Prächtig gedieh das Kind in den Armen und an der Brust Demeters. Es wuchs ohne Milch seiner Mutter und gewöhnliche Speise auf, sondern wurde mit Ambrosia gesalbt und nachts ins Feuer gehalten. Dadurch wollte Demeter ihm Unsterblichkeit und ewige Jugend verleihen. Doch als eines Abends die Mutter ahnungsvoll das Gemach betrat und sah, wie ihr Kind an den Fersen gehalten und von den Flammen umlodert wurde, stürzte sie laut schreiend hinzu und riss ihren Sprössling aus dem Feuer – Rettung im Sinn, aber Unheil bewirkend. Denn nun warf Demeter ihr Alter ab, wechselte die Größe, nahm ihre göttliche Schönheit und Gestalt an und eröffnete der schlotternden Mutter, dass Demophoon nunmehr seinem sterblichen Schicksal ausgesetzt sei. Die Göttin umzustimmen gelang nicht. Aber man baute ihr hier einen Tempel, in dem sie ihren Sitz nahm.
Der Same stockte weiter in der Erde, die Stiere zogen die Pflüge umsonst. Elend machte sich breit, die Menschen hungerten und besaßen nichts mehr, um den Göttern zu opfern. Zeus begab sich selber zu Demeter und ihrem Tempel in Eleusis und bat um Fruchtbarkeit, ließ Geschenke bringen. Aber die Göttin im schwarzen Gewand erwiderte:
»Nicht eher kehre ich in den duftenden Himmel zurück, nicht eher lasse ich wieder Früchte wachsen, bis ich meine Tochter wiedersehe.«
So musste Zeus sein eigenes Einverständnis widerrufen, Hermes zu Hades senden und befehlen, Kore wieder ihrer Mutter zurückzuschicken.
Freudestrahlend wuchs das Mädchen aus der Erde,24 doch Demeter ahnte Betrug und fragte besorgt ihre Tochter:
»Nahmst du bei den Schatten etwas zu dir?«
»Nur einen Granatapfelkern«, antwortete sie unbekümmert. Doch mit dieser Arglist band Hades seine Gemahlin ewig an die Unterwelt. Persephone darf sich zwei Drittel des Jahres am Sonnenschein erfreuen, muss aber ein Drittel zu Hades hinab ins Dunkel.
Nach Rückkehr ihrer Tochter ließ die Göttin der Ernte die Früchte gedeihen. Blätter und Blüten prangten in neuer Pracht. Bei Persephones alljährlicher Wiederkehr wird sie als Getreidegöttin begrüßt. Sie erscheint nicht im Frühjahr, sondern im Herbst, wenn die griechischen Bauern das Getreide säen, das dann bis zum Frühsommer reift und geerntet wird, bis Helios’ Sommerstrahlen alles verdorren und Kore wieder in die Unterwelt eingeht.
Demeter bedankte sich für die teilnahmsvolle Aufnahme in Eleusis. Sie gab nicht nur die Kunst des Getreideanbaus an Triptolemos weiter,25 der sie der ganzen Welt vermittelte, sondern sie wies auch die ansässigen Adelsfamilien in die geheimen Eleusinischen Mysterien26 ein. Wahrscheinlich wurde Persephone dort als Sinnbild für die menschliche Seele dargestellt, die durch den Tod hindurch zum Leben schreitet. Dabei trat wohl der eng mit Kore verbundene Dionysos als Retter auf.
Zeus und Hera – das göttliche Paar
Nachdem Zeus zahlreiche Göttinnen geschwängert hatte, verband er sich mit seiner Schwester Hera zu fester Ehe. Hera wurde Beschützerin der Frauen und der Ehe. Für die freiere zügellose Liebe allerdings war Aphrodite zuständig, was zu Konflikten zwischen beiden führte. Als Attribute besaß Hera Granatapfel, Opferschale und Zepter. Der Pfau war ihr heiliges Tier.
Zeus und Hera wurden das Herrscherpaar der Olympischen Götter. Die Römer nannten sie Jupiter und Juno . In zahlreichen anderen Mythen findet sich ein derartiges Paar, wie bei den Germanen Wodan/Odin und Frigg .
Nach der Geburt der Herakinder Hebe, die den Göttern als Mundschenk dient, Ares, dem blindwütigen Gott des Krieges27, und Eileithyia, die den werdenden Müttern bei der Geburt beisteht, trieb es Zeus schon bald zu neuen Abenteuern.
