In meinem ersten Buch „Mein Leben von vorne“ habe ich auf 341 Seiten meine Via Dolorosa beschrieben. Wer meine Talfahrt in den seelischen Minenschacht kennt, kann die folgenden Seiten überspringen. Es fällt unter das Kapitel „Was bisher geschah“. Für alle anderen soll ein kurzer Durchlauf des bisher Erlebten als Einstieg dienen.
Mein Leben vor Belize war damit erfüllt, meine Prinzessin Lea zu lieben. Wir verliebten uns in der ersten Klasse Gymnasium. Damals waren wir zehn Jahre alt. Dann verloren wir uns aus den Augen und sahen uns mit 18 Jahren wieder. Wir wurden sofort ein Paar.
Einige Jahre später heirateten wir und bekamen zwei wundervolle Söhne. Leider beruht so eine einzigartige Liebe selten dauerhaft auf Gegenseitigkeit. Zumindest für mich war es so. Ich wurde – als unsere Söhne zwei und vier Jahre alt waren – buchstäblich aus meinem Leben gerissen. Ich musste entdecken, wie Lea ein zweites Leben ohne mich führte. Diese Erkenntnis war für mich nahezu tödlich. Es folgten Suizidversuche, schwere Depressionen und ein fast letal endendes Burnout. Über die Jahre missbrauchte ich in Wellen Medikamente, Drogen und Alkohol. Ich versuchte alles, um mein Gehirn und meine Schmerzen zu betäuben.
Meine Söhne waren weiterhin mein Leben. Wann immer sie bei mir waren – und ich kämpfte all die Jahre für eine gleichteilige Betreuung – war ich topfit, und meinem fragilen Gemütszustand war kaum etwas anzumerken. Meine Kinder waren und sind einfach das Wichtigste in meinem Leben.
Elf Jahre nach der Trennung von Lea kam es zu der fundamentalen Entscheidung, Österreich zu verlassen. Ich hatte eine große Karriere in der Pharmaindustrie gemacht und mich vom Außendienstmitarbeiter zum nationalen Leiter des wissenschaftlichen Außendienstes hinaufgearbeitet. Als 2016 entschieden wurde, das Unternehmen aufzulösen, wurde mir angeboten, die Leitung des Impfstoffbereiches oder – sofern ich die geteilte Betreuung der Kinder gerichtlich abgesichert bekommen würde – auch einen Posten mit mehr Zeit für die Kinder zu übernehmen. Leider ließ sich erneut keine zufriedenstellende Einigung mit Lea in Bezug auf die Kinderbetreuung erzielen.
Damit gab es nur mehr eine Alternative. Es stand für mich „nur noch“ die Leitung des gesamten Impfstoffgeschäfts in Österreich zur Auswahl. Das bedeutete, so gut wie keine Zeit mehr für meine Kinder zu haben. Und das war keine Option für mich. Das hätte ich nicht überlebt. Mein Lebensinstinkt begann nach einem Ausweg zu suchen. Wenn ich nicht mit einem Suizid enden oder sabbernd nach einer weiteren Lungenembolie und einem Burnout in einem Rollstuhl sitzen wollte, was war es dann?
Ich versuchte zu ergründen, wo ich bisher am glücklichsten war und was mich am meisten belastet hatte. Die Bleigewichte auf meiner Seele waren die Nähe zu Lea und der ständige Kampf um die Kinderbetreuung. Am glücklichsten war ich hingegen, abgesehen von der Zeit mit meinen Kindern, stets am Wasser. Insbesondere die Urlaube in der Karibik erzeugten bei mir ein Ikarus-Feeling. Mit Menschen wollte ich so gut wie nichts mehr zu tun haben.
Die Antwort auf meine Frage, wie es weitergehen könnte, lag also auf der Hand, war allerdings völlig unrealistisch: eine Insel in der Karibik, eine Angel und am besten einen Hund an meiner Seite. Hunde sind die treuesten Seelen. Seitdem ich ein Kind war, vermisste ich den Hund meiner Großeltern.
Rein zum Spaß begab ich mich online auf die Suche nach Inseln in der Karibik. Ich berechnete den möglichen Verkaufswert meiner kreditfinanzierten Eigentumswohnung. Ich kam auf ein Budget von 180.000 Euro. Es erschien völlig verrückt, die Suchmaschine überhaupt anzuwerfen.
