Trinkgeld gegeben?«
»Was sollte ich tun? Etwas Besseres ist mir nicht eingefallen.«
»Hat sie was erzählt, ich meine etwas von Bedeutung?«
»Nichts, rein gar nichts.«
Die Freunde saßen auf ihrem Zimmer. Auf dem kleinen Tischchen mit dem Häkeldeckchen lag der Beutel mit der Eierschale. Karl-Dieter nahm ihn erneut in die Hand und betrachtete den Schalenrest. Blassrosa schimmerte der Aufdruck mit dem aufgedruckten Erzeugercode, schwer zu erkennen, aber nicht wegzudiskutieren.
»Unglaublich, dass dir das aufgefallen ist!«
»Die Sonne schien genau darauf, war nicht zu übersehen. Ich kenn mich ja nicht so aus mit Lebensmitteln, so viel aber war mir klar, auch die modernsten Hennen haben noch keinen Stempel am Hintern, mit dem sie die Eier bedrucken.«
Sie hatten lange diskutiert, wie das alles wohl zusammenhing. Klar war, die Witwe spielte ein doppeltes Spiel. Tat, als seien ihre Hühner elend am Baum verreckt, dabei war das Federvieh allem Anschein nach einen ganz anderen Tod gestorben, die nachträglich zerbrochenen Eier jedenfalls waren mehr als verdächtig.
»Sie will Max und Moritz die Tat unterschieben.«
»Was ihr offensichtlich auch gelungen ist.«
»Sie hat es überall rumerzählt, da hat unser unbekannter Künstler gleich seine nächste Bildergeschichte draus gemacht.«
»Aber warum hat sie das gemacht?«
»Um die Brüder als Strolche hinzustellen.«
»Was sollte das für einen Sinn ergeben?«
»Vielleicht, um das Verschwinden der beiden plausibler zu machen.«
»Du meinst …«
»Ich meine gar nichts, ich ziehe nur meine Schlüsse.«
»Wer aber ist der Comiczeichner? Oder ob die Bildergeschichte nicht vielleicht von ihr selbst stammt?«
»Glaub ich nicht. Oder hältst du sie für eine Künstlerin? – Eben! Komm, lass uns noch mal zum Friedhof gehen, ich hab da so ein Knacken im Urin.«
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