Sie zwangen ihre gebeugten Körper auf den Boden und durchwühlten den Unrat. Aus sicherer Entfernung verfolgte Perseus das Gezänk belustigt und rief:
»Hier ist das Auge! Und wenn ihr mir sagt, wo ich die stygischen Nymphen finde, gebe ich es zurück.«
Lange drohten und schmeichelten die Graien, doch als ihnen keine andere Wahl blieb, verrieten sie den Weg.
Auf Athenas Fürsprache bekam Perseus von den stygischen Nymphen die Sandalen, den Zaubersack und den Tarnhelm. Perseus flog damit zum Okeanos, wo die Gorgonen inmitten eines Statuenparks schliefen. Die Augen von ihr abgewandt, blickte Perseus auf Medusas Bild, das sich auf seinem glänzenden Schild spiegelte – denn dem Spiegelbild fehlte die erstarrende Macht – und hieb mit der diamantenen Sichel Gorgos Kopf ab. Aus dem enthaupteten Leib sprangen Poseidons Kinder Pegasos, der Flügelhengst, und Chrysaor, ein voll ausgewachsener Krieger mit goldenem Schwert.
Doch Perseus fand für diese Wunder keine Muße, er griff rückwärts tastend das um den Medusenschädel züngelnde Schlangenknäuel, steckte die Trophäe in den mitgebrachten Zaubersack und vermied dabei das Medusenhaupt anzusehen. Dann setzte er sich den Tarnhelm auf und erhob sich mit den geflügelten Sandalen in die Luft. Und wahrlich keinen Augenblick zu früh. Denn schon verfolgten im Fluge die vom Röcheln Medusas erwachten unsterblichen Schwestern den Mörder. Der entkam jedoch dank des Tarnhelms.
Während seines Rückfluges erblickte Perseus eine junge, nackt an einen Felsen gefesselte Frau und eine erregte Menschenmenge, die abwechselnd zum Felsen und aufs Meer starrte. Der Held war in Ioppe angelangt, wo Kepheus – ein Bruder von Aigyptos und Danaos – mit Kassiopeia regierte, die ihre Tochter gerühmt hatte, schöner als die Nereïden zu sein. Derart beleidigt trugen diese die Schmach ihrem Vater vor, und der Meergott sandte der Stadt Sturmfluten und ein Seeungeheuer. Nur wenn der König seine Tochter Andromeda dem Seeungeheuer opfere, so prophezeite das Orakel, werde Ioppe von Poseidons Zorn erlöst.
In eben diesem Augenblick, als Andromeda der Ankunft des Untieres entgegenbebte, erschien Perseus, verliebte sich in die anmutige Tochter wie in ihre Opferbereitschaft und bot den verstörten Eltern Rettung an, wenn sie ihm Andromedas Hand versprächen. Schon türmten sich Flutberge im Meer auf, und gischtschäumend stieg ein fürchterliches Monster aus den brausenden Wogen, fast die Zusage des Herrscherpaares übertönend.
Entschlossen stürzte sich der Held auf das Ungeheuer, doch so unbedacht, dass ein Schlag von dessen Schwanzflosse ihm Medusas Kopf entriss. Das geschah ihm kein zweites Mal. Flink flog er um das Scheusal herum, die See brodelte von dessen Drehen, Wenden und gewaltigen Prankenhieben, bis es Perseus in einem Moment gelang, mit der einzig verbleibenden Waffe, der bewährten Sichel, das Monster zu köpfen. Zwar war der Gorgonenschädel aus dem Sack gerollt, doch zum Glück für die Menschen mit dem Antlitz nach unten auf Blumen zum Liegen gekommen, die augenblicklich zu Korallen versteinerten.
Eingedenk einer früheren Heiratsabsprache mit Agenor richtete das Königspaar die Hochzeit mit Perseus widerwillig aus, aber teilte dies auch ihrem Wunschschwiegersohn mit, der daraufhin an der Spitze einer bewaffneten Schar in die Festlichkeiten einbrach, Andromeda für sich beanspruchte und Kassiopeias Aufforderung »Tötet Perseus!« in die Tat umzusetzen versuchte.
Tapfer setzte sich Perseus zur Wehr. Viele Gegner sanken tödlich getroffen zu Boden, doch einer so gewaltigen Übermacht war er nicht gewachsen. In höchster Not riss er von Medusas Haupt die schützenden Leinen herunter und versteinerte so seine Gegner, die schon zum Todesstoß angesetzt hatten.
Der Erderschütterer Poseidon versetzte Kepheus und Kassiopeia als abschreckendes Beispiel unter die Sterne – später auch das Bild ihrer Tochter Andromeda, doch diesmal als Lohn – für ihre Redlichkeit, da sie sich für Perseus und gegen den Verrat ihrer Eltern entschieden hatte.
