Als Göttin der weiblichen Schönheit und der Liebe ist sie mit der sumerischen/akkadischen Inanna/Ištar verwandt, die aber noch über eine kriegerische Seite verfügte, die Aphrodite und ihre römische Schwester Venus verloren haben. In Griechenland wurde sie besonders in Zypern verehrt, vor allem in ihrem berühmtesten Heiligtum, dem späteren Paphos, wo sie erstmalig Land betrat.
Pygmalion verlangt nach einer Statue
Wie Aphrodite unstillbar Liebe zu wecken vermochte, erfuhr später Pygmalion, Herrscher über Zypern, ein inbrünstiger Verehrer der Göttin sowie begnadeter Künstler. Er schnitzte aus Elfenbein eine so schöne Gestalt, wie sie ein geborenes Weib nicht zu erlangen vermag. Pygmalion glühte für sein eigenes Werk, berührte es oftmals mit der Hand, unschlüssig, ob es Fleisch oder Elfenbein sei, küsste, umarmte und beschenkte es. Nachts bettete er seine Lagergenossin auf purpurne Linnen, stützte ihren Nacken mit flaumigen Kissen, bedeckte sie mit kostbaren Stoffen, als ob sie Härte oder Kälte fühle.
Als wieder Aphrodites Fest gefeiert wurde, opferte Pygmalion, trat zum Altar und bat:
»Oh, mächtige Göttin, die du alles vermagst, schenke mir zur Gattin« – die elfenbeinerne Jungfrau wagte er nicht zu sagen – »eine, der elfenbeinernen ähnlich.«
Aphrodite verstand und sandte günstige Zeichen. Pygmalion eilte zurück und presste seine Lippen auf die der Statue, die sich zu erwärmen schienen. Sacht betastete er ihre Brüste, die an Starre verloren und seinen Fingern nachgaben. Während Pygmalion zweifelte, sich freute, sich zu täuschen fürchtete, prüfte er wieder und wieder das Pochen in ihren Adern, ihre zarte Haut, den Hauch ihrer Lippen.
Die Ehe zwischen Pygmalion und Galateia (II)10, wie die erweckte Statue später genannt wurde, war gesegnet. Galateia gebar nach neun Monaten Paphos, die der später von ihrem Sohn Kinyras gegründeten Stadt ihren Namen gab.
Aphrodite vermochte grausam zu sein. Kinyras, König auf Zypern, besaß mit Myrrha eine so liebliche Tochter, dass seine Gattin sich verstieg, Myrrha hübscher noch als Aphrodite zu nennen. Die Göttin pflanzte im Zorn Myrrha unersättliches Verlangen nach ihrem Vater ein. Als gewöhnliches Mädchen verkleidet, täuschte Myrrha ihren Vater und lag ihm zwölf Nächte bei. Erst dann erkannte Kinyras sie. Myrrha floh vor seinem gezückten Schwert, bis sich die Götter erbarmten und sie in den Myrrhenbaum verwandelten.
Aber Myrrha hatte bereits einen Sohn von ihrem Vater empfangen, und nach abgelaufener Frist platzte der Myrrhenstamm auf und gab Adonis frei. Als Aphrodite die Schönheit des Knaben gewahrte, verbarg sie ihn in einer Truhe, die sie Persephone übergab. Doch auch die Göttin der Unterwelt verliebte sich in Adonis und weigerte sich, ihn wieder herauszugeben. Ein Richterspruch entschied den Streit der Göttinnen derart: Adonis müsse ein Drittel des Jahres im Hades bei Persephone zubringen, ein weiteres Drittel Aphrodite zu Diensten sein und dürfe nur das letzte Drittel für sich leben.
Auch wenn Adonis sein freies Drittel mit Aphrodite verbrachte, freuten sich die beiden Liebenden nur kurze Zeit aneinander. Obwohl ihn Aphrodite inständig bat, nur ungefährliche Tiere zu jagen, hetzte Adonis einen Keiler und wurde von dessen Hauern zerfleischt. Die untröstliche Göttin ließ aus seinem Blut die rote Anemone sprießen, und alljährlich wird sein Hinscheiden betrauert. Auch in der orientalischen Tradition hat die große Liebesgöttin einen jüngeren Geliebten, der als Symbol der Fruchtbarkeit stirbt und wieder aufersteht.11
Doch kommen wir zur Welt der Urgötter zurück. Nyx, die Göttin der finsteren Nacht, von den Römern Nox genannt, wurde nicht von Liebe berührt; und ungeliebte Kinder krochen aus ihrem unheilschwangeren Leib: das Alter, der Tod Thanatos und sein Zwillingsbruder Hypnos, der Schlaf, und mit ihm die wirren Geschlechter der Träume, außerdem Betrug, Täuschung, Lügen, Verderben, Hunger, Mord, Schlachten und anderes Unheil.