Wie konnte sich bei Zeus’ zahllosen Liebschaften die Göttin der Ehe weiterhin an ihn binden? Hoffte sie auf Besserung? Erlag die Göttin willenlos Zeus’ Verführungskünsten oder zuweilen gar seiner List und Gewalt? Bei einem derartigen Gemahl vermochte Hera schwerlich Achtung und Treue bei den griechischen Göttern und Menschen zu fördern. Als Einschränkung müssen wir freilich anmerken, bei den Männern.28 Oder war es Heras Schicksal, sich dem Göttervater dienend zu widersetzen? Sie würde jedenfalls viel List und Tücke aufbringen müssen, frühere und künftige Geliebte ihres Gemahls und deren Kinder zu verfolgen.
Hephaistos’ und Athenas widernatürliche Zeugung
Auch außergewöhnliche Klugheit hatte bekanntlich Metis nicht vor Zeus’ Nachstellungen bewahrt. Erst Gaia wies ihren Enkel auf die Gefahr in Metis’ Bauch hin. Mit der glanzäugigen Athena bekäme er zwar eine weitsichtige Tochter, aber danach einen klugen Sohn, der den Götterthron besteigen würde.
Zeus hatte von seinem Vater gelernt, die Geburt derartiger Kinder nicht abzuwarten. Da sie aber als Götter unsterblich sind, sah auch er den einzigen Ausweg darin, sie zu verschlingen, und zwar mitsamt der Mutter. Nun erst soll er jene Weisheit erlangt haben, in der ihm auch Athena, die in seinem Schädel wuchs und heftigste Kopfschmerzen bereitete, gleichkommen sollte.
Hera erzürnte und zeugte ganz ohne männliche Hilfe einen kunstgewandten Gott, Hephaistos, der Waffen und die großartigsten Kunststücke zu schmieden verstand, jedoch bucklig und lahm war. Einige meinen jedoch, er beging die Torheit, sich in einen Ehestreit zwischen Zeus und Hera einzumischen, worauf er, vom Olymp geschleudert, nach neun Tage und neun Nächte lang währendem freiem Fall auf der Insel Lemnos aufschlug, sich ein Bein brach und so zum Krüppel wurde.
Hephaistos ist Gott des Erdfeuers und des Handwerks, vor allem der Schmiede. Er baute die Paläste der Olympischen Götter und fertigte zahlreiche Kostbarkeiten und Waffen wie später Achilleus’ Rüstung und galt als der Kunstfertigste der Götter. Die Griechen glaubten ihn mit dem ägyptischen Schöpfergott und universalen Handwerker Ptah verwandt. Die Römer nannten ihn Vulcanus . Der Hinkefuß mit dem rußigen Gesicht gewann als Gattin die schöne Aphrodite, die ihn allerdings mit dem Kriegsgott Ares betrog, wie wir noch berichten werden.
Hephaistos erlöste Zeus von jenen Qualen, die ihm die ausgewachsene Jungfrau in seinem Kopf bereitete.
»Nimm deine Axt und spalte mir den Schädel!«, befahl Zeus.
»Was?«, glaubte Hephaistos seinen Ohren nicht zu trauen. »Ich erschlag’ doch nicht den Göttervater! Wie kannst du das von mir verlangen?«
Doch Zeus stand nicht der Sinn nach Widerspruch und donnerte:
»Ich bitte nicht, sondern befehle! Wenn du nicht augenblicklich das Beil schwingst, wirst du erfahren, was es heißt, sich mir zu widersetzen!«
So tat der Schmiedegott, wie ihm geheißen. Aus dem gespaltenen Schädel sprang die im Waffenglanz strahlende Athena.29 Rasch heilte die Wunde. Der ungeborene Sohn nebst seiner weisen Mutter Metis aber verblieb auf ewig in Zeus’ Leib.
Athena wurde Göttin der Handwerker, der Künste und des Krieges. Die Schutzgöttin von Athen wurde oft mit Lanze und Schild dargestellt.30 Sie half vielen Helden wie Herakles und den Griechen im Krieg gegen Troia, schützte schließlich Odysseus während seiner Heimfahrt. Die Römer setzten Minerva mit ihr gleich.
Apollons langwierige Geburt
Die schmerzhafte Kopfgeburt verleidete Zeus keineswegs neue Abenteuer. Die Titanentochter Leto berauschte seine Sinne und bestieg sein Lager. Aus Angst vor der eifersüchtigen Hera wagte dann kein Land der Hochschwangeren einen Geburtsplatz zu gewähren, bis sie schließlich zu der unscheinbaren Insel Delos kam, die damals noch unbefestigt im Meer trieb.
»Ohne zu zögern böt’ ich dir meinen kargen Rücken zur Niederkunft dar, denn bei allen anderen bin ich verrufen«, antwortete die Insel auf Letos Bitte, »doch Sorge befällt mich bei der Prophezeiung, deine Kinder würden übergewaltig und wild. So fürcht’ ich, sobald sie das Licht der Welt erblicken, verachten sie mich für meine steinige Öde und stoßen mich kopfüber in die Tiefen des Meeres; dann wohnen in mir Kraken und Robben.«
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