Andromeda begleitete ihren Gatten zurück nach Seriphos, wo in Abwesenheit des Helden Polydektes’ ganze Verworfenheit offenbar geworden war. Denn nachdem er sich des Zeussprösslings entledigt hatte, belästigte er lüstern Danaë, die vor den immer bedrohlicheren Nachstellungen in den Schutz eines Tempels flüchtete.
Augenblicklich lenkte Perseus seine Schritte in den Palast, wo der König mit seinem Gefolge zechte, und sprach zu dem Verdutzten, dessen Lärmen wie das seiner Saufkumpane in Stille erstarb:
»Polydektes, hier bringe ich die versprochene Liebesgabe!« Einen Moment lang hätte man eine Stecknadel in dem Raum fallen hören können, dann brach ein brüllendes Gelächter aus, und beißender Hohn schlug Perseus entgegen. Jeder der Lakaien versuchte den anderen zu übertreffen. Angewidert wandte Perseus seinen Kopf ab und hielt der Tafelrunde Medusas Haupt vor Augen. Vom Palast Polydektes’ überdauerte nichts die Zeiten, wohl aber die versteinerten Zecher von Seriphos.
Die göttlichen Leihgaben brachte Hermes zu den stygischen Nymphen zurück, aber den Kopf der Medusa heftete Athena an ihre Aigis, als unüberwindliche Waffe.
Sorglos und unbeschwert machte sich Perseus auf nach Argos, wo sein Großvater durch dessen Ankunft in äußerste Unruhe geriet. Akrisios erinnerte sich sehr wohl an das Orakel und floh vor seinem künftigen Mörder nach Larisa.
Unglücklicherweise war auch Perseus nach Larisa eingeladen, um an den Leichenspielen zu Ehren des dort verstorbenen Königs teilzunehmen. Hier traf er seinen Großvater, beruhigte und bewog ihn, gemeinsam zurück nach Argos zu ziehen. Aber am letzten Tag schleuderte Perseus beim Diskoswerfen die Scheibe nach dem Willen der Götter so unerhört weit, dass sie Akrisios traf und tötete.
So erfuhr auch unser Held schon in frühen Jahren: Keiner entflieht dem von den Moiren verhängten Schicksal.
Perseus begrub seinen Großvater tief bekümmert in Larisas Athenatempel. Schamvoll mied er Argos und begab sich nach Tiryns, wo er mit Proitos’ Sohn die Königreiche tauschte. Hier gründete er das weitberühmte Mykene und ließ es von den Kyklopen befestigen, deren nach ihnen benannten Mauern noch immer einen gewaltigen Anblick bieten.
Geruhsam und glücklich genossen Perseus und Andromeda den Rest ihres Lebens und wurden Ahnherren der berühmtesten Geschlechter. Ihr Sohn Perses sollte Stammvater der Perser werden, ihre Tochter Gorgophone Großmutter Helenas und der Dioskuren, Sthenelos aber wurde Vater des Eurystheus. Ihre anderen beiden Söhne, Alkaios (König von Troizen) und Elektryon (König von Mykene), zeugten Amphitryon und Alkmene, die sich nach dem Willen ihrer Eltern heirateten.
Herakles
Zeus zeugt mit Alkmene Herakles
Elektryon hatte von Amphitryon verlangt,81 die Ehe mit Alkmene solange nicht zu vollziehen, bis die Taphier82 geschlagen waren; denn die hatten bei einem Überfall alle Söhne Elektryons getötet. Vor dem Feldzug begab sich Amphitryon nach Elis und löste die Rinder aus, die die Taphier dort zurückgelassen hatten. Erfreut nahm Elektryon sein Eigentum von seinem frischverheirateten Schwiegersohn entgegen. In diesem Moment brach eine Kuh aus der Herde. Um sie an der Flucht zu hindern, warf Amphitryon eine Keule, traf aber versehentlich Elektryon, der an den Verletzungen starb. Sthenelos verbannte Amphitryon, und später übernahmen die Pelopssöhne Atreus und Thyestes die freigewordene Herrschaft Mykenes und Mideas.83
Alkmene war wohl von der Unschuld ihres Ehemannes überzeugt gewesen, denn sie vergab ihm nicht nur die Tötung ihres Vaters, sondern folgte ihm auch zu Thebens König Kreon, der ihn von Blutschuld reinwusch. Allerdings weigerte sich Alkmene weiterhin, mit Amphitryon zu schlafen, bis er sein Versprechen, die Taphier zu bekriegen, einlöse und damit den Tod ihrer Brüder räche. Mit Eifer versuchte Amphitryon Kreon vom Krieg zu überzeugen. So sehr verlangte es ihn, neben seiner Gattin zu liegen, dass er selbst nachts den König bedrängte. Da schließlich Amphitryon den einzigen Mann gewann, der Theben von der Teumessischen Füchsin zu befreien vermochte – davon berichten wir erst bei Kephalos’ Schicksal – kam es zum gemeinsamen Waffengang.
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