Auch die schrecklichen Keren, Todesgeister, gehören dazu: Frauen mit Vogelkrallen und langen Zähnen, mit denen sie die Unglücklichen zerfleischen, dann dem Leichnam das Blut aussaugen und dem Hades überantworten. Erwähnt sei noch Eris, die Göttin der Zwietracht und des Streites. Später wird sie ungeladen auf Peleus’ Hochzeit erscheinen und durch den Streit dreier Göttinnen den Troianischen Krieg veranlassen.
Ein einziges Mal gab sich die Nacht einem Manne hin. Mit dem finsteren Erebos zeugte Nyx die hellstrahlende Hemera, den Tag. Nur einen winzigen Augenblick, wenn abends die Nacht aus der Unterwelt aufsteigt oder morgens, wenn sie zu ihrem düsteren Haus zurückkehrt, begegnet sie ihrem leuchtenden Kind.
Auch die unerbittlichen Moiren galten als Töchter der Nyx. Nach anderer Überlieferung stammen sie von Zeus und Themis, der Göttin des Rechts, was angesichts ihrer Macht glaubhafter erscheint. Sie wohnen in einer Höhle des Himmels bei einem Teich mit weißem Wasser und spinnen den Lebensfaden der Menschen. Manchmal wird nur eine Moira genannt. In der Regel sind es ihrer drei: Klotho, die Spinnerin, als Geburtsmoira, Lachesis, die Zuteilerin des Loses, und die unabwendbare Atropos, die den Zwirn abschneidet, als die Todesmoira.
Selbst Zeus habe auf ihre Entscheidungen keinen Einfluss und sei, wie einige Quellen berichten, an das Schicksal gebunden, was die Macht der Olympischen Götter einschränkt. Die Römer kannten sie unter dem Namen Parzen , ursprünglich »Gebärerinnen«. Bei den Germanen hießen die drei Schicksalsflechterinnen Nornen , die über noch mehr Wissen verfügten als die Götter.
Die Nachkommen des Pontos
Ob Gaia bereits früher ihren rechtmäßigen Gatten betrog oder ihm erst Hörner aufsetzte, nachdem ihm keines mehr wuchs, ist nicht überliefert. Gaia zeugte in Pontos’ feuchtem Beilager neben dem starken Thaumas auch den mannhaften Phorkys, die schönwangige Keto, ein Meeresungeheuer, und Halia.
Phorkys und seine Schwester Keto hatten unheilvolle Kinder. Dazu zählen die Gorgonen – geflügelte Monster mit ehernen Händen und roten Zungen zwischen Zähnen, groß wie Hauer. Anstatt Haaren wanden sich Schlangen um ihre Köpfe, so hässlich und erschreckend, dass dem, der sie anblickte, das Blut gefror und er versteinerte. Von den dreien war nur Medusa sterblich, sie soll früher wunderschön gewesen sein, wovon wir erst berichten, wenn Perseus auf sie treffen wird.
Zur Brut des unheilvollen Paares gehört weiter die Chimaira (Chimäre). Das feuerschnaubende Scheusal hatte einen Löwenkopf, den Körper einer Ziege und einen Drachenschwanz – erst Bellerophon sollte es erlegen.
Aus dem Bauch der Keto kamen außer der Sphinx noch der Nemëische Löwe und Echidna, bis zur Hälfte ein äugelndes, schönwangiges Mädchen, unten aber eine entsetzliche Schlange. Mit Echidna zeugte der Weltfeind Typhon gewaltbesessene Kinder: die Lernäische Hydra, die Krommyonische Bache und die beiden Hunde Orthos wie Kerberos, der mit seinen drei Köpfen die Unterwelt bewacht.
Von Thaumas und der Okeanostochter Elektra stammen die hurtige Iris, der Regenbogen, die als Botin der Götter tätig ist, und die Harpyien: Vogel- und Frauenkörper in einer Gestalt, die als rasende Windgeister über die Erde jagen.
Doch Gaia und Pontos gebaren auch den berühmten Nereus. Er galt als untrüglich, wahrhaftig und als Vertreter des Rechts. Der Greis vermochte nicht nur die Zukunft vorherzusehen, sondern sich auch in jede erdenkliche Gestalt zu verwandeln. Doris gebar dem Nereus liebliche Kinder wie die schönfüßige Amphitrite, die Thetis, deren Sohn Achilleus auch noch heute die Dichter besingen, die wohlgebildete Galateia und 47 weitere untadelige Töchter.
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