Zu meiner Überraschung gab es aber tatsächlich Inseln, beziehungsweise Inselgrundstücke, in der Karibik, die innerhalb meines Budgets lagen. Die Auswahl grenzte sich schnell auf Belize ein, einem Land, von dem ich nicht einmal wusste, wo es lag. In der Volksschule hieß der mittelamerikanische Staat noch British Honduras. Und irgendwann hatte ich wohl einmal eine Aussteigerserie im österreichischen Fernsehen gesehen, wo es auch um Belize ging. Das war nur mehr ganz dunkel in meiner Erinnerung, sollte aber auf kuriose Weise am Ende meiner Reise noch einmal eine Rolle spielen.
Nach nur wenigen Tagen intensiver Recherche zeichnete sich der Erwerb eines perfekten Grundstücks auf einer Insel in Belize ab. Keine Nachbarn, totale Wildnis und angeblich ein unglaubliches Korallenriff direkt davor. Es folgten mehrwöchige intensive Überprüfungen. Dann die Entscheidung. Ohne es vorher gesehen zu haben, kaufte ich das Projekt. Eigentlich verrückt. Ich hatte noch nie einen Fuß in Belize gesetzt und kaufte dort eine Insel. Es war meine Alternative zum Suizid.
Der Abschied von den Kindern und die Monate vor der Übersiedlung brachen mir das Herz. Es war verrückt, was ich tat. Für die Kinder, aber auch für mich. Der letzte Tag, das letzte Mal, als meine Kinder durch die Wohnungstüre gingen, war wie ein fürchterlicher Tod für mich. Meine Hoffnung war jedoch, wieder gesund zu werden, Freude am Leben zu bekommen und vielleicht doch wieder jemand zu sein, der sein Gehirn nicht betäuben muss.
Was soll ich sagen – es funktionierte. Innerhalb weniger Wochen nach meinem Umzug nach Belize war ich von meinen Medikamenten entwöhnt, konnte wieder schlafen und kämpfte mich durch das Projekt, meine Insel bewohnbar zu machen. Schnell stellte sich heraus, wie teuer alles war. Allein mit dem Boot zur Insel zu fahren, kostete wesentlich mehr als das bisher gewohnte Benzin für ein Auto. Mein Boot benötigte bei voller Fahrt 56 Liter pro Stunde.
Der Plan, allein auf der Insel mit einer Angel und einem Hund zu leben, wich der Idee, eine Öko-Lodge zu errichten und diese zu vermieten. Die ersten drei Jahre lebte ich hauptsächlich am Festland im malerischen kleinen Ort Placencia im Süden von Belize. Das war in acht Kilometern Entfernung zu meiner Insel. „Mitten im Meer“ baute ich mit Hilfe lokaler Arbeiter ein kleines Ferienparadies auf. Die Schwierigkeiten waren umfangreich, aber es funktionierte. Bereits nach den ersten Monaten der Fertigstellung der Lodge war ich jeden Tag mit Gästen ausgebucht.
Während Europäer mit über einem Tag Anreise rechnen müssen, erreichen US-Amerikaner in wenigen Stunden Belize. Sie stellen dementsprechend den Großteil der Touristen dar. Die kulturellen Unterschiede zwischen US-Amerikanern und Europäern erscheinen mir nach wie vor größer als zwischen Belizianern und US-Amerikanern. Manchmal war das eine ungewohnte Herausforderung. Nicht selten musste ich einem wohlhabenden und augenscheinlich bildungsfernen Industriestaatenmenschen erklären, dass Pommes frites von Kartoffeln stammen. Mein Gast verstand nicht, warum ich empfahl, frische Kartoffeln vom Markt zu kaufen und „French Fries“ selbst zuzubereiten, statt ein in Plastikfolie verpacktes und tiefgefrorenes Produkt mit auf die Insel zu nehmen. Ich verstand wiederum nicht, wie man nicht wissen konnte, dass es sich bei Pommes frites um Kartoffeln handelt. Das hat mich schon ziemlich umgehauen.
Generell hat sich mein Umweltbewusstsein über die Jahre hinweg dank des Insellebens um ein Vielfaches geschärft. In dem Fall der Kartoffeln war es aber schwierig, nicht in schallendes Lachen auszubrechen. In Summe betreute ich aber aufgrund meines Angebotes eines Insel-Abenteuer-Urlaubes überwiegend achtsame und auf Umweltbewusstsein ausgerichtete Gäste.
Dieses einmalige Urlaubserlebnis hatte aber auch seinen Preis. Sowohl für mich als auch für meine Gäste. Ich startete mit 195 US-Dollar Miete pro Nacht für die gesamte Lodge, bei einer Maximalbelegung von vier Personen. Ich verlangte stets ein Minimum von drei Nächten als untere Schwelle der Buchung. Weniger Geld war aufgrund des aufwendigen Bootstransfers und den noch umfangreicheren Reinigungsprozeduren nicht sinnvoll